Damit ihr nie vergesset, was deutscher Hass euch tut

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Sep 132017
 

Damit ihr nie vergesset, was meine Liebe tut… 

Dieses Kirchenlied Beim letzten Abendmahle war mir in meinen Kindertagen das liebste. Ich wurde erzogen in dem Glauben an einen verzeihenden, erbarmenden, gütigen Gott. Oft hörte ich: Gott liebt dich durch Jesus. Liebe auch du deinen Nächsten, wie es Jesus getan hat. Es gibt keine unvergängliche Schuld. Der gnädige Gott erbarmt sich deiner. Er erbarme sich unser und nehme von uns Schuld und ewigen Tod. Du darfst nach Verbrechen und Schuld wieder von neuem anfangen.

 

Und heute? Woran glauben die Deutschen? Was sollen wir Deutschen nie vergessen? Was dürfen wir nie vergessen?

 

Die prall gefüllte, ergiebige Seite 24 im heutigen Tagesspiegel gibt die unbestreitbare Antwort! Gute, kundige Besprechung der Übersetzung des neuen Buches von Christian Gerlach über den Mord an den europäischen Juden! Und auch das neue Buch von Sven Felix Kellerhoff wird angemessen durch Bernhard Schulz gewürdigt. Wieder einmal bestätigt sich: Die Jahre 1933-1945 sind der unvergängliche Kern, der strahlende Kohlenstoff, aus dem in alle Ewigkeiten hinein die Deutschen ihr Geschichtsbild schöpfen und umschöpfen. Nichts anderes hat daneben in der deutschen Geschichte Bestand. Daran darf nicht gerüttelt werden. Es ist VERBOTEN.

Generationen und Generationen von Historikern werden da weiterforschen und zu keinem Ende kommen. Das ist Deutschlands ewige Gegenwart, Deutschlands einziges ewiges Licht, Deutschlands Glutkern, Deutschlands unvergängliche, unauslöschliche, immerwährende Schuld und Verantwortung.

Deutsche Männer, deutsche Tücke,
Deutscher Wahn und deutscher Mord.

Dieses Böse dürfen wir nie vergessen, darauf läuft alles immer wieder zu! Das sind wir Deutschen.

Müssen wir Deutschen also die Deutschen hassen? Müssen wir Deutschen also das Deutsche hassen? Es sieht ganz danach aus!

So herrsche denn Thanatos, der alles begonnen!

Christian Gerlach: Der Mord an den europäischen Juden. Ursachen, Ereignisse, Dimensionen. Aus dem Englischen von Martin Richter. C.H. Beck Verlag, München 2017

Sven Felix Kellerhoff: Die NSDAP. Eine Partei und ihre Mitglieder. Klett-Cotta, Stuttgart 2017

Besprochen heute in DER TAGESSPIEGEL

 

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Zunehmendes Licht

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Jul 312017
 

„Wie ist es bei euch in Deutschland, Papa? Erzähl mir dein Leben in Märchen!“

„O mein Sohn, es ereignet sich einiges hier bei uns in Deutschland: Zunehmende Wärme wärmt uns, zunehmendes Licht erleuchtet uns!  Der Sommer kommt in die Gänge, keiner glaubt noch, er könnte schnell zu Ende gehen. Tief Zlatan, der nordische Jagdhund, dieses pelzige Ungetüm, der alte Spielverderber, zog sich grollend in die Berge zurück, weit hinter die sieben Berge. Auch mit einem 12-Zoll-Zoll-Teleskop kannst du ihn nicht mehr sehen, nicht einmal von unserem 7000er Gipfel, dem Insulaner!“

„Warum, Papa? Gefällt es ihm nicht bei euch in Deutschland?“

„Weißt du, hier sind mir die Menschen zu kalt, sagt Zlatan, zur Rede gestellt. Bei uns in Sibirien ist es außen kalt und dunkel, aber wir Hunde leuchten von innen.“

 

Unverhoffte Begegnung: Wir befinden uns in einem Schöneberger Buchladen, irgendwo in dem Quartier, das sie großsprecherisch Kreuz des Südens nennen.  Ein Kunde streift suchend vor den Regalen umher, legt seinen Kopf schräg, um die Buchrücken zu entziffern. Schreitet Schritt um Schritt voran. Zieht das eine oder andere Buch hervor, zunehmend rascher, ungeduldiger.

„Sie suchen nichts Bestimmtes?“, fragt ihn die Buchverkäuferin, die ihn schon einige Augenblicke beobachtet hat.

„Doch! Ich habe da einen neuen Spielfilm gesehen: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Er hat mich erschreckt. Ich fand die Personen alle ziemlich klischeehaft. Pappmachéefiguren. Und es herrschte eine abgründige Lieblosigkeit, fast schon ein Hass zwischen den Menschen des Films, wie er sich eigentlich nur in echten Familien ausbilden kann, aber nicht in Filmen.

Und das reicht nicht, um einen guten Film zu machen,“ fuhr der Kunde fort. „Aber ich glaube, das Buch ist besser. Denn gelungene und weniger gelungene Literaturverfilmungen sind als geschäftige Kupplerinnen anzusehen: sie erregen eine unwiderstehliche Neugier auf das Original.“

„Das Buch wäre also besser als der Film? Wissen Sie das, oder glauben Sie es zu wissen?“, fragte die Buchhändlerin zurück.

„Ich weiß, das ich es glaube. Aber um es zu beweisen, möchte ich dieses Buch lesen. Wissen Sie, wer es geschrieben hat?“

„In Zeiten des abnehmenden Lichts – von Eugen Ruge? Das hatten wir gestern noch in einigen Exemplaren hier liegen. Schauen Sie hier!“ (Triumphierende Demut der Buchhändlerin)!

„Ha, danke, Sie sind noch eine Buchhändlerin von altem Schrot und Korn. Sie kennen also jedes Buch, das Sie hier vorrätig halten?“

„Fast jedes! Und alle anderen bestellen wir Ihnen, sofern lieferbar.“

Der Kunde war begeistert, kaufte das Buch, dazu noch eine Zeitschrift und eine Zeitung. Was mag er wohl beim Lesen des Buches empfinden?

 

Hier die Angaben:
Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Roman einer Familie. Rowohlt Taschenbuch Verlag. 9. Auflage, Februar 2017, Reinbek 2017

In Zeiten des abnehmenden Lichts. 2017. Regie: Matti Geschonneck.

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Wu de Hosen Husn haaßn… oder: Wo sind wir zuhaus?

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Jun 132017
 

Hanne spricht:

Wo de Hosen Husn haaßn
un de Hasen Hosn haaßn
do sei mer drham.

Wo sind die daheim, die so etwas von sich geben? Ein lustiges Rätsel, gar manchem Deutschen unlösbar, und doch ist dies Rätsel ein Kinderspiel im Vergleich zu den Schwierigkeiten, denen sich einer jener Hunderttausenden syrischer, ägyptischer oder eritreischer Migranten gegenübersieht, wenn er im Erwachsenenalter ohne jegliche Vorkenntnisse in einer europäischen Sprache mit dem Lernen des Deutschen als Fremdsprache (DaF)  beginnt!

Hannes erzählt:

Wir recht du hast, Hanne! Gar manche, ja viele Geflüchtete in meinem Bekanntenkreis besuchen seit 10 oder noch mehr Wochen den deutschen Sprachkurs und können immer noch nicht die so wichtigen Konsonanten p/t/k bzw. b/d/g oder die Vokale o (kurz-lang) und u bzw. e und ä unterscheiden oder nachbilden! Sie kennen und können sie nicht. Sie werden stattdessen offenkundig im Sprachunterricht bombardiert und vollgestopft mit geschriebenen Texten und Formeln, mit abstraktem Regelwissen, mit zu vielen Einzelwörtern, aber sie können und kennen die Laute nicht. Ein Unding!

Hanne erwidert:

Ganz meine Rede, das erfahre ich ebenso in meinen Kursen! Da sind wir auf einer Wellenlänge: Es ist wirklich wichtig ein ö vom u und vom i zu unterscheiden! Nimm können, kennen, Kissen, küssen… Die isolierten Laute und die einfachen zweisilbigen Wörter wie etwa Mama, Papa, Hase, Hose, zuhause, daheim, spielen, schlafen, essen, küssen, kennen sind das geeignete Ausgangsmaterial. Sie treten zusammen zu einfachsten Ausrufen und Sätzen, zu einfachsten Reimen und Liedern, die nach und nach den Mutterboden bilden, in den sich behutsam zarte Würzlein des grammatischen Regelwissens einsenken können.

Hannes bekräftigt:

Ich stimme dir zu!  Die Schulung von Ohr und Stimme ist das A und O beim Anfängerunterricht für Migranten im Erwachsenenalter; sie ist das unerschütterliche Fundament, ohne das jeder Sprachunterricht auf Sand gebaut ist. Ich habe das damals in meiner Zeit als DaF-Dozent wie auch heute immer wieder bemerkt, zum Beispiel auch bei den erwachsenen Zuwanderern hier.

Hanne:

Besonders wichtig für die muttersprachliche Lehrerin ist es, sich ein deutliches Bild von den Lauten der deutschen Sprache zu machen. Ich als Lehrerin muss vorbildlich klar, eindeutig und wahrnehmbar artikulieren, damit sich die einzelnen Laute dem Ohr der Lernenden einprägen.

Hannes fragt:

Was rätst du uns nun? Wie kann sich der künftige Lehrer für Deutsch als Fremdsprache in die Klippen und Fallstricke  der deutschen Lautgebung einarbeiten?

Hanne antwortet:

Vor allem muss sich die Deutsch-Lehrkraft selber der leiblichen und organischen Vorgänge beim Sprechen durchaus bewusst werden. Ohne bewusstes, vorbildliches  Sprechen findet kein sinnvoller Unterricht für Lernende im Erwachsenenalter statt! Mir hat es damals bei der Selbstausbildung meiner Sprechwerkzeuge und bei der Vorbereitung für den DaF-Unterricht geholfen, die folgenden Bücher zu Rate zu ziehen:

Klaus Heizmann: So spreche ich richtig aus. Eine Hilfe für Redner, Chorleiter und Sänger. Verlag Schott, Mainz
Egon Aderhold / Edith Wolf: Sprecherzieherisches Übungsbuch. Henschel Verlag, Berlin
Der kleine Hey. Die Kunst des Sprechens. Nach dem Urtext von Julius Hey. Neu bearbeitet und ergänzt von Fritz Reusch. Verlag Schott, Mainz

Hannes drängt ungeduldig:

Komm doch nun endlich zur Lösung des Rätsels, das dem Buch „So spreche ich richtig aus“ entnommen ist:

Wo de Hosen Husn haaßn
un de Hasen Hosn haaßn
do sei mer drham.

Woher stammen diese Menschen?

Hanne nennt die Lösung:
Aus dem Erzgebirge.

Beleg:
Klaus Heizmann: So spreche ich richtig aus. Eine Hilfe für Redner, Chorleiter und Sänger. Verlag Schott, Mainz, 2. Auflage 2011, S. 21

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Mitleid mit Worten. Am heutigen Welttag der Dichtung

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Mrz 212017
 

Mitleid mit manchen Worten

von Franz Werfel

Ihr armen Worte, abgeschabt und glatt,
Die Sprache und die Mode hat euch satt,
Von zuviel Ausgesprochensein verheert
Seid ihr schon schal und doch wie sehr bedauernswert.

So abgegriffen seid ihr und poliert,
Daß jeder Konsonant an Stoß verliert.
Und was euch einst beschwingtes Leben gab,
Begriff, Gefühl, sie gleiten von euch ab.

Klingt ihr wo auf, gleich kommt mir in den Sinn,
Wie oft! eine alte schlechtgeschminkte Schauspielerin,
Die auf der Bühne routinierte, doch arg verblühte Schritte macht,
Während im Parterre die erbarmungslose Roheit  zischt und lacht.

Oh, dann von Mitleid durchschüttert, schüf ich aus euerm mißachteten Klang
Am liebsten den hehrsten, heißesten Gesang!

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Selbsthaß

 Augustinus, Deutschstunde, Einzigartigkeiten, Gedächtniskultur, Kinder, Selbsthaß  Kommentare deaktiviert für Selbsthaß
Feb 092017
 

Selbsthaß ist auch das Grundgefühl, welches in diesen Jahren die deutsche Nation zu durchziehen scheint; mit unglaublicher Wonne zeigen sie der Welt immer wieder, wie schlimm sie gesündigt haben, wie unübertroffen sie die Meister des Bösen gewesen sind. „Von unserem Land aus [=Deutschland] sind alle europäischen Werte zerstört worden“, „an diesem einzigartigen Verbrechen, diesem schlimmsten Menschheitsverbrechen der gesamten Weltgeschichte trägt Deutschland Schuld und Verantwortung“, „wir Deutsche haben zwei Mal ganz Europa zerstört“, dergleichen superlativische Wendungen tauchen unzählige Male immer wieder in den Schuldbekenntnissen der Spitzen von Staat, Regierung und Parlament auf.

Eine durch und durch negative Sicht auf die deutsche Geschichte wird heute stärker denn je den Kindern schon in den deutschen Schulen beigebracht. So erzählte mir erst kürzlich ein Geschichtslehrer stolz, er wolle die Kinder nicht gleich mit dem von uns verübten Holocaust belasten, sondern sie erst einmal behutsam an das größte Menschheitsverbrechen heranführen, indem er sie erst einmal selbständig  The Kaiser’s Holocaust erarbeiten lasse, also den deutschen Völkermord an den Herero und Nama ab dem Jahr 1904. So könnten die Schülerinnen und Schüler  sich allmählich mit dem Gedanken des deutschen Völkermordes anfreunden. Der Holocaust sei dann als Krönung das große Thema im darauffolgenden Jahr, ein Völkermord wachse in der deutschen Geschichte organisch aus dem vorhergehenden Völkermord hervor. Deutschen Völkermord erkennen, deutschen Völkermord benennen, das sei ein wesentliches Lernziel des kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts!

Ich war verblüfft. Ist es wirklich sinnvoll, den Gedanken des Völkermordes als Sinnkern der deutschen Nationalgeschichte darzustellen? Soll wirklich der Holocaust den innersten Kern der Gedächtniskultur ausmachen, wie dies etwa Claus Leggewie vorgeschlagen hat? Ich meine: Man kann dies tun, beginnend vom Tag von Verden an der Aller im Jahr 782.

Ich meine aber auch: Die heutigen Kinder werden überfordert mit diesen ewig lastenden Schuldvorwürfen an alle Deutschen, eine Zugehörigkeit zur deutschen Nation erscheint ihnen zunehmend als moralische Belastung, zumal ja die deutsche Geschichte vorwiegend als Geschichte deutscher Verbrechen dargestellt wird.  Warum sollten sie sich zu einem Land bekennen, das das Land der Täter ist, also im Grunde ein Verbrecherland ist?

Keinen Augenblick darf man die Niedertracht der Deutschen vergessen. Man geht kaum aus dem Haus, schon wird man wieder aufgefordert, sich all der unsäglichen Schrecken zu erinnern, die die Deutschen überall vollbracht haben.  „In mir ist nichts Gutes!“, so sagt derjenige, der sich selbst hasst. Das Böse in dir, Deutscher, das darfst du nie vergessen.

Und damit kommen wir auch schon zum Unterschied zwischen dem Augustinischen Selbsthaß und dem heutigen politisch korrekten deutschen Selbsthaß! Für Augustinus war der Selbsthaß ein notwendiger, schmerzhafter Übergang zu etwas Neuem, etwas Anderem, etwas Schönem. In der deutschen vulgären Geschichtsbetrachtung der Jetztzeit dagegen erscheint die deutsche Geschichte als eine Abfolge von Hassenswertem, also von häßlichen Verbrechen, die wie ein Fluch auf dem ganzen Land lasten.

 

Lesehinweise:
Claus Leggewie: Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt. Verlag C.H. Beck, München 2011, hier bsd. S. 14
David Olusoga und Casper W. Erichsen: The Kaiser’s Holocaust – Germany’s forgotten Genocide. Faber & Faber, London 2010
Frank Brendle: Der Holocaust ist einzigartig. taz online, 19.01.2012
Norman Davies: Categories of people killed in Soviet Russia and the Soviet Union 1917-1953 (excluding war losses, 1939-1945), in: Europe. A History. Pimlico, London, 1997,  S. 1328-1329

Graffito: „Bomber Harris, do it again.“ Aufnahme vom Juli 2016, Schöneberg, S-Bahn-Übergang

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Im dunklen Spiegel des Grabens, oder: Wie wir uns selbst und einander erkennen, oder: Was uns zusammenhält

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Jan 252017
 

Mein Vater sah in den Graben hinab und erkannte zwischen treibenden Schilfblättern und schwappender Entengrütze sich selbst, und dort gewahrte ihn auch der Maler, als er einen Schritt zur Seite machte und dabei in das stehende, nur von schwachen Schauern geriffelte Wasser hinabsah. Sie bemerkten und erkannten sich im dunklen Spiegel des Grabens, und wer weiß: vielleicht rief dies Erkennen eine blitzschnelle Erinnerung wach, die sie beide verband und die nicht aufhören würde, sie zu verbinden…

 

Die deutsche Sprache unterscheidet meist zwischen dem Sich-selbst und dem Sich-Einander, jedoch nicht immer. So ist beispielsweise  in dem Satz „Sie bemerkten und erkannten sich im dunklen Spiegel des Grabens“ im Wortlaut offengelassen, ob sie, die beiden, einander erkannten, ob also der eine den anderen erkannte, oder ob jeder sich selbst erkannte.

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild. Irgendwie könnte man auch sagen: Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse. Was hält uns dieweil zusammen? Wie erkennen wir uns? Wie erkennen wir einander dieweil? Was bindet dieweil uns zusammen? Wir wissen es zumeist nicht, wir ahnen es zumeist nur. Es ist wie bereits gesagt worden ist ein Blick in einen undeutlichen Spiegel, ein rätselhaftes Aufblitzen, es ist ein Sich-Selbst-Erkennen in einem Einander-Erkennen.

Jetzt erkennen wir es nur einem undeutlichen Spiegel, gleichsam in einem geriffelten Wasser, damals erkannten wir es deutlich, und dann werden wir es wieder deutlich erkennen.

Lesen wir den Wortlaut nun  laut vor und lesen wir weiter:

Mein Vater sah in den Graben hinab und erkannte zwischen treibenden Schilfblättern und schwappender Entengrütze sich selbst, und dort gewahrte ihn auch der Maler, als er einen Schritt zur Seite machte und dabei in das stehende, nur von schwachen Schauern geriffelte Wasser hinabsah. Sie bemerkten und erkannten sich im dunklen Spiegel des Grabens, und wer weiß: vielleicht rief dies Erkennen eine blitzschnelle Erinnerung wach, die sie beide verband und die nicht aufhören würde, sie zu verbinden, eine Erinnerung, die sie in den kleinen schäbigen Hafen von Glüserup verschlug, wo sie im Schutz der Steinmole angelten oder auf dem Fluttor herumturnten oder sich auf dem gebleichten Deck eines Krabbenkutters sonnten. Aber nicht dies wird es wohl gewesen sein, woran sie beide unwillkürlich dachten, als sie einander im Spiegel des Grabens erkannten, vielmehr wird in ihrer Erinnerung nur der trübe Hafen gewesen sein, der Samstag, an dem mein Vater, als er neun war oder zehn, von dem glitschigen Tor stürzte, mit dem die Flut reguliert wurde, und der Maler wird noch einmal nach ihm getaucht und getaucht haben, so wie damals, bis er ihn endlich am Hemd erwischte, ihn hochzerrte und ihm einen Finger brechen mußte, um sich aus der Klammerung zu befreien.

   Sie traten aufeinander zu, oben und unten, im Graben und auf der Brücke, gaben sich im Wasser und vor der Staffelei die Hand, begrüßten sich wie immer, indem sie, leicht zur Frage angehoben, den Vornamen des andern nannten: Jens? Max?

Quelle: Siegfried Lenz, Deutschstunde. Roman. Ungekürzte Ausgabe. 26. Auflage, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, September 1993, S. 28-29

Bild: ein Blick in das Horst-Dohm-Eisstadion, Berlin-Wilmersdorf, darin: undeutlich erkennbare Menschen, 15.01.2017

 

 

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Jan 242017
 

I know of no other country in the world that at the heart of its national capital erects monuments to its own shame„, so schrieb es 2014 Neil MacGregor, der damalige Direktor des Britischen Museums in London, heute einer der drei Gründungsintendanten des Humboldt Forums zu Berlin. Wir übersetzen ins Deutsche: „Ich weiß von keinem anderen Land auf der Welt, das im Herzen der Hauptstadt der Nation Denkmäler seiner eigenen Schande errichtet“, und er fährt fort: „Wie das Siegestor in München stehen sie nicht nur zur Erinnerung an die Vergangenheit da, sondern – und das ist wohl sogar noch wichtiger – um sicherzustellen, dass die Zukunft anders sein möge“, im englischen Original: „Like the Siegestor in Munich, they are there not only to remember the past, but – and perhaps even more importantly – to ensure that the future be different.“

Das sind zwei glänzende, wegweisende Sätze, in denen die Janusköpfigkeit unserer typisch deutschen Gedächtniskultur, die Doppelgesichtigkeit der einzigartigen deutschen Vergangenheitsbewältigung – jeder Vergangenheitsbewältigung, so meine ich –  in geradezu klassischer Vollkommenheit ausgedrückt wird. Zugleich stehen sie am Beginn des Buches „Germany. Memories of a Nation“. Und dieses Buch ist nicht anders zu bewerten denn als glänzender, ja genialer Wurf, nicht nur im gesamten Grundansatz, sondern auch bis in kleinste und feinste Details hinein. Kein Deutscher schafft so etwas derzeit! MacGregor bringt sorgfältig ausgewählte Bilder und Gegenstände zum Sprechen, freilich so, dass sie nicht bloß als tote Gegenstände der Vergangenheit ausgestellt, sondern als mahnende und ermunternde Zeugen freigelegt werden. Sie sollen uns ermöglichen die eigene Zukunft zu gestalten, ohne die letzten 10 Jahrhunderte der deutschen und die letzten 35 Jahrhunderte der europäischen Geschichte mit all ihren vielen guten und auch den schlechten Seiten zu vergessen.

Szenenwechsel! Wir sind jetzt in Weimar und schreiben das Jahr 1788.

„Die Götter rächen
Der Väter Missetat nicht an dem Sohn;
Ein jeglicher, gut oder böse, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner Tat hinweg.
Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.“

So – in der Wiedergabe Goethes – die Mahnung des Pylades an Orest. Orest ist gewissermaßen völlig verstrickt in seine dunkle, mit Schandtaten aller Art beladene Vergangenheit, „obsessed with his ancestors‘  past„. Er ist im zweiten Aufzug von Goethes Iphigenie der Inbegriff des schicksalhaft in die Verbrechen seiner Herkunftsfamilie, seiner Sippe und seines Volkes verfangenen Melancholikers; er leidet am kollektiven Schuldgefühl der Atriden, ausgelöst durch die mehrfach begangenen Kapitalverbrechen der Vorfahren. Ihm gegenüber vertritt Pylades den personalistischen Begriff der Schuld, wie ihn in der Bibel beispielsweise der Prophet Ezechiel im 6. Jahrhundert vor Chr. herausgearbeitet hat. Es gibt keine Kollektivschuld und keine kollektive Haftung bei Ezechiel. Auch von der Augustinischen Lehre der Erbsünde oder gar der neopaganen Lehre vom „Tätervolk“ sind wir Lichtjahre entfernt. Nicht die Sippe, nicht das Volk tragen alle Schuld, sondern jeder einzelne Mensch wird von den Göttern – an deren Existenz Ezechiel ebenso wenig wie Goethe zweifelte – nach individuellem Handeln beurteilt.  Goethes Pylades führt hier gewissermaßen diesen prophetisch-christlichen, befreienden Schuldbegriff in die antikisierende Tragödie ein – die eben dadurch aufhört, eine echte Tragödie zu sein.

Zusammen mit der vorzüglichen, von Dieter Borchmeyer besorgten Neuausgabe von Goethes Klassischen Dramen und der monumentalen Arbeit von Peter Watson über den Deutschen Genius fängt MacGregor, so empfinde ich, das ständige Hin und Her, die fortwährenden, sich wiederholenden 180-Grad-Wendungen ein, die jeder gelingenden Gedächtniskultur by necessity nicht nur in Deutschland innewohnen müssen; man kann, man muss gewissermaßen das Schwabinger Siegestor immer wieder von Nord nach Süd und von Süd nach Nord durchqueren, Schande und sittliche Größe in der eigenen Herkunftsgeschichte gleichermaßen ins Auge fassen.

Blickt man hingegen auf den Streit zurück, den deutsche Geistesgrößen damals fast ausschließlich um völlig abstrakte Begriffe wie etwa „Einzigartigkeit“ oder „Unerklärlichkeit“ führten, ohne dass sie je der konkreten deutschen geschweige denn der europäischen Vergangenheit, diesem Medusen- und Juno-Haupt ins Antlitz geblickt hätten, so kann man ermessen, welch riesigen Schritt voran die vier genannten Bücher von MacGregor, Goethe, Ezechiel und Peter Watson darstellen. Watson, Goethe, MacGregor und der Prophet Hesekiel, diese vier sollte man unbedingt zur Kenntnis nehmen, ehe man auf typisch deutsche Art einen bouc émissaire oder whipping boy erwählt.

Gestern legte ich in einem kurzen Augenblick des Innehaltens diese drei frisch erworbenen Bücher, diese guten, verlässlichen Reiseführer und Wandergefährten in der zerklüfteten Landschaft der deutschen Gedächtniskultur zu Füßen der 3500 Jahre alten, hart an der Friedrichstraße mahnenden und wachenden Sphinx ab, ehe ich sie in meine Fahrradtasche packte. Ad multos annos, o Sphinx!

Neil MacGregor: „Monuments and memories“. in: Neil MacGregor: Germany. Memories of a Nation. Published in Penguin Books 2016 (first published  by Allen Lane in Great Britain 2014), S. IX-XXIII, hier S. XXIII

Johann Wolfgang Goethe: Klassische Dramen. Iphigenie auf Tauris. Egmont. Torquato Tasso. Herausgegeben von Dieter Borchmeyer unter Mitarbeit von Peter Huber. Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch, Band 30, Frankfurt am Main 2008, hier v.a. S. 575 (Iphigenie auf Tauris, Vers 713-717)

Peter Watson: The German Genius. Europe’s Third Renaissance, the Second Scientific Revolution, and the Twentieth Century. Simon&Schuster, London 2010

Das Buch Hesekiel/Ezechiel,  Kap. 18, in: Die Bibel

 

 

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Schwingt freudig euch empor – erfrischende Botschaft Japans ans uralte Europa

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Nov 272016
 

„Schwingt freudig euch empor“, so tönt es aus dem fernen Japan zu uns herüber. Bayern 4 Klassik brachte es soeben in mein digitales dümpelndes Kombüsenradio, fast unhörbar leise gestellt, weil ja der Schiffsjunge an Bord noch schlief.

Name der Botschaft, vorgetragen in nahezu akzentfreiem Deutsch:  Kantate am ersten Advent, BWV 36

Träger der Sendung:
Hana Blaziková, Sopran
Robin Blaze, Countertenor
Satoshi Mizukoshi, Tenor
Peter Kooij, Bass
Bach Collegium Japan: Masaaki Suzuki

Erfrischende Erkenntnis, dass zumindest in Japan die überragende Schönheit der Bachkantaten und auch die Klangfülle und Ausdruckskraft der deutschen Sprache noch erkannt und gepflegt wird! Ja, ich lüge nicht, stellt euch vor, dort in Japan, aber auch in England, in den USA, in Tschechien lernen sie – sehr im Gegensatz zu Deutschlands Kindern – noch richtig schönes, klingendes, klangvolles Deutsch, und sei es auch, um eine Bachkantate aufführen zu können.

Motto der Japaner ist: Schwingt freudig euch empor.

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Griaß enk!, oder: Losts enk net übern halen Gupf zu die Fockn in Lettn werfn

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Sep 032016
 

Blick 20160814_131140(0)

Jedem Kenner und Liebhaber der deutschen Sprache muss das Herz im Leibe lachen, wenn er das Gespräch mit den Einheimischen in Südtirol sucht. Kaum zu glauben, dass uralte, im heutigen normierten Hochdeutschen längst geschwundene Formen aus dem alten Kernbestand jeder Sprache – etwa Personalpronomina – dort in der Gegend von Brixen und Bozen heute noch verwendet werden!

Nicht nur einmal begegnete es uns auf Bergeshöhn, wenn wir wieder einmal einen halen Gupf erkletterten, dass wir von ganz jungen Leuten mit „Griaß enk“ begrüßt wurden. „Enk“, das ist eine Form, die mich meine aus Berchtesgaden stammende Mutter sel. noch lehrte! Eine alte, im Althochdeutschen auch noch schriftlich belegte Form für „Euch“, wobei „enk“ den Dativ oder Akkusativ des altbairischen Personalpronomens „es“ bildet, das seinerseits ursprünglich die Dualform der 2. Person Plural bildete! In uralten Zeiten verwendete man „es“ und „enk“ also, wenn man zwei und nur zwei Personen anredete.

Die Südtiroler Mundarten sind äußerst klangvolle, in Satzmelodie und Lautgebung farbenprächtige Spielarten des Deutschen. Von fern gehört, erinnern sie mich in musikalischer Hinsicht in dem melodiösen, oft leicht singenden Tonfall an die Spielarten des Italienischen in Welschland, die ich vor wenigen Monaten im Tal des bergamaskischen Brembo, nur wenige Alpentäler entfernt, an den Tischen  der Wirtshäuser hörte.

Zum Nachlesen und Vertiefen habe ich zwei Bücher mit nachhause gebracht, einen äußerst spannenden Südtirol-Krimi aus dem zwielichtigen Milieu der Spitzengeiger dieser Welt – sowie als wissenschaftliche Begleitung ein Wörterbuch der Südtiroler Mundarten.

Vorerst mag jeder sich an folgender Kostprobe des Deutschen, wie es etwa in Bozen gesprochen wird, die Zähne ausbeißen; sie findet sich am Schluss des genannten Krimis von Robert Adami:

Wenn mir der Graf schlutzig kimp, nor wird der Onkel Theo sierig und wirft nen oi über den haalen Gupf zu die Fockn in Lettn.

Nachweise:

Robert Adami: Der Zwerg im Berg und die Geigerin im Sarg. Kriminalkomödie. Verlagsanstalt Athesia, Bozen 2014, hier bsd. S. 188
Hans Moser: Wörterbuch der Südtiroler Mundarten. In Zusammenarbeit mit Robert Sedlazcek. Athesia-Tappeiner Verlag Verlag, Bozen 2015, hier S. 65

Bild: Auf der Wanderung von Neustift über Schalders zu den Schrüttenseen (1957 m), Blick von einem halen Gupf nach Norden vom Nockbach aus, 14.08.2016. Auf dieser Wanderung (ca. 1500 Höhenmeter) hörte ich das „Griaß enk“ erstmals

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„Der Nebelstreif!“ Von der begnadeten Kunst Jessye Normans

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Jul 262016
 

„Manchmal vermisse ich meine Mutter.“ So schreibt mir ein Freund aus Tel Aviv. So wird es später einmal der Sohn von Antoine Leiris sagen müssen.

Auch ich vermisse meine Mutter immer wieder. Sie hat uns folgendes Lied gesungen. Und wir hatten Angst:

https://www.youtube.com/watch?v=8noeFpdfWcQ

Und manchmal vermisse ich die deutsche Sprache. Nicht irgend ein Gequassel oder Geplärre, wie es aus den Subwoofern der Multiplex-Kinosäle oder aus den High-Voltage-Jammern der üppigst hochgerüsteten deutschen Theaterbühnen ertönt.

Sondern…? Sondern was?

Eine deutsche Aussprache, die ohne Mikrophon und ohne Verstärkung Säle und Kirchen durchdringt. Eine Lautung, bei der du innehältst. Bei der du sagst: Ja … hier spricht noch jemand gutes Deutsch. Endlich singt jemand noch gutes Deutsch.

Wohlgeformte, deutlich hörbare Konsonanten, Vokale, die eine Stimmung, einen Schauder, ein Entzücken entstehen lassen.

Ein fast unerreichtes Vorbild für die heutigen deutschen Sänger in dieser Kunst dürfte Jessye Norman sein. Obwohl oder vielleicht weil Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, stellt die oben verlinkte Interpretation des Erlkönigs von Schubert mindestens in meinen Ohren ein Besser-geht-es nicht-mehr dar. Wort und Klang, Laut und Sinn sind hier so verschmolzen, dass ich nicht anders kann als mich beglückt zu empfinden.

Gäbe es doch noch einen Schauspieler, der beispielsweise den Eingangsmonolog aus dem Faust II ähnlich gut darzustellen vermöchte! Klaus Maria Brandauer war so einer!

Diese unvergleichliche Kunst, das berühmte Kunstlied eines Schubert, eines Schumann, eines Brahms hatte früher in Deutschland seine Heimstatt. Aber sie verschwindet. Sie droht bei unserer Jugend ganz verlorenzugehen, zusammen mit dem Singen überhaupt.

Was bleibt, ist Geplärre, Gedudel, Genuschel.

 

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Göttin Sprache

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Feb 232016
 

DIE SPRACHE

An Carl Friedrich Cramer

Des Gedankens Zwilling, das Wort scheint Hall nur,
Der in die Luft hinfließt: heiliges Band
Des Sterblichen ist es, erhebt
Die Vernunft ihm, und das Herz ihm!

Und er weiß es; denn er erfand, durch Zeichen
Fest, wie den Fels, hinzuzaubern den Hall!
Da ruht er; doch kaum, dass der Blick
Sich ihm senket, so erwacht er.

Es erreicht die Farbe dich nicht, des Marmors
Feilbare Last, Göttin Sprache, dich nicht!
Nur weniges bilden sie uns:
Und es zeigt sich uns auf Einmal.

[…]

Diese ersten drei von insgesamt zwölf Strophen bezeugen den tiefen Glauben an die Kraft des Wortes, an den gleichsam göttlichen Rang der Sprache. Geschrieben hat dieses Gedicht Friedrich Gottlieb Klopstock. „Klopstock!“, wie es in Goethes Werther so vielsagend heißt! Das Wort Klopstocks lebt, es ist lebendig, es schafft, es bindet, es urteilt, verurteilt. Das Wort, es verzeiht, es löst, es erlöst. Schon die ältesten Zeugnisse der Kulturen der Welt, für uns faßbar etwa im Buch Genesis, bezeugen die gleichsam göttliche Macht des Wortes, dieses ewige „ES WERDE“ der zeitenumspannend verwandelnden Sprache. Das gesprochene, schaffende, gewissermaßen göttliche Wort trieb Dichter wie Klopstock und Goethe an, ihre Huldigung an die Sprache in unendlich viele Rätsel und Verse zu gießen.

Nur zwei dieser Gedichte und Rätsel davon nahmen wir uns gestern und heute vor. Aber es gibt deren noch Tausende, in tausend anderen Sprachen! Von tausend anderen Dichtern!

Beleg:
„Die Sprache“, in: Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Karl August Schleiden. Nachwort von Friedrich Georg Jünger. Band I. Carl Hanser Verlag München. Lizenzausgabe für Fourier Verlag Wiesbaden, o.J., S. 131-132

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„Ich bin Sozial-Demokrat und sonst nichts“. Trotzkis Absage an das Judentum

 1917, Deutschstunde, Hebraica, Lenin, Russisches, Vergangenheitsunterschlagung  Kommentare deaktiviert für „Ich bin Sozial-Demokrat und sonst nichts“. Trotzkis Absage an das Judentum
Feb 192016
 

„Miteinander verwoben“, so lässt sich treffend das Schicksal der Russen, der Juden und der Deutschen im 20. Jahrhundert bezeichnen. Dafür gibt es Hunderttausende Geschichten, hunderttausende persönliche Erfahrungen, hunderttausende Fäden in diesem unzertrennlichen Gespinst an Fakten, Familiengeschichten, Mythen, Märchen und Wahrheiten.

Nehmen wir Lenin! Lenin war gewissermaßen „Halb-Deutscher“, seine Vorfahren waren mütterlicherseits deutscher Abstammung, er sprach fließend Deutsch. Die Oberste Heeresleitung des Deutschen Reiches setzte große Hoffnungen auf diesen russischen Berufsrevolutionär, sie beförderte ab April 1917 aktiv den Oktober-Staatsstreich der Bolschewiki, da die demokratische Russische Revolution des Februars 1917 wider Erwarten nicht zur Kapitulation Russlands geführt hatte; die Deutschen schafften Lenin zusammen mit 30 weiteren Genossen in einem „Russentransport“, wie sie es nannten, ab 9. April 1917 von Zürich nach Petrograd und trugen somit proaktiv zum gewaltsamen Putsch der Bolschewiki gegen die legitime Regierung und zur Zerstörung der ersten Demokratie auf russischem Boden bei. Der ersten Republik auf russischem Boden waren also nur wenige Monate Existenz beschieden. Möglicherweise hätte sich die Demokratie in Russland halten können, wenn die deutsche Heeresleitung 1917 nicht alles daran gesetzt hätte, dem alten Russland mit viel Geld und der Hilfe Lenins den vernichtenden Todesstoß zu versetzen – und zwar von innen heraus.

Oder nehmen wir Trotzki, den Mann, der die Rote Armee zu einem scharfen Schwert des Terrors schmiedete und der sich brüstete, erst dann herrsche echter Hunger, wenn er „den Müttern befehlen würde, ihre eigenen Kinder zu verspeisen“! Seine Vorfahren waren sowohl auf Mutterseite wie auf Vaterseite Juden, die Mutter war gläubige, praktizierende Jüdin, der Vater, ebenfalls jüdischer Volkszugehörigkeit, hingegen war säkular eingestellt. Russisch und Jiddisch, also das im Osten Europas gesprochene Judendeutsch, hörte Leo Dawidowitsch Bronstein, der spätere Trotzki, von Kindesbeinen an; in Odessa besuchte er das Gymnasium der evangelischen St.-Pauls-Gemeinde, wo er zunächst einmal Hochdeutsch lernen musste, um dem Unterricht folgen zu können. An dieser deutschen Real-Oberschule legte er als Klassenbester das Abitur ab. Wie Lenin sprach auch Trotzki Deutsch, man kann im Internet heute noch eine in Wien gehaltene Ansprache Trotzkis in deutscher Sprache hören. Denn Deutsch war zunächst einmal die allgemeine Verhandlungssprache der internationalen kommunistischen Bewegung auf dem europäischen Kontinent.

Oder nehmen wir Theophil Richter, den deutschen Vater des russisch-deutschen Pianisten Swjatoslaw Richter! Er wirkte ab 1916 an eben dieser genannten deutsch-lutherischen St.-Pauls-Gemeinde zu Odessa als Organist; 1941 wurde er wie vor ihm und nach ihm Hunderttausende andere deutsche, jüdische und russische Sowjetbürger und Sowjetbürger anderer nationaler Minderheiten ohne Gerichtsverfahren von der kommunistischen Geheimpolizei durch Erschießen hingerichtet. Swjatoslaw Richter beschloss daraufhin, den Kontakt zu seiner russischen Mutter einzustellen, und er sprach jahrzehntelang nicht mehr mit ihr.

Trotzkis Mutter war gläubige, praktizierende Jüdin, sein Vater war im russischen Reich der Volkszugehörigkeit nach ebenfalls Jude, also, wie alle russischen Juden vor dem Februar 1917, ein Staatsbürger zweiter Klasse. Die Eltern stellten die Unterhaltszahlungen an ihren Sohn ein, als Lew Davidowitsch Bronstein sich nach dem Abitur dem revolutionären Kampf anschloss und in die Illegalität ging.

War er, Trotzki, wie er sich nunmehr nannte, also selbst Jude, oder hatte er sich vom jüdischen Volk losgesagt? War er ein „Abtrünniger“? Er wurde dies tatsächlich einmal gefragt, ob er sich zum Judentum zähle. Seine historisch verbürgte Antwort, wie sie Sonja Margolina in ihrem noch heute erstaunlichen, auf Deutsch erschienenen Buch „Das Ende der Lügen“ wiedergibt: „Ich bin Sozial-Demokrat und sonst nichts.“

Lesehinweise und Belege:
Sonja Margolina: „Der nichtjüdische Jude“, in: dieselbe, Das Ende der Lügen. Rußland und die Juden im 20. Jahrhundert. Siedler Verlag, Berlin 1992, S. 95-102, hier S. 100 (Trotzki-Zitat)
Leo Trepp: Die Juden. Volk, Geschichte, Religion. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1999, S. 16 und S. 378 (zur Frage: Was ist denn ein Jude?)
Jan Brachmann: Schockstarre Ohren für diesen Heiligen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. März 2015 (über Theophil Richter, den deutschen Vater Swjatoslaw Richters)
Harald Haarmann: „Europasprachen“, in: derselbe, Soziologie und Politik der Sprachen Europas. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1975, S. 240-248, hier S. 247 (Sprachkenntnisse Lenins)
Hugo Portisch: Hört die Signale. Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus. dtv, München 1993, S. 32 (Mitteilung der OHL an Kaiser Wilhelm vom 12.04.1917 über den „Russentransport“)

http://pda.litres.ru/svetlana-aleksievich/vremya-sekond-hend/chitat-onlayn/, darin:
„Hungerzitat“ Trotzkis:
«Москва буквально умирает от голода» (профессор Кузнецов — Троцкому). «Это не голод. Когда Тит брал Иерусалим, еврейские матери ели своих детей. Вот когда я заставлю ваших матерей есть своих детей, тогда вы можете прийти и сказать: “Мы голодаем”» (Троцкий, 1919).

Robert Service: Trotsky. A biography. Pan Macmillan Books, London 2010, Abbildung Nr. 14, digitale Ausgabe Pos. 15528
(handschriftliche Selbstauskunft Trotzkis zu seiner Volkszugehörigkeit als Jude aus dem Jahr 1922 anlässlich des 10. Kongresses der Sowjets)

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Feb 132016
 

Morgen ist der 14. Februar, der Gedenktag der beiden Slawenapostel Kyrill und Method, die zweifellos ebenso bedeutend sind wie der Bischof Valentin, der Bischof von Interamna, dem heutigen Terni in Umbrien, der neben Ambrosius von Mailand einer der Schutzpatrone der Imker (und neuerdings der Chocolatiers und Pralinenhersteller) ist, wovon gerade heute wieder zahlreiche Poster und Plakate kündeten.

Nun Kyrill und Method, beide aus dem griechischen Thessaloniki stammend! Sie sind gewissermaßen die Patrone der orthodoxen, der slawischen Spielart des Christentums. Kyrill schuf die glagolitische Schrift, aus der sich die heutige kyrillische Schrift ableitet.

Unter der „Griechischen“ Religion verstand man zu den Zeiten eines Grimmelshausen die orthodoxe Spielart des Christentums; hinwiederum die „Lateinische Religion“ wäre demnach die westliche Religion, das „Abendland“, das das Neue Testament in einer Ableitung, also in der lateinischen Übersetzung des griechischen Urtextes empfing.

Ein schöner Beleg für die beiden gleichberechtigten Lungenflügel Europas, von denen Papst Johannes Paul II. oft sprach! Die östliche Hälfte Europas empfing das Neue Testament aus dem Griechischen; die Slawenapostel Kyrill und Method formten das kyrillische Alphabet nach dem griechischen Alphabet und übersetzten aus der Weltsprache Griechisch ins damalige Slawische, das „Alt-Bulgarische“, oder auch „Altkirchenslawische“, wie es heute meist genannt wird.

Unter unseren europäischen und nahöstlichen Mitvölkern sind es beispielsweise die Bulgaren, die Russen, die Griechen, aber auch viele syrische Christen, die bis heute das orthodoxe Christentum mit seinen „autokephalen“, also von einer zentralen Amtskirche unabhängigen Patriarchen weitertragen. In gewisser Weise sind also die ostkirchlichen Patriarchate die Vorbilder der viel späteren lutherischen oder reformierten „Landeskirchen“.

Im Jahr 1054 kam es zu einem tiefen Bruch zwischen den beiden Lungenflügeln, der erfreulicherweise in diesen Tagen allmählich zusammenzuwachsen scheint. Es wurde aber auch Zeit. Ich habe selbst dem heutigen Patriarchen Kyrill im Jahre 2014 bei einer Messe in der Moskauer Erlöserkathedrale gelauscht und fand, dass jedes seiner Worte auch für einen abendländisch-lateinischen Christen völlig nachvollziehbar und glaubwürdig war. Die beiden gleichberechtigten Spielarten – die morgenländische und die abendländische – sind geeint in der Person Jesu Christi und im Geist und im Buchstaben der Bibel. Das ist das Wesentliche. Auch die Taufe erkennen sie gegenseitig an.

Grimmelshausen beschreibt im 5. Buch seines Simplicissimus sehr lebendig und amüsant, wie der Held auf seiner kriegerisch-abenteuerlichen Tour in Moskau aufgefordert wird, vom lateinischen Glauben zur griechischen Spielart der christlichen Religion überzutreten. Er widersteht, so sehr ihm aus Opportunitätsgründen der Konfessionswechsel auch zupaß gekommen wäre.

Hier der ganze Passus in der Fassung des Erstdruckes:

Nach dem wir nun sicher in der Statt Moscau ankommen / sahe ich gleich daß es gefehlt hatte / mein Obrister conferirte zwar täglich mit den Magnaten, aber viel mehr mit den Metropoliten als den Knesen / welches mir gar nicht Spanisch / aber viel zu pfäffisch vorkam; so mir auch allerhand Grillen und Nachdenckens erweckte / wiewol ich nicht ersinnen könte / nach was vor einem Zweck er zielte; endlich notificirt er mir / daß es nichts mehr mit dem Krieg wäre / und daß ihn sein Gewissen treibe die Griechische Religion anzunehmen; Sein treuhertziger Rath wäre / weil er mir ohne das nunmehr nicht helffen konte wie er versprochen / ich solte ihm nachfolgen; Deß Zaarn Mayestät hätte bereits gute Nachricht von meiner Person und guten Qualitäten / die würden gnädigst belieben / wofern ich mich accommodiren wolte / mich als einen Cavallier mit einem stattlichen Adelichen Gut und vielen Unterthanen zu begnädigen; Welches allergnädigste Anerbieten nicht außzuschlagen wäre / in deme einem jedwedern rathsamer wäre / an einem solchen grossen Monarchen mehr einen allergnädigsten Herrn / als einen ungeneigten Groß-Fürsten zu haben; Jch wurd hierüber gantz bestürtzt / und wuste nichts zu antworten / weil ich dem Obristen / wann ich ihn an einem andern Ort gehabt / die Antwort lieber im Gefühl als im Gehör zu verstehen geben hätte; muste aber meine Leyer anders stimmen / und mich nach dem jenigen Ort richten / darinn ich mich gleichsam wie ein Gefangner befande / weßwegen ich dann / ehe ich mich auff eine Antwort resolviren konte / so lang stillschwi>
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ge: Endlich sagte ich zu ihm / ich wäre zwar der Meinung kommen / ihrer Zaarischen Mäyestät / als ein Soldat zu dienen / warzu er der Herr Obriste mich daselbst veranlaßt hätte / seyen nun Dieselbe meiner Kriegsdienste nicht bedörfftig / so könte ichs nicht ändern / viel weniger Derselben Schuld zumessen / daß ich Jhrentwegen einen so weiten Weg vergeblich gezogen / weil sie mich nicht zu Jhro zu kommen beschrieben / daß aber Dieselbe mir ein so hohe Zaarische Gnad allergnädigst widerfahren zu lassen geruheten / wäre mir mehr rühmlich aller Welt zu rühmen / als solche allerunterthänigst zu acceptiren und zu verdienen / weil ich mich meine Religion zu mutiren noch zur Zeit nicht entschliessen könne / wünschend / daß ich widerumb am Schwartzwald auff meinem Bauren-hof sässe / umb niemanden einiges Anligen noch Ungelegenheiten zu machen;

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