Grauwacke

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Okt 022013
 

2013-09-29 15.20.34

Der Kreuzberger Hausfreund begegnete gestern mit seiner Mutter im Park hinter dem Blumenmarkt an der Friedrichstraße einem stummen Menschen, einem Mann etwa seines eigenen Alters, der kein Wort sprechen, sondern nur unverständliche stammelnde Laute hervorbringen konnte. Hinter sich drein zog er seine Habe des Augenblicks auf einem Einkaufsschleppkarren. Mit seinen Armen redete er uns an. Weit ausholende Gesten ersetzten eine Aussage. Er wollte uns etwas erzählen! Und er erzählte! Wir erwiderten ihm erst mit Worten, dann mit Gesten, dann mit Berührungen. Seine Umarmung zum Abschied war so warm, das fühlte sich so gut an. Drei glückliche Menschen im Spätsommerschein!

Aus dem Munde der Stummen schaffst du dir Lob. Ja, die Stummen, die Dummen, die ganz Alten, die ganz Kleinen, das sind die meinen! Die sind meinesgleichen. Bei denen bin ich zuhause. Das ist die Heimat, die Menschen einander bieten. Aus der Grauwacke des Alltags sprießt spontan das Samenkorn des Menschlichen.

Bild: Grauwacke mit Spontanvegetation, Park am Gleisdreieck, Kreuzberg

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„Wow, ihr hattet schon den Veggie Day?“ „Yes, but gone is the veggie day of the good old times!“

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Aug 162013
 

2013-08-04 12.40.59

Gern erzählt der Kreuzberger Hausfreund seinen Kindern aus seinen frühen Kindertagen alte Mären: „Bei uns zuhause gab es fast jeden Sonntag Fleisch, selten gab es auch noch ein zweites Mal Fleisch pro Woche. Freitags, am Sterbetag Jesu Christi,  jedoch nie. Das war der Veggie Day of the good old times. Am Karfreitag speiste uns vier Kinder die Mutter mit Wasser und trocken Brot ab. Ansonsten gab es zu unserem Leidwesen reichlich Kartoffeln und anderes Gemüse, alles von Mutter selbstgekocht. Ihr müsst wissen: Man nannte Gemüse noch nicht Veggie, denn damals sprach man noch Deutsch, wir sprachen zuhause Bairisch, Datschiburg-Schwäbisch und Hochdeutsch bunt durcheinander, nur die Eltern sprachen untereinander auch Englisch, und die Messe wurde bis 1966 noch auf Lateinisch gelesen. Im Sommer radelten wir mit Vater oft ins Schwimmbad, das berühmte Gerschti, das prächtige Gersthofener Bad mit der tollen Rutsche und den drei unbeheizten Becken. Nicht so wie im Kreuzberger Prinzenbad, wo für Prinzen und Prinzessinnen das Wasser mithilfe des Länderfinanzausgleiches bacherlwarm vorgewärmt wird.  Im Sommer während der Ferien wurden wir mit der Bahn zur Erholung zu Verwandten aufs Land nach Niederbayern geschickt. Als ich 7 Jahre alt war, kam sogar ein kleiner S/W-Fernseher in die gute Stube. Dann durften wir täglich eine halbe Stunde fernsehen!

Ihr seht, liebe Kinder: Wir waren damals fleißige, fromme, arme, ja bitterarme Leute. Jeder Sozialhilfeempfänger kann sich heute einen weit höheren Lebensstandard leisten. Und es wird immer Parteien geben, die ihm einreden, er sei arm, bitterarm, und ihm würden Partizipationsmöglichkeiten verweigert. Davon leben einige Parteien, und sie leben gut damit.“

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„Eine Großstadt muss auf Parkbänken schlafen!“, oder: Wird Deutschland allmählich zu einer Komikernation?

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Aug 022013
 

2013-07-13 16.04.49

„Ihr Deutschen habt so was Freakiges! Ihr müsst schon aufpassen, dass ihr nicht zu einer Komikernation werdet!“ So höre ich es immer wieder von meinen Polen, meinen Amerikanern, meinen Türken, meinen Arabern, meinen Russen. „Ihr tickt in vielem nicht normal. Ist zwar liebenswert, aber ihr solltet es auch merken!“ Was steckt dahinter, hinter dieser Warnung?

Ich denke, diese Warnung ist ernst zu nehmen. Wie ernst, das merke ich jedesmal, wenn ich aus der Türkei, aus USA, aus Polen, aus Berlinisch-Arabien wieder die Grenze zur Bundesrepublik Deutschland überquere.

Deutschland als Komikernation, das bedeutet: Eingebildete, künstlich hochgepuschte Ängste und Besorgnisse werden riesig aufgeblasen – wie dies eben beispielsweise unser hochverehrter Nationalkomiker Loriot so meisterhaft auf die Schippe nahm. Umgekehrt werden tatsächliche Bedrohungen, tatsächliche Versäumnisse, wird echte Not im Lande überhaupt nicht wahrgenommen.

Letztes, aber mehr oder minder beliebiges Beispiel vom gestrigen Tage: „Fast 300.000 Bundesbürger sind wohnungslos!“ Das ZDF-heute-Journal berichtete gestern, der SPIEGEL online berichtet heute  über das Thema. Ich war erschüttert: „Müssen also fast 300.000 Bundesbürger auf Parkbänken schlafen?!“ SPIEGEL online zeigt einen armen Parkbankschläfer, einen hübsch aufdressierten Penner zu seiner Meldung. Verarmung, Abrutschen  in soziale Not allenthalben!

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/zahl-der-wohnungslosen-ist-in-deutschland-drastisch-gestiegen-a-914380.html

Der schrille Weckruf der Bundearbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW), einer hochprofessionell auftretenden Lobby-Organisation,  rüttelt uns aus sanften Parkbank-Träumen. Schrecklich, dachte ich: Eine ganze deutsche Großstadt von der Größe Rostocks + Ribnitz-Damgartens muss also bei Wind und Wetter unter Brücken und in Pappschachteln schlafen! Schlimm auch: Wir hatten es nicht bemerkt!

Einmal drüber geschlafen, einmal nachgedacht – und die ganze Meldung fällt in sich zusammen wie ein überbackenes Gemüsesoufflé.

Denn: jeder Berliner Student, der seinen Kreuzberger Haushalt aufgibt und aus Kostengründen wieder zu Muttern nach Dahlem zieht, zählt als „wohnungslos!“ Denn er kann sich keine eigene Wohnung mehr leisten, sondern muss erst einmal eigenes Geld verdienen, ehe er sich eine Wohnung leisten kann. Jugendlichen alleinstehenden Arbeitssuchenden wird vom Jobcenter keine eigene Wohnung mehr gestellt, sondern sie müssen „zur Not“ bei Mutti, bei Vati, bei  Verwandten oder Freunden unterkommen. Auch sie sind nach BAGW-Kriterien wohnungslos. Na und, sach ich ma.  Das war schon immer so, das ist keine Tragödie, es besteht hier absolut kein politischer Handlungsbedarf. Ich sach ma: Wieso sollte der Staat jungen alleinstehenden Arbeitslosen eine eigene Wohnung spendieren, solange sie anderswo unterkommen können?

Wohnungslos ist nicht gleich obdachlos! Obdachlos muss in Deutschland niemand sein. Die Zahl der Obdachlosen liegt nur bei etwa 25.000 in ganz Deutschland. Und das ist sehr niedrig. Die vorübergehende oder dauernde Obdachlosigkeit  entspringt in aller Regel einem bewussten Entschluss, die Brücken abzubrechen. Aber es gibt in Deutschland eine Armada an Hilfsorganisationen, Kirchen, karitativen Einrichtungen, gütigen Menschen, die die Obdachlosen beherbergen. Auch Odysseus aus Ithaka war bei der Heimkehr aus Troja 20 Jahre lang wohnungslos und immer wieder mal obdachlos, und es hat ihm nicht geschadet, sondern wir sprechen noch heute von ihm.

Also, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland! Fahren wir öfter mal in die Türkei, nach Russland, in die arabischen Länder, nach Polen  oder in die USA, um die Maßstäbe zurechtzurücken.  Sprechen wir öfter mal mit Polen, Kurden, Türken, Amerikanern, die bei uns ihr Haupt auf weiche Kissen betten!  Auf dass wir Deutschen nicht zum Gespött unter den Völkern werden.

Die echte soziale Not in Deutschland liegt woanders. Sie liegt fast ausschließlich im seelischen Bereich: Vereinsamung, Hartherzigkeit, „incurvatio ad se ipsum“=krankhafte Selbstbezüglichkeit, Faulheit, Gier, Ichsucht, Vergnügungssucht, Selbstisolation, Lüge, mangelnde Selbstachtung, mangelnde Achtung des Nächsten, mangelnde Achtung vor dem Leben, Verachtung der Familie, Verachtung der Mütter und des Mütterlichen, mangelnde Kindererziehung, mangelnde Selbsterziehung, ferner eine künstlich aufgeblasene, geradezu hypertrophe Geld- und Politikgläubigkeit  – darin erblicke ich im unvergleichlich reichen Deutschland die größte Not.

Bild: Die Weisheit der Katze. Sie sät nicht, sie erntet nicht.  Katze im türkischen  Turgutreis, der wir Futter reichten und die uns viel Freude bereitete! Aufnahme vom 13.07.2013

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Sind „Stadtteile mit Makel“ und „von Rentern bewohnte Betonbunker“ für unsere arme identitätssuchende Klientel unzumutbar?

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Jul 092013
 

2013-05-20 13.50.23

Na, herrlich, diese Leserbriefspalten auf S. 8 im aktuellen gedruckten Spiegel! Eine Frankfurterin, ein Münchner und ein Berliner (genauer gesagt: ein armer Kreuzberger Blogger) treten in ein virtuelles Zwiegespräch über ein geisterhaftes Thema: die Wohnungsnot in den Städten. Die Frankfurterin unterscheidet zwischen „Stadtteilen mit hoher Lebensqualität“ und solchen „mit Makel“. Der Münchner führt beredt Klage darüber, dass kein identitätssuchender Student nachts aus den Bars der Szeneviertel stundenlang mit schlechten Bussen in seinen von Rentnern bewohnten Betonbunker fahren wolle.

Der Berliner singt das Hohelied der kleinen Städte und der Dörfer, die man nicht zugrunde gehen lassen dürfe, indem man sehr viel Geld für die armen identitätssuchenden Studenten, die sich zu fein für Stadtteile mit Makel und die zu faul für nächtliche Fußmärsche sind, ausgebe.

Wer hat nun recht? Die Frankfurterin, der Münchner oder der Berliner? Es liegt an euch liebe Dessauerinnen, liebe Frankfurterinnen an der Oder, liebe Simbacherinnen und Bebraerinnen! Liebe Rentnerinnen und Rentner, seid versichert: ich glaube nicht, dass es für identitätssuchende Studierende unzumutbar ist, mit euch in einem „Betonbunker“ zu wohnen. Ich bin für die Mischung!

Danke an den SPIEGEL, dass er einem Kreuzberger meist treuen Leser mit einem sehr netten Begleitschreiben ein Belegexemplar zusendet! Wir tranken ein Gläschen Johannisbeerensaft im Familienkreise, wobei ein flotter Trinkspruch nicht fehlen durfte.

„Stundenlang im Bus“, in: Der SPIEGEL, 28/2013, S. 8

Bild: die Bergmannstraße in Müncheberg

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Braucht die Bergmannstraße das Friedrichshain-Kreuzberger bezirkliche Mietwohnungszweckentfremdungsverbot?

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Jun 272013
 

2013-05-20 13.50.23

Unser heutiges Bild zeigt leerstehende Mietwohnungen in der berühmten und gesuchten Bergmannstraße. Der Blogger lacht mal wieder laut auf über die grandiosen Kapriolen unserer bundesweit berühmten grünroten Bezirkspolitik in Friedrichshain-Kreuzberg! Irre und zum Lachen ist das schon: ein bezirkliches Mietwohnungenzweckentfremdungsverbot und Milieuschutzverordnungen, unter anderem  für die Kreuzberger Bergmannstraße haben sie sich ausgedacht. Ohne jede statistische Begründung, wider jede politische Vernunft, siehe heute Berliner Zeitung Seite 18. Der Geographie-Student Tilman Versch hat nachgerechnet: Nicht mehr als acht bis zwölf Mehrfamilienhäuser wären – statistisch hochgerechnet – alle Ferienwohnungen im Bezirk. Eine völlig unerhebliche Zahl! Das Signal der Touristenfeindlichkeit hat die linke Bezirkspolitik zuverlässig gesetzt – übrigens gegen den Willen von einigen Bezirksbürgern. Ich meine: Wem die vielen Touristen rings um den Touristenmagnet der Topographie des Terrors in Kreuzberg nicht passen, der kann ja nach Lichtenberg ziehen. Wem die Bergmannstraße in Kreuzberg zu teuer ist, der ziehe in die Stresemannstraße in Kreuzberg. Dort sind Wohnungen frei. Der besichtige die Bergmannstraße! Auch dort sind Wohnungen frei (siehe Bild oben).

Verbote, Verhinderungen, Missgunst, Heizpilzverbote.  Das ist es, was sie schaffen in unserer Bezirkspolitik.  Aber Radstreifen in der lauten, lebensgefährlichen Skalitzer Straße kriegen sie nicht gebacken.

 

Hey guys, wait a moment! Es wird wider alle Vernunft so getan, als stünden wir in ganz Berlin und im Berliner Umland, in ganz Deutschland vor Wohnungsnot und Mietpreisexplosion. Liebe Leute: Bei statistisch sinkender Bevölkerungszahl und real steigender Wohnfläche in Berlin und ganz Deutschland kann man von derartiger Bedrohung im Ernst nicht sprechen.   Es ist nur einmal mehr ein Eingehen der bekannten kuschelsanften Wählerverwöhnungspolitik auf eine  gefühlte Bedrohungslage. Die Bundespolitik, die Senatspolitik und ebenso die Bezirkspolitik feiern wieder einmal den beliebten Wählerschaft-Kindergeburtstagsbeglückungsreigen. Ja, so sehe ich das: Das Friedrichshain-Kreuzberger bezirkliche Mietwohnungszweckentfremdungsverbot ist nichts anderes als ein Ritornell im sattsam bekannten Wählerschaft-Kindergeburtstagsbeglückungsreigen – eine verheerende Fehlentwicklung, wie ich meine, der es entgegenzusteuern gilt.

Ich meine: Die Forderungen nach Mietendeckelungen, Mietpreisbremsen, Mietwohnungenzweckentfremdungsverbote usw. usw.  sind staatliche Planwirtschaft, für die nicht der geringste Anlass besteht. „Plafonner les loyers ne fonctionne pas – Mietendeckelung funktioniert nicht.“ So hat es der frühere Bezirks-Baustadtrat und spätere Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Bündnis 90/Grüne) in der Sprache der Diplomatie, auf Französisch also, zu Protokoll gegeben. Schulz hat recht.

Zahlen, Fakten und Daten zuhauf zum Beleg dieser Behauptung gehen etwa aus dem aktuellen SPIEGEL-Artikel „Lage, Lage, Lage“ zur Mietenentwicklung  zweifelsfrei hervor.

Ich bin immer wieder traurig, wenn ich sehe, dass unsere herrlichen Kleinstädte wie etwa Müncheberg, Neuruppin, Simbach, Dessau, Luckenwalde oder Bebra veröden und verarmen, weil die Menschen wegziehen. „Bei uns in Bebra gehen von 10 Uhr abends bis 6 Uhr früh buchstäblich die Lichter auf den Straßen aus!“, erzählte mir nicht ohne Wehmut eine Köchin aus dem hessischen Bebra bei einer meiner Wanderungen vor wenigen Wochen. „Meine Kinder ziehen alle aus Bebra weg, nach Berlin oder Hamburg. Dort, in der Hauptstadt der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, amüsieren sie sich Tag und Nacht, während ich mir als Köchin im hessischen Hügelland den Rücken krumm mache. Hier ist nichts mehr los.“

In der Fläche liegt das Potenzial! Wir dürfen die kleinen Städte, die Dörfer und die Randlagen in Deutschland nicht zugrundegehen lassen, indem wir sinnfrei und besinnungslos das ganze freie (obleich schuldenfinanzierte) Geld durch Mietbeihilfen und Mietpreisbremsen in die gefragten Großstadtlagen umschütten.

Politisch sinnvoll wäre es, durch gezielte Anreize die verödenden Lagen der weniger gefragten Stadtviertel und Kleinstädte oder auch die Dörfer zu fördern, etwa durch bessere Anbindung im ÖPNV, durch bessere Verkehrs-Infrastruktur, durch Ansiedlung von Behörden und Schulen und beruflichen Bildungsstätten, durch niedrigere Gewerbesteuer-Hebesätze, durch Blumenbeete und Parks, durch Verringerung der Geldumverteilungswirtschaft im Länderfinanzausgleich. Wieso sollte ein fleißiger Handwerksmeister im hochwassergeschädigten bayerischen Simbach/Inn die Freibäder-Warmwasser-Beheizungsanlagen und Mietwohnungs-Wärmepumpen im behaglichen, hochwassergeschützten Friedrichshain-Kreuzberg bezahlen?

Lasst 1000 Blumen in Bebra blühen! Beleben wir die Bergmannstraßen unseres Landes!

Quellenverzeichnis:

Guido Kleinhubbert: „Lage, Lage, Lage“. Der SPIEGEL, Nr. 26 / 24.06.2013, S. 46-47

Andrea Hahn: „Die Debatte wurde mit Schätzungen geführt“. Interview mit Tilman Versch. Berliner Zeitung, 27. Juni 2013, S. 18

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/abgeordnetenhaus-diskutiert-gesetz-gegen-mehr-ferienwohnungen,10809148,23304082.html

 

Bild: Leerstehende Mietwohnungen in der Bergmannstraße, Müncheberg/Mark Brandenburg. Aufnahme von einer Radtour am 20. Mai 2013

 

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O ihr armen EU-Armutsforscher – erbarmet euch der echten Armen in der Welt!

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Mrz 282013
 

2013-03-24 10.54.58

Der weltweit allgemein anerkannte, relative Armutsbegriff und auch der Armutsgefährdungsbegriff ist blühender Unsinn, wie schon ein Blick auf das Bild im heutigen Online-Tagesspiegel zeigt: Man sieht offenbar Obdachlose. Schluchz, Barm, Seufz! Die üblichen Reflexe!

Nun muss aber in Deutschland niemand obdachlos sein. Alle haben hier in Deutschland ein Dach über dem Kopf, gesicherte medizinische Versorgung, Essen und Trinken, kostenlose Schulbildung, eine kulturelle Grundteilhabe über Funk und Fernsehen. Es gibt in Deutschland keine echte Armut, von wenigen Einzelfällen wie etwa Obdachlosen (weniger als 0,1% der Bevölkerung)  abgesehen.  Es gibt kein politisches Armutsproblem in Deutschland, sehr wohl aber für ca. 1 Mrd. Menschen außerhalb Deutschlands.

Der relative Armutsbegriff  vernebelt den Blick auf die echten sozialen Risikolagen in Deutschland: Kindesvernachlässigung, Frauenunterdrückung, Faulheit, anerzogene Süchte, Hartherzigkeit der Menschen, Kriminalität, anerzogene und von linken und rechtsextremen politischen Kräften eingeflüsterte und bis zum Überdruss heraufbeschworene Perspektivlosigkeit. Wirkliche Armut gibt es in Deutschland in einem signifikanten Sinn nicht. Ich lebe hier in Kreuzberg in einem der statistisch ärmsten Wohnbezirke Berlins, spreche täglich mit Menschen, die offiziell „armutsgefährdet“ sind, kenne deren Realität. Die offiziell „Armutsgefährdeten“ lachen derartige Erklärungen wie die der öffentlich bestallten und bezahlten „Armutsforscher“ nur noch aus. Also weg mit diesem Unsinnsbegriff der relativen Armut und der „Armutsgefährdung!“

Kümmern wir uns um echte Not, um echtes Elend! In Deutschland ist die echte Not rein seelischer Art: Eispanzer um die Herzen, Kindesvernachlässigung, Anbetung des Geldes als alleinigen Maßstabs der Politik, Staatsgläubigkeit, Vernachlässigung der Alten und Behinderten.

Die echte Not ist zweifellos ein politisches Problem. Außerhalb Deutschlands, namentlich in Staaten Afrikas und sogar in einigen wenigen Staaten Europas liegt echte Not in Krieg, Hunger, Armut, Obdachlosigkeit, Umweltzerstörung, Frauenunterdrückung, Rechtlosigkeit, Vertreibungen, Naturkatastrophen, Jugendarbeitslosigkeit.

 

EU-Armutsrisiko: „Weniger eine Finanz- als eine Verteilungskrise“ – Politik – Tagesspiegel.

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Dez 112012
 

Immer wieder treffe ich unter meinen zahlreichen fremdländischen und fremdsprachigen Bekannten, Freunden, Verwandten und der sonstigen Meschpoche auf überraschte und erstaunte Gesichter: „Ist das wirklich wahr, dass …?“ „Ja, hast du damit ein Problem?“, erwidere ich dann stets beflissen. „Ja, das ist doch köstlich! Dass so etwas möglich ist in Deutschland! HABEN SIE EUCH DENN WAS INS ESSEN GEMISCHT?“ Verlegen stottere ich dann herum: „Ja, weißt du, das ist eine längere Geschichte …“

Doch. Es ist wahr. Die offizielle Armutsquote ist in Deutschland höher als in Ungarn, obwohl jeder Sozialhilfeempfänger bei etwa doppelt so hohem Kostenniveau hier in der Bundesrepublik mehr Geld zur Verfügung hat als  ein akademisch gebildeter Berufsanfänger in Ungarn. Ja, es ist wahr, dass jeder alleinstehende Mensch unabhängig von eigenen Einkünften hier Anspruch auf eine staatlich finanzierte eigene Wohnung hat mit Abmessungen, von denen viele Arbeitnehmer in Nachbarländern Deutschlands nur träumen können.

Doch. Es ist wahr. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken erklärt im traulichen Bündnis mit der Bundesspitze der Grünen den „Kampf gegen die Armut, insbesondere gegen die Kinderarmut“ in Deutschland zu einer dringlichen Aufgabe der Gesellschaft, obwohl doch wieder und wieder nachgewiesen worden ist, dass die Kinder – alle Kinder! – heute in Deutschland mehr Platz, mehr Geld, mehr Spielzeug, mehr Essen bekommen als vor dreißig Jahren, dass sie kleinere Klassen, mehr Kita-Plätze und mehr Betreuungsmöglichkeiten erhalten als noch vor 10 Jahren, ganz zu schweigen von den Zeiten vorher.

Was echte Kinder-Armut und mangelnde Bildungschancen für Kinder heute bedeuten, das erzählen mir türkische Eltern und auch die UNESCO sehr eindrücklich: In der Türkei besuchten laut UNESCO im Jahr 2007 550 000 Mädchen keinerlei Schule, viele Kinder werden dringend  bei der Feldarbeit und als Handlanger für die Eltern gebraucht. Von den märchenhaften Reichtümern der in Deutschland lebenden Kinder können die Kinder im Osten der Türkei nur träumen.

Andererseits umfassen die Klassen in der Türkei gern auch schon mal 50 Kinder – in Tansania dagegen bis zu 110 Kinder. Dennoch lernen die eingeschulten Kinder an türkischen (auch an russischen oder syrischen) Grundschulen schneller und besser Lesen und Schreiben als in Deutschland. Obwohl es den Kindern in Deutschland materiell viel besser geht und die Klassen in Deutschland kleiner sind! WARUM?

Wenn man all diese Fakten und Geschichten zusammenträgt, muss man in der Tat den Fragenstellungen rechtgeben, die da auf mich niederprasseln: „HABEN SIE EUCH DEUTSCHEN WAS INS ESSEN GEMISCHT, dass hier in Deutschland ständig von Kinderarmut und mangelnden Bildungschancen geredet wird? Was ist bloß mit euch Deutschen los? Habt ihr denn keine Ahnung davon, wie die Welt außerhalb Eurer Wohlstandsinsel aussieht?“

Vera Lengsfeld hat erst vor wenigen Tagen die Armutsrepublik Deutschland  sehr treffend – erfreulicherweise  in der gebotenen sozialen Kälte (wieder so ein Wort!) –  analysiert. Neben den Erzählungen türkischer, russischer, arabischer Zuwanderer zur Grundschule verschiedener Herkunftsländer im Vergleich mit den deutschen Schulen empfehle ich ihren Kommentar der Aufmerksamkeit aller deutschen Grünen und aller deutschen Katholiken:

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/niemand_muss_hungern_niemand_muss_betteln_ein_nachtrag_zu_anne_wills_sendun/

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Grüne – ZdK: 3:0

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Dez 062012
 

„Wann sie schreiten Seit an Seit“:

Munter fördern sie ihre Schritte durch den Wald, die Grünen, suchen im Geiste Antonio Gramscis Verbündete auf ihrem Weg zur kulturellen Hegemonie, legen Schneisen ins bisher nicht Begangene. Neueste Frucht des Bemühens: ein Treffen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken samt gemeinsamer Abschlusserklärung, die es in sich hat! Lest selbst:

Zum heutigen Treffen zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dem Zentralkomitee der deutschen
Katholiken erklären Claudia Roth, Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Alois
Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken:
„BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und das ZdK sind sich einig, dass Politik und Gesellschaft mehr
Anstrengungen unternehmen müssen, um für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland zu sorgen
und Armut, insbesondere Kinderarmut, zu bekämpfen. Bildung ist dabei maßgebliche Voraussetzung für Aufstiegschancen. […]

Auffallend: Die Botschaft richtet sich an Politik und Gesellschaft. Nicht der einzelne Mensch ist gefordert, etwas für Gerechtigkeit zu tun. Vielmehr wird ein Mangel an „sozialer Gerechtigkeit“ konstatiert. Woher sie diese Festellung haben, darüber schweigen sich die Verfasser aus. Ein klares Bekenntnis zur Kollektiv-Ethik! Allein schon der Begriff soziale Gerechtigkeit zeugt von einem kollektivistischen, deterministischen Gerechtigkeitsverständnis. Die Verhältnisse in Deutschland sind offenbar nach Meinung der Grünen und des ZdK so ungerecht, dass die Verhältnisse verändert werden müssen, ehe es wieder gerecht zugehen kann im Leben des Menschen. ERST einmal möge die Politik die Voraussetzungen für Gerechtigkeit schaffen, DANN werden die Menschen sich auch gerecht verhalten. Na, ungefähr so hat es das kommunistische Manifest  auch gesagt.

Christliche Ethik war hingegen im Wesentlichen eine Individualethik. Es kam auf den einzelnen Menschen an: Menschliches Handeln galt als gerecht oder ungerecht. „Die Verhältnisse“, der Staat, die Gesellschaft  waren zunächst einmal weder gerecht noch ungerecht.

Punktsieg für die Grünen mit ihrer kollektivistischen Moral!

Als wichtigstes Problem wird erneut die „Armut, insbesondere Kinderarmut“ genannt. Wo? Doch nicht etwa in Deutschland? Ja, wo leben die denn? Ein grandioser Punktsieg der linken Anklägermoral! Denn – wie ich mich immer wieder überzeugen konnte – „die Armut, insbesondere die Kinderarmut“ – ist ein Phantom. Es gibt in Deutschland keine Kinderarmut. Es gibt vielmehr eine materielle Überversorgung und eine emotionale Vernachlässigung sehr vieler Kinder. Vernachlässigung, emotionale und spirituelle Verödung, das ist das Hauptproblem der Kindheit in Deutschland. Und dafür sind Eltern, Lehrer, Erzieher  und noch einmal die Eltern verantwortlich, aber nicht die Gesellschaft, nicht die Politik.

Aber dazu schweigt das ZdK. Das wollen sie nicht wahrhaben. Von der Verantwortung, von der Freiheit eines Christenmenschen ist keine Rede mehr.

Und so geht es immer weiter. Die gemeinsame Erklärung ist eine  einzige Serie von unbewiesenen Behauptungen, wohlfeilen Absichtserklärungen und völlig kritiklos nachgeplapperten grünen Worthülsen. Die Grünen setzen die Agenda, das ZdK betet nach, hat keine Kraft, etwas Eigenes zu setzen.

Das ZdK hat sich hier aber von den Grünen ganz schön ködern lassen.

Punkt, Satz und Etappensieg für die Grünen.

http://www.zdk.de/veroeffentlichungen/pressemeldungen/detail/Treffen-zwischen-Buendnis-90-Die-Gruenen-und-dem-Zentralkomitee-der-deutschen-Katholiken-756D/

 Posted by at 22:03
Sep 092012
 

Altersarmut – ein großes Thema, das derzeit wieder die Gemüter in Wallung bringt! Werden die Renten reichen?  Die Alten sollen doch in 30 Jahren ihr eigenes Einkommen haben, es kann doch nicht sein, dass sie dann zum Sozialamt gehen oder – schlimmer noch –  von ihren Kindern Unterhalt erbetteln müssen!

Erstaunlich, dass niemand darüber nachdenkt, wie es die Menschheit bisher, also jenseits und vor der Einführung der staatlichen Rentenversicherung  geschafft hat, die Alten, nicht Arbeitsfähigen zu pflegen und ihnen einen würdigen Lebensabend zu verschaffen. In den alten Büchern wird das Thema jedoch immer wieder besprochen.

Kindesdank und Undank  – eine wunderbare Erzählung Johann Peter Hebels fällt mir dazu ein. Ich las sie kürzlich im Sommerurlaub in Berchtesgaden, im Heimatort meiner alten und gebrechlichen Mutter. So beginnt sie:

Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, dass Menschen im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die Kinder lernen’s von den Eltern; sie sehen’s und hören’s nicht anders und folgen dem Beispiel. So wird es auf die natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und geschrieben ist, dass der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern ruhe und sie nicht verfehle.

Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste Nachahmung und die zweite grosse Beherzigung verdient.

Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleissigen und frohen Landmann an dem Ackergeschäft an und liess sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, dass der Acker nicht sein Eigentum sei, sondern dass er als Tagelöhner täglich um 15 Kreuzer arbeite …

Daneben stellen wir das Märchen der Gebrüder Grimm Der alte Großvater und der Enkel, welches also anhebt:

Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen mußte sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch und die Augen wurden ihm naß …

Die Abhängigkeit der Alten von der mittleren, der arbeitenden Generation ist uraltes kulturelles Erbe, die Sorge der leiblichen Kinder für ihre Eltern im Alter ist ein sittliches Grundgebot, das beispielsweise die jüdische, die christliche und die muslimische Religion nahezu wortgleich verkünden: siehe etwa 5. Buch Mose 5,15; Markusevangelium 10,19; Koran Sure 17, 23.

Sie kommen überein: Du sollst nicht Pfui sagen, wenn deine Eltern alt und gebrechlich sind! Ehre Vater und Mutter!

Auch in unserer Rechtsordnung besteht – noch – die Unterhaltspflicht der Kinder „in aufsteigender Linie“ gegenüber den Eltern.

Dass zuerst und zuletzt der Staat, also die Politik, das Wohlergehen der Alten besorgen müsse, ist eine ganz neue Erscheinung. Aufstockerrente, Zuschussrente, private Zusatzrentenversicherungspflicht und und und. Die ganze Debatte um die Altersarmut kreist derzeit ausschließlich um die Menschen, als wären sie später einmal alle vereinsamte, hoffnungslos alleinstehende, kinderlose Alte.

Der Sozialstaat wappnet sich, damit jeder Mensch auch im Alter einen individuell durchsetzbaren direkten Anspruch auf Schutz vor Altersarmut hat. Als schlimmstes Übel wird die Abhängigkeit der Eltern von ihren Kindern als Schreckgespenst an die Wand gemalt.

Keiner denkt auch nur im entferntesten daran, dass jahrtausendelang Kinder und wieder Kinder und Enkelkinder die beste soziale Sicherheit gegen Armut und Einsamkeit im Alter darstellten, dass die Kinder ihre Eltern irgendwann mittragen und mitziehen und miternähren müssen.

Ich meine aber, auch die deutsche Gesellschaft wird sich auf diese uralte Einsicht zurückbesinnen müssen.

Erst seit etwa 20 oder 30 Jahren denkt offenbar die Mehrheit der Menschen in Deutschland, dass der Lebensstandard der Alten im wesentlichen durch die Sozialversicherung und durch den Staat gesichert werden müsse.

Weder in Schule noch in der Gesellschaft wird den Kindern die Pflege und Fürsorge für die eigenen Eltern gelehrt. Die Familie als primärer Träger der sozialen Sicherheit wird systematisch in Politik und Gesellschaft ausgeblendet.

Ich finde dies bedenklich. Hier droht etwas zutiefst Menschliches verlorenzugehen: die Einsicht in das fundamentale Abhängigsein des Menschen in Fleisch und Blut von anderen Menschen in Fleisch und Blut in jeder Lebensphase, vor allem in Kindheit und Alter, nämlich:

Am Ende hängen wir doch ab
Von denen die wir machten.

Nur Hatice Akyün hat – mit einem ironischen Erschauern – die Vorstellung beschrieben, sie müsse noch mehr Kinder haben, um im Alter glücklich zu sein. Doch dann wird die Vorstellung sogleich wieder verworfen. Sie schreibt:

Aber von dem Modell sind wir weit entfernt. Da bleibt mir als Alternative wohl nur die türkische Variante. Es müssen dringend ein paar neue Kinder her, die mich im Alter versorgen. Oder wie mein Vater sagen würde: „Testi kirilsa da kulpu elde kalir“ – Wenn der Tonkrug zerbricht, bleibt einem immer noch der Griff in der Hand.

Fazit: Dass die Eltern sich auf ihre Kinder verlassen müssen, ist eine Vorstellung, die nicht mehr in unsere Zeit passt. Der Staat soll alle Bürger gegen alle denkbaren existenziellen Risiken lückenlos absichern, jetzt und auch noch in drei Jahrzehnten.

Ich finde dies höchst bedenklich.

 Posted by at 23:01

„Quella umile Italia“, oder: Um ein demütigeres, leiseres Europa bittend

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Aug 072012
 

Weder das Schwert noch das Geld bringen den Menschen Einigkeit und Glück. Dies ist eine Europa zutiefst prägende Einsicht, die beispielsweise in der heute weithin vergessenen und verdrängten Geschichte von Leiden und Sterben Jesu Christi musterhaft ausgebildet ist. Um der 30 Silberlinge willen, eines doch recht erheblichen Wohlstandes also, wurde die tiefste Freundschaft verraten. Und das Schwert, das dem Knecht Malchus das Ohr abhieb, brachte weder Frieden noch Rettung. Erst im versöhnenden Wort, das zu Füßen des Kreuzes in Freiheit gesprochen wird, finden die Menschen wieder zusammen.

Zurück vom Ring!„, so endet auch die vierteilige Geschichte, die Richard Wagner  mit großem – manche meinen:  mit allzu lautem Aufwand – auf die Bühne bringt. Das Gieren und Geifern nach dem Gold, das Lechzen nach anstrengungslosem Wohlstand säen Zwist, Verrat, Verleumdung, Lüge und Untergang. Und nebenbei lässt Richard Wagner seinen eigenen Versuch, sich vom jüdisch-christlichen Erbe loszusagen und eine germanisch gehämmerte Ersatzreligion anzubieten, im vernichtenden Feuerschein der Götterdämmerung enden.

Mit seinem Parsifal, dem letzten Werk, belebt Richard Wagner die alte jüdisch-christliche Erbschaft vom tätigen Mitleiden, vom freien erlösenden Wort wieder. Richard Wagner ist sozusagen ein Christ der letzten Stunde wie so viele andere auch. Ein durchaus schlüssiger Schritt, nachdem der rohe Kult der germanisch aufgeheizten Gewalt und des schnöden Verrats im Ring des Nibelungen in der völligen Verzweiflung endete.

Europa ist zweifellos da am stärksten, wo es das Schwache stark sein lässt, wo es nicht auf das dröhnende Schwert und nicht auf das laute Geld, sondern auf das leise Wort setzt. Es findet da am ehesten zu sich selbst, wo es dem rohen Kult der Gewalt, dem Jagen nach dem Gold, dem rücksichtslosen Durchsetzen des eigenen Willens auf Kosten anderer entsagt. Von daher kann Europa auch der freiwilligen, der aufgeklärten Armut, der mendicità istruita, einen erzieherischen Wert beimessen. Der Arme wird sozusagen hingeführt auf Werte, die weder Schwert noch Gold schaffen können.

Ein weiterer wichtiger Zeuge für diese zutiefst europäische Grundüberzeugung ist Dante – mein Dante, wie ich gern sage.

Er schreibt im ersten Gesang seiner Divina Commedia von einer gierigen Bestie der Gewalt, die sich in vielerlei Gestalt an den Erzähler heranschleicht:

ché questa bestia, per la qual tu gride,
non lascia altrui passar per la sua via,
ma tanto lo ‚mpedisce che l’uccide;

e ha natura sì malvagia e ria,
che mai non empie la bramosa voglia,
e dopo ‚l pasto ha più fame che pria.

Molti son li animali a cui s’ammoglia,
e più saranno ancora, infin che ‚l veltro
verrà, che la farà morir con doglia.

Questi non ciberà terra né peltro,
ma sapïenza, amore e virtute,
e sua nazion sarà tra feltro e feltro.

Di quella umile Italia fia salute
per cui morì la vergine Cammilla,
Eurialo e Turno e Niso di ferute.

Die unersättliche Bestie, die nach jedem Fraß stärkeren Hunger verspürt, ernährt sich von terra – also Immobilienbesitz – und von peltro, also von wertvollem Metall, Geld, Gold, Silberlingen.

Was setzt der Sänger – hier spricht Vergil –  diesem unersättlichen Gieren der Bestie entgegen?

Er sagt es selbst: sapienza, amore e virtute.

Sapienza: Einsicht, Klugheit, Weisheit, Bildung, können wir heute  sagen. Erkennen dessen, was ist. Einsicht in Strukturzusammenhänge, die klipp und klar benannt werden.

Amore: Zuwendung zum Nächsten, Mitleiden, Empathie, Öffnen des Herzens.

Virtute: das ist die vorbildliche Haltung, also Tugend, das Ausbilden aller Kräfte, die im Menschen ruhen.

Selbstverständlich ist dies nur ein Ideal, das zu Dantes Zeiten ebensowenig allgemein anerkannt war wie heute. Aber es gab damals Menschen wie den großen Europäer Dante Alighieri, die ihre Sehnsucht nach einer hiesigen Welt ausdrückten, in der nicht das Schwert und das immerwährende Starren auf das Geld, sondern die Mühsal der kleinen, notwendigen leisen Schritte des redlichen Wortes die Taktgeber waren.

Nicht der Ring des Goldes, nicht das Schwert, sondern das leisere Wort eröffnen den Raum der Freiheit, in dem Empathie, Zuwendung zum Nächsten sich entfalten können.

Dante sprach sehnsüchtig von jenem demütigen Italien, quella umile Italia, das er eher in den Hütten als den Palästen fand, eher in der aufgeklärten Armut als in der reichen Gewalt.

In genau diesem Sinne können wir heute uns ein demütiges, bescheideneres Europa wünschen, das auf das leise, gesprochene Wort hört: quella umile Europa.

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Jul 172012
 

Zum Gelde drängt, am Gelde hängt doch alles bei uns! Rund 115 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr würde die Einhaltung der neuen Hygienestandards an Berliner Schulen kosten, also die tägliche Reinigung der Böden und Toiletten durch den eifrig den Bürgern hinterherwischenden Berliner Senat! Ein Ding der Unmöglichkeit! Alle drängen und bedrängen die Geldkoffer des Staates, die Politik gebärdet sich im Kleinen wie im Großen fast nur noch als Streit ums Geld. Das Geld ist offenkundig die Grundlage und das entscheidende Maß der Politik, dieser Grundlage dient alles andere.

Dabei ist eigentlich genug Geld im System, es fehlt nur an den Regeln, wie heute recht zutreffend Bundestagspräsident Lammert seufzte.

Da flüchte du, im reinen Osten Patriarchenluft zu kosten! Zur Erholung von diesen allzu europäischen Geld-Tönen schlage ich gerne die alten Bücher des Ostens, Homer, Herodot, Aischylos etwa  auf. – Heute wiederum las und rezitierte ich das berühmte Gedicht Einladung (Davet) von Nazim Hikmet. Was für andere Töne! Kraftvoll, leidenschaftlich, – dieser Mann wird noch getragen von einem echten republikanischen Ethos! Die Freiheit steht im Mittelpunkt seines Einsatzes, auf dieser ursprünglichen Einsicht in Freiheit und Gleichheit aller Menschen gründet sein Vertrauen in das gute, das gelingende Wort!

Bu memleket bizim – das ist unser Land.
Bu davet bizim – das ist unsere Einladung.
Bu hasret bizim – das ist unsere Sehnsucht.

In den Zeilen Hikmets wird für mich erfahrbar, wie kostbar die Freiheit – selbstverständlich auch die politische Freiheit – ist. Gelingende Politik stiftet Gemeinschaft im Wort: unser Land.

Gelingende Politik schließt andere Menschen, andere Völker ein statt aus: unsere Einladung.

Wie schwer ist es, sich im Gezänk über Geld dieses Wertes bewusst zu bleiben!

Gelingende Politik strebt erlebten Wünschen nach: unsere Sehnsucht.

Gelingende Politik, gelingendes Zusammenleben beruht darauf, dass alle sich dieser Zugehörigkeit, diesem Streben nach Freiheit und Brüderlichkeit verpflichtet wissen.

Hört selbst:

 Nâzım Hikmet:

DAVET
Dörtnala gelip Uzak Asya’dan
Akdeniz’e bir kısrak başı gibi uzanan
bu memleket bizim.

Bilekler kan içinde, dişler kenetli, ayaklar çıplak
ve ipek bir halıya benzeyen toprak,
bu cehennem, bu cennet bizim.

Kapansın el kapıları, bir daha açılmasın,
yok edin insanın insana kulluğunu,
bu davet bizim.

Yaşamak bir ağaç gibi tek ve hür
ve bir orman gibi kardeşçesine,
bu hasret bizim.

Quelle:

Türkçe Okuma Kitabı. Erste türkische Lesestücke. Herausgegeben von Celal Özcan und Rita Seuß. Illustrationen von Rita Seeberg. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2. Auflage, München 2011 [=dtv 9482], S. 76

Ich freue mich auch auf folgende öffentliche Veranstaltung:

„Wir wollen uns an die Abmachungen halten. Das ist das Fundament, auf dem Europa nur gedeihen kann.“  So wird Bundeskanzlerin Merkel 16.06.2012 in der ARD-Tagesschau zitiert.

Abmachungen einhalten, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit des Wortes – ist dies das Fundament, auf dem Europa neu gedeihen kann? An diesem Abend wollen wir ein politisches Gedicht über die Freiheit von Nazim Hikmet und eines von Friedrich Hölderlin kennen und lieben lernen.

Zum Mitmachen, Mitsprechen  und Mitwachsen für alle. Anschließend politische Diskussion.

Treffpunkt:  Donnerstag, 19. Juli 2012, 20.00 Uhr, Park am Gleisdreieck, Kreuzberg-West.

Neuer Kiosk am Park-Eingang (von der Hornstraße her)

In Deutsch und Türkisch

Bild: Wurzelscheibe eines Baumes vom Märchenpfad in Bischofswiesen, Berchtesgadener Land

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Stammkunden erziehen, Stammkunden binden, Stammkunden halten! Die Erfolgsgeschichte der Berliner Job-Center

 Armut, Geld, Sozialadel, Sozialstaat, Verwöhnt  Kommentare deaktiviert für Stammkunden erziehen, Stammkunden binden, Stammkunden halten! Die Erfolgsgeschichte der Berliner Job-Center
Mai 022012
 

Was ist bloß los mit der schreibenden Zunft? Ein ganzer Artikel über die mühselige Existenz der Berliner Job-Center-Kunden, ohne dass auch nur ein einziges Mal das Wort „Armut“ fiele? Das gab’s noch nicht! Lebe ich denn nicht in Kreuzberg, einem der ärmsten Viertel in der Armutshauptstadt der Bundesrepublik, wie ein Blick auf den Sozialatlas lehrt?

Armutshauptstadt Berlin, Transferhauptstadt, Umverteilungsmetropole Berlin, was stimmt?

Autor Hans Evert bringt uns auf Seite 3 der heutigen Berliner Morgenpost der Wahrheit schon näher. Anhand einiger weniger Fallbeispiele mit geänderten Namen schildert er das unendliche Karussell an Maßnahmen, Bewilligungen, Bescheiden, Einsprüchen, Bedürftigkeitsprüfungen, Einzelfallgerechtigkeitserwägungen, in denen die jahrzehntelange Karriere der Stammkunden der Job-Center heutzutage besteht. Derartige Fallgeschichten sind repräsentativ, zumal für die jungen Männer unter 35 mit Schulabschluss und oft gar mit Berufsausbildung. Ich kenne Dutzende solcher Geschichten. Entscheidend für die Verstetigung der Hilfekarrieren ist stets, dass der Bedürftige glaubhaft machen kann und ab einem gewissen Punkt auch selbst darauf vertraut, dass er nicht selbst seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.

So erzieht sich das Job-Center Stammkunden, die Beschäftigung von Hunderten neuer Stammkundenberater im Job-Center wird dauerhaft gesichert.

Wir alle wissen: Eben dieser „Bedürftige“, also der gesunde, arbeitsfähige Mann unter 50,  wird sofort an der nächsten Ecke genug Arbeitsangebote finden, mit denen er seine Sozialhilfe verdoppeln oder verdreifachen kann. Ich bin überzeugt: Jeder gesunde junge Mann  könnte von heute auf morgen in Berlin ohne jede staatliche Unterstützung seinen Lebensunterhalt bestreiten.

Und genau das wäre auch das beste für ihn: Keinerlei staatliche Unterstützung nach Ende der Ausbildung für junge, ledige, kinderlose und gesunde Menschen. Es würde sich wie ein Lauffeuer herumsprechen: Mensch, in Deutschland muss man nach Ende der Ausbildung neuerdings arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten – unerhört! Mensch, der deutsche Staat kuckt neuerdings genauer hin.

Letzter überraschender Kunstgriff, den ich vor wenigen Wochen auf der Straße lernte: die Anmeldung von Hunderten und Aberhunderten von Lohnaufstockern in kleinen selbständigen, inhabergeführten Betrieben, zum Beispiel in Spielcasinos, gastronomischen Einrichtungen, Ramsch- oder Handyläden, dem Rückgrat der New Economy in Neukölln und Kreuzberg. Die Papiere sind in Ordnung. Der Staat lässt sich nicht lumpen, legt großzügig etwas auf die ausbeuterischen Hungerlöhne drauf.  Nach wenigen Jahren folgt planmäßig der Konkurs und die Auflösung des kleinen Unternehmens mit den vielen Lohnaufstockern und die gezielte Entlassung der Angestellten in die Arbeitslosigkeit. Durch die wenige Jahre dauernde Beschäftigung als geringverdienender Angestellter hat der Lohnaufstocker planmäßig seinen Anspruch auf jahrzehntelange Sozialhilfe und andere Unterstützungsleistungen für sich und seine Angehörigen erworben. Auch die steigenden Heizkosten werden gern vom Berliner Senat in alter Spendierlaune übernommen. Das Ganze ist vollkommen legal. Es funktioniert, denn die betriebswirtschaftliche Plausibilität derartiger Beschäftigungsverhältnisse wird durch das Amt nicht überprüft. Die Integration ins deutsche Sozialsystem ist perfekt, hurra.

Die heutige Sozialgesetzgebung mit ihrem Gestrüpp an Anspruchsarten, ihren endlosen Bedürftigkeitsprüfungen, ihren Umschulungs- und Eingliederungsmaßnahmen ist eine Einladung zur Verantwortungslosigkeit und zur Schwarzarbeit. Sie entmündigt unsere armen Bedürftigen.

Ich meine: Ein gesunder lediger junger Mann mit Schulabschluss und Berufsausbildung braucht keine Hilfe vom „Job-Center“. Es ist schlicht abenteuerlich, was hier an staatlicher Verwöhnung und Verhätschelung abgeht. Ich kann den Damen und Herren Sozialpolitikern, insbesondere den Bundestagsabgeordneten nur empfehlen, Bekanntschaften mit den Armen und Bedürftigen vom unteren Ende der Erfolgsleiter  zu schließen und sich von ihnen eine Einführung ins deutsche Sozialhilfewesen gewähren zu lassen – oder am besten gleich in ein Armutsviertel zu ziehen. Lasst euch doch die Geschichten erzählen!

Bilanz: Der Stammkundenstatus beim Job-Center ist für die jungen Menschen eine willkommene Ressource, um darauf aufbauend einen bescheidenen, aber durchaus hinreichenden Wohlstand zu begründen.

Nächste Schritte: Die dringend gebotene Reform der deutschen Sozialgesetzgebung muss vom Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit wegkommen und sich hinbewegen auf Ermunterung, Ertüchtigung, Entwöhnung vom Mündel-Status. Viele Hilfearten nach dem SGB müssen vereinfacht, viele müssen ersatzlos gestrichen werden. Andernfalls geht die Staatsausplünderung und die Lähmung der Menschen weiter.

http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article106241817/Fuer-viele-Berliner-ist-das-Jobcenter-ein-ewiges-Sozialamt.html

 Posted by at 12:06
Feb 092012
 

„In Friedrichshain-Kreuzberg sterben die Kinder und werden massenhaft verprügelt wegen der Verarmung durch Hartz IV! – Den Deutschen ist es doch egal, wenn Millionen Rentner in Griechenland sterben! – Massenelend und Massenverarmung in Deutschland und Griechenland wegen der Politik der deutschen Bundesregierung! – Im deutschen Schulsystem werden Kinder erbarmungslos nach Schulformen selektiert wie an der Rampe in Auschwitz! – Deutschland verrecke!

Wörtlich so oder so ähnlich kann man es im griechischen Fernsehen und auf Kreuzberger Flugblättern und sogar auf einem Friedrichshainer Hausdach hören und lesen.

Nichts davon ist wahr. In Griechenland verhungern keine Millionen Rentner, kein einziger Rentner verhungert in Griechenland. In Kreuzberg gibt es keine Armut, keine verhungernden Kinder, das Hauptproblem der Kreuzberger Kinder sind – wie gesagt – die pflichtvergessenenen Eltern der Kinder, namentlich die Väter, die sich in der Weltgeschichte herumtreiben, statt sich um ihre Ehefrauen und Kinder zu kümmern, die sie dauerhaft im üppigen deutschen Sozialsystem geparkt haben.

Aber derartige antideutsche Hetze hinterlässt Wirkung.

Hier meine ich, dass man sich nicht ins Bockshorn jagen lassen darf. Besonders wohltuend die scharfsinnige Analyse eines britischen Historikers, der von der Insel aus manches deutlicher sieht – Timothy Garton Ash. Lest selbst:

Angela Merkel needs all the help she can get | Timothy Garton Ash | Comment is free | The Guardian

 Posted by at 13:40