Η Ευρώπη είναι το σύμβολο της Ευρώπης; – Ist Europa das Symbol Europas?

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Jun 232015
 

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… sic et Europe niveum doloso
credidit tauro latus…

„… so vertraute Europa auch dem listigen Stier
an die schneeweiße Hüfte…“

So besingt ein europäischer Dichter, Quintus Horatius Flaccus, das Schicksal Europas (Ode 3,27). Europa, mit einem erlesenen Sinn für Schönheit, für Natur, für Vielfalt und für Freundschaft unter den Menschen begabt, steht bei Horaz symbolisch für Europa im Zeichen der europäischen Kulturen, der europäischen Natur, der europäischen Schönheiten und der Solidarität.

Im Blick auf Europa dürfen wir sagen: Europa ist da stark und überzeugend, wo der Sinn für Freundschaft, Schönheit und Kultur gedeiht, wo Vielfalt nicht zertrampelt wird, sondern sprießt und wo Europa nicht unter das Joch der Gewalt gespannt wird.

Als blumenpflückende Prinzessin stellt auch Bernardino Luini, der Zeitgenosse Martin Luthers, um das Jahr 1522 Europa dar. Wir sehen Europa beim Blumenpflücken. Wie schön: Europa im Frieden! Frieden für Europa – das wollen wir doch alle!

Doch dieses Idealbild Europas ist gefährdet. Ein scheinbar zutraulicher, scheinbar zahmer Stier nähert sich Europa. Was führt er im Schilde? Der Zeichner Luini zeigt es uns nicht; die furchtbare Vergewaltigung und Entführung Europas bleibt unseren Augen erspart.

Im Blick auf die heutige Lage dürfen wir sagen: Der Stier, der Europa auf die Hörner nimmt, vergewaltigt und entführt, steht symbolisch für die Macht des Einen, für die zügellose Herrschaft. Es ist der Inhaber der Macht selbst, der sich als angreifender Stier verkleidet hat, um Europa zu vergewaltigen. Nicht umsonst steht der angreifende Stier, the Charging Bull, als Monument für die Macht am Bowling Green. Der Stier der verführerischen, unterjochenden Macht des Geldes hat Europa auf die Hörner genommen.

Europa steht symbolisch für ein Europa der Vielfalt, der Blüte der Kulturen, ein Europa der Achtung der Menschenrechte. Die Königstochter Europa steht für ein Europa des Wortes und der Kultur. Und Europa will den Frieden.

Der Stier der Macht hingegen steht für Zwang, Herrschaft, Gewalt, Unterjochung, Zwangsehe. Aus den Hörnern des Stiers gibt es kein Entkommen. Der Stier – er mag als europäisches Schwert, als europäisches Reich, als zügellos herrschendes Geld erscheinen – kennt keine Bindung an das Recht. Er holt sich, was er will.

Europa? Ist das nicht unser Kontinent? Richtig – es ist Europa, von dem Europa den Namen hat.

Europa, Tochter des Königs Agenor, ist das Symbol Europas.

Ein Schöneberger fragt: Ist also nicht der Euro, sondern Europa das Symbol Europas? Antworte mir, Kreuzberger!

Einige Quellen Europas:
Das Gedicht von Horaz ist z.B. hier publiziert:
Q. Horati Flacci opera. Ediderunt Edvardus C. Wickham et H.W. Garrod. Oxonii, 1975, carminum liber III, carmen XXVII.

Bild: Europa und ihre Gefährtinnen beim Blumenpflücken. Zeichnung, Pinsel in Braungrau, weiß gehöht. Entwurf für Fresko in der Casa Rabia in Mailand. Foto Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin. Fotograf/in: Volker H. Schneider

Die Zeichnung Bernardino Luinis ist hier publiziert:
„Europa und ihre Gefährtinnen beim Blumenpflücken.“ In: Arkadien. Paradies auf Papier. Landschaft und Mythos in Italien. Für das Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin. Ausstellungskatalog hgg. von Dagmar Korbacher mit Beiträgen von Christophe Brouard und Marco Riccòmini. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014, S. 216-217

Eine Website mit dem angreifenden Stier – The CHARGING BULL – findet sich hier:
http://chargingbull.com/

Die Geschichte Europas steht hier:

Η Ευρώπη

Source: Ευρώπη (μυθολογία) – Βικιπαίδεια

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Feder und Pinsel in Braun, laviert. 33,1 x 22,9

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Dez 272014
 

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Ein unerwartetes, unverdientes Geschenk, bei dem ich staune und dankbar bin: vor mir liegt die Ablichtung einer kleinformatigen Zeichnung Giambattista Tiepolos, wohl in zwei oder drei Stunden hingeworfen, irgendwann zwischen 1754 und 1762. „Feder und Pinsel in Braun, laviert.“ Ich schaue: Der markante Kopf des Mannes erinnert mich an den Teppichhändler Abdias, von dem Adalbert Stifter erzählt hat, erinnert an einen Mann, der lange in der Hitze gelebt hat, der lange umhergezogen ist. Hinter ihm meine ich schwach das Bellen der Wüstenhunde zu hören. Seinem Mund merkt man an, dass er lächeln muss, obwohl er nicht lächeln wollte. Er lächelt unwillkürlich! Die Augen der Frau sind verdeckt durch den Schleier. Wer wollte ihr jetzt in die Augen sehen? Die unsäglichen Mühen der Geburt liegen hinter ihr; es ist doch gerade erst geschehen. Hinter meinem „Abdias“ beugt sich ein dritter Erwachsener hinzu, ein Zeuge, der eher zurückweicht. Er weiß noch nicht, ob er gemeint ist, oder ob ihm nicht etwas widerfahren könnte, wodurch ihm Hören und Sehen vergeht. Rechts hinter und über den drei Erwachsenen ragt ein roh gezimmertes Kreuz auf.

Alles ist weich hineingezeichnet in das Papier, wie man ein schwaches neugeborenes Kind hineinlegt in wärmende Hände. Was mag daraus werden? Niemand weiß es. Und doch hat der Zeichner in Umrissen viele frei lavierende Geschichten hineingelegt – nein, nicht er hat sie hineingelegt! Wir legen sie lavierend im Fahrwasser, lavierend in den Strudeln des Lebens hinein.Wir können diese Geschichte aufgreifen, weiterführen, hinauserzählen. Ein unverhofftes, plötzliches Geschenk, hineingezeichnet mit wenigen Strichen, in nicht mehr als in zwei oder drei Stunden, mit Feder und Pinsel in Braun, auf 33,1 mal 22,9 cm.

Bild: Gasometer in Berlin-Schöneberg, Aufnahme vom Balkon einer Wohnung, 27.12.2014. Abends: Künstliche Lichter, darüber der Mond

 

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Nov 292014
 

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1. Metanoia – Umdenken, Umwenden, das innere Ruder herumwerfen – das mag wohl der Sinn des alten, heute außer Gebrauch gekommenen  Wortes Reue sein. Jesaja, Jeremia, aber auch Johannes der Täufer erhoben diese Haltung der Umkehr zum Grundmotiv. Griechisch lautet das Wort metanoia. Es dient als Übersetzung des hebräischen schuv oder teschuwa. Johannes erwartet von den Machthabern, dass sie mit der Reue, mit dem Um-Denken, bei sich selbst anfangen. Er misstraut der Macht, er bestreitet, dass Macht das Recht setzt, er verlangt, dass der Mächtige sich dem, was recht und billig ist, unterordnet. Kein König, kein Herr steht über dem Recht. Keiner darf sich zügellos über die Weisung hinwegsetzen.

2. Die Metanoia strafft gewissermaßen die Zügel beim Zügellosen. Schau sie dir an! Du siehst sie hier in diesem Bild der 1980 in Istanbul geborenen Künstlerin Yaşam Şaşmazer. Der Zügellose hat die Orientierung verloren. Er liegt platt auf der Erde. Hinter ihm die Metanoia. Sie versucht ihn aufzurichten. Aber er lässt sich fallen, er stellt sich tot. Wir betrachteten das ungleiche Gespann des Unbußfertigen und der Metanoia, als wir unterwegs zum Joseph Roth in der Potsdamer Straße waren .

3. Als Frucht der „metanoia tedesca“, der deutschen Umkehr, der deutschen Buß und Reu, wertet der italienische Politologe Angelo Bolaffi in seinem Buch Cuore tedesco den Erfolg der Bundesrepublik Deutschland – sie stelle das einzige erstrebenswerte Vorbild für die dringend gebotene Neuordnung der Europäischen Union dar: l’unico modello di riferimento che abbia dato buona prova di sé dal punto di vista della giustizia sociale e dell’efficienza economica.

4. Kommt Reue eigentlich im Euro-Wortschatz vor? Euro!  Reue! Beide Wörter klingen so ähnlich! Und doch sind sie unendlich weit voneinander weg. Ich schlug dazu das Euro-Wörterbuch des Langenscheidt-Verlages auf, als ich an der Ausstellung Metanoia  vorbeigelaufen war. Mich interessierte, wie man Metanoia ins Türkische übersetzt. Fehlanzeige! Gab es denn wirklich keinen Platz für das Wort Reue im Euro-Raum? Nein, in der Tat fehlt zwischen den Einträgen „Rettungsring“ und „Revanche“ das Wort „Reue“ im Euro-Wörterbuch.

5. Und doch wäre die tätige Reue der Rettungsring, der den Kreislauf aus Niederfallen und Revanche aufbrechen könnte.

6. Forse abbiamo bisogno di una metanoia europea. Wir brauchen wohl ein europäisches Umdenken.

Beweise:
Yaşam Şaşmazer: Metanoia.  Ausstellung in der Galerie Berlinartprojects, Berlin, Potsdamer Str. 61, 19.09.-31.10.2014
Langenscheidt Euro-Wörterbuch Türkisch. Langenscheidt Verlag KG, Berlin und München 1999, S. 481
Angelo Bolaffi: Cuore tedesco, Roma 2013, S. 254

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Was ist Galizien: ein Arkadien, ein Halb-Asien oder eine österreichische Erfindung?

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Nov 202014
 

Mein hochgeschätzter galizischer Freund – nennen wir ihn der Kürze halber den Joseph aus Schwabendorf – erzählte mir en passant vor einigen Tagen in der Potsdamer Straße, wie es ihm einmal ergangen war, als er des Abends in einer unbekannten Stadt in Galizien ankam:

„Die Aprilnacht, in der ich ankam, war wolkenschwer und regenschwanger. Die silbernen Schattenrisse der Stadt strebten aus losem Nebel zart, kühn, fast singend gegen den Himmel. Fein und dünngelenkig kletterte ein gotisches Türmchen in die Wolken.Die dottergelbe Scheibe der erleuchteten Rathausuhr hing, wie an einem unsichtbaren Seil, in der Luft. Um den Bahnhof roch es süß und trunken nach Steinkohle, Jasmin und atmenden Wiesen.“

Ich sagte zum Joseph:
„Joseph! Mein teurer europäischer Freund, das ist schön, das ist haltbar, das ist ergreifend, das klingt wie gedruckt, was du mir hier erzählst. Joseph, lieber Joseph mein, hilf mir wiegen das europäische Kindelein in den luftigen Seilen deiner geliebten deutschen Mutter- und Arbeitssprache!“

Und der Joseph erwiderte: „Deutsch ist in der Tat meine Mutter- und Arbeitssprache. Das hast du gut erkannt – o Freund aus der Schwabenmetropole“,  und er fügte – leiser, verhaltener – hinzu: „Wir Schwaben müssen gute Freunde bleiben, trotz allem, was geschehen ist.“

Ich fragte zurück:
„Lieber Joseph mein, hast du denn schon die schöne Ausstellung über dein schön Heimatland Galizien im Kulturzentrum Krakau besucht? Dort wird gefragt, ob dein schön Heimatland Galizien ein Arkadien, ein Paradies, ein Halb-Asien oder ein zentrales Element der polnischen Identität oder ein zentrales Element der ukrainisch-europäischen Identität oder eine Erfindung der Österreicher war. Was meinst du?“

Joseph erwiderte: „Diese Ausstellung kommt zu spät für mich. Ich kann sie nicht mehr sehen.“

Ich redete weiter: „Ach! Du lebst ja nicht mehr unter uns Schwaben, Joseph. Deine Stimme ist die Stimme eines, der schon gegangen ist. Aber wenn ich dich so erzählen höre – es muss doch eine goldene Zeit gewesen, als ihr alle – Polen, Juden, Russen, Ukrainer, Schwaben, Österreicher, Rumänen, Ungarn, Ruthenen – so friedlich und harmonisch zusammenlebtet in deinem schönen Heimatland? Sogar die erleuchteten Kirchturmuhren strahlten golden, wie du mir gerade erzählt hast!“

Joseph schwieg und schaute mir mitleidig prüfend ins Auge. Ich hatte wohl zu viel geredet.

„Du hast nicht genau zugehört, teurer Freund aus der Schwabenmetropole! Es war keine Kirchturmuhr, sondern eine Rathausuhr, und sie strahlte nicht golden, sondern dottergelb. Ein Unterschied! Dottergelb – die Farbe der Habsburgermonarchie.“

Mein galizischer Freund fuhr nach kurzem Bedenken fort: „Und noch etwas zum Thema goldene Zeit. Du irrst dich, wenn du glaubst, alles wäre goldig gewesen in Galizien. Manches war auch – glodny, wie der Ruthene sagt. Mach dich mal lockerer zum Thema Goldene Zeit. Kennst du denn nicht die folgenden Einsichten eines Schriftstellers, den wir noch lasen? Sie werden dich und mich überdauern. Höre:

Mein Freund, die goldne Zeit ist wohl vorbei: allein die Guten bringen sie zurück; und soll ich dir gestehen wie ich denke, die goldne Zeit, womit der Dichter uns zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war, so scheint es mir, so wenig als sie ist.

Und war sie je, so war sie nur gewiß, wie sie uns immer wieder werden kann. Noch treffen sich verwandte Herzen an und teilen den Genuß der schönen Welt. Nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund, ein einzig Wort: Erlaubt — „

Hier schwieg Joseph. Er sprach nicht weiter. Er ließ den Wahlspruch offen.

Ich schwieg. Ich kannte den Schriftsteller nicht, aus dem er zitierte. Wer mochte der unbekannte Autor sein? Wie lautete der Wahlspruch? Was war erlaubt? Ich war ratlos. Ich musste den Wahlspruch selbst ergänzen. Ergänze du ihn!

Hier noch der Hinweis auf zwei Ausstellungen zu unserem Thema:

The Myth of Galicia. Ausstellung im Kulturzentrum Krakau, noch bis 8. März 2015
Arkadien. Paradies auf Papier. Berlin 2014, 7. März bis 22. Juni 2014

Hinweis entnommen dem aktuellen Economist, November 15-21st 2014, Seite 75: Central European history. A successful Austrian Invention. Exploring the myth of Galicia.

One is an Arcadian view of a mythical land of immense cultural, ethnic and linguistic richness, the cradle of enlightenment and Jewish emancipation and the birthplace of Joseph Roth, Manès Sperber and the parents of Sigmund Freud. The other is the idea of Galicia as Halb-Asien, half-Asia, as the Austrians called it, a barbaric place inhabited by strange people of questionable personal hygiene.

via Central European history: A successful Austrian invention | The Economist.

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Terzo Mondo: Mageds Klang der Farben

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Sep 082014
 

Starke, kräftige Farben verwendet Maged Houmsi, der Maler, dessen Ausstellung im Terzo Mondo in der Grolmannstraße ich am vergangenen Freitag zur Eröffnung besuchte.

Unter seinen Bildern entspringt sofort der Quell des Gesprächs.  Ich spreche bekannte und unbekannte Menschen an. Überall ergibt sich ein lockeres Geplauder, aber auch tiefe, in den Brunnen der Seele tauchende Gespräche.

Mohamed Majdeddin Houmsi, 1962 in Syrien/Aleppo geboren, lebt seit 1980 in Berlin. Seine Ausstellung im Terzo Mondo läuft bis 31.10.2014.

Jeder, der dort hingeht, kann diesen Sprung in die Freiheit, ausgelöst durch den Klang der Farben, erleben!

via Klang der Farben – Mohamed Majdeddin Houmsi – Terzo Mondo – Taverne • Galerie • Bühne.

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Original, Plagiat, Fälschung, Kopie?

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Aug 232014
 

Liebesfest 2014-08-22 15.25.00

 

 

 

 

 

 

 

 

Unter einem Bündel neben der gelben Recycling-Wertstoff-Tonne achtlos daliegenden Zeitungspapiers, das offenkundig aus Süddeutschland stammte, fand ich gestern auch dieses Bild, das ihr hier oben sehen könnt. Original, Plagiat oder Fälschung? Reproduktion oder Variante aus Künstlerhand? Manches kam mir bekannt vor: ich erkannte sofort, dass es sich um eine Art Liebesfest handeln musste, wie sie Antoine Watteau gerade um das Jahr 1718 herum so gern malte.  Allerdings stimmen die Farben des Fundstückes nicht ganz.

Das Original in der Dresdener Gemäldegalerie misst 61 mal 75 Zentimer, ist also deutlich größer als das gestern gefundene Exemplar. Die Farben hatte ich pastoser in Erinnerung. Die Brauntöne schienen mir bei Watteaus Werk kräftiger, dunkler, gefährlicher.  Hier dagegen verschwimmt alles mehr oder minder, zart und unbedrohlich wirkt die Liebe, eine Konvention mehr denn eine Naturgewalt.

Wie dem auch sei, Watteau löste im Sachsen des 18. Jahrhunderts eine regelrechte Watteau-Mode aus, die Meißener Porzellanmanufaktur konnte eigene Maler anstellen, die sich reichlich bei Watteau bedienten – Orginal, Kopie, Recycling, Fälschung, Plagiat, Übersetzung? Wer vermag das zu beurteilen?

 

 

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Mutter. Das kürzeste (und längste) Gedicht der Welt

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Jul 262014
 

Mutter

Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.
Sie schmerzt nicht immer. Und es fließt
das Herz sich nicht draus tot.
Nur manchmal plötzlich bin ich blind und spüre
Blut im Munde.

Soweit das meines Wissens allerkürzeste Gedicht, das Gottfried Benn uns hinterlassen hat. Ausgerechnet Benn, der doch um reimende, wohlgesetzte Hirtengesänge, dämmernde, treibende nie verlegen war, der langatmige Wortgeröllhaden aufschütten konnte – Benn! … und dazu fielen dir, zu ihr fielen dir nur die 6 kargen Zeilen ein? Sah so deine Mutterliebe aus? Wie lange schriebst du an diesem Gedicht, das es in fast keine Auswahlausgabe deiner Gedichte geschafft hat? Ist Mutter das unbedeutendste deiner dichterischen Themen? Oder das schwierigste?

Vor nicht langer Zeit betrachtete ich einmal Dürers Zeichnung „Mutter“, die ja der Politaktivist Klaus Staeck für eigene propagandistische  Zwecke so großzügig unters Volk gebracht hat. Ich entzifferte unter kundiger Anleitung die Notizen, die der Sohn an den Rand der Zeichnung gesetzt hat. Dürer sann der Mutter nach. Er wollte sie in ihrem 63 Jahre alten Gesicht,  in ihrer schönen, anmutigen Zerfurchtheit hervortreten lassen. Dürer, der sonst so geschäftstüchtige, trieb keine Propaganda für Mutter. Ich glaube, er wollte sich der Person der Mutter unverstellt und ohne Hintergedanken widmen. So sah seine Mutterliebe aus.

Mit Aufgeld satte 353 000 Euro gingen über den Tisch des Wiener Auktionshauses Im Kinsky, die das Frankfurter Städel für Medardo Rossos 52,5 cm hohe Kleinplastik Aetas aurea (Das goldene Zeitalter)  im Mai dieses Jahres hingeblättert hat. Es ist eine Mutter-Kind-Darstellung, die 1885 entstand, und in welcher Medardo Rosso seinen kleinen Sohn Francesco in inniger Einheit mit der Mutter darstellt. Eine zärtliche goldene Patina umgibt den Bronzeguss; der Künstler hat sie selber aufgetragen. Der soeben neu Geborene löst sich behutsam aus dem Körper der Mutter heraus, sein Antlitz ist erst umrisshaft, schattenhaft zu erkennen.

Drei Mal dasselbe Thema – drei unterschiedliche Versuche, die erste, prägende, in gewisser Weise schicksalhafte Beziehung jedes Menschen einzufangen. Gottfried Benn, Albrecht Dürer, Medardo Rosso – sie alle haben sich erkennbar allergrößte Mühe gegeben. Benn wusste, dass beim Thema Mutter jedes Wort zu viel ein falsches Wort sein kann. Dürer wusste, dass er seiner Mutter jede erdenkliche Mühe und Zärtlichkeit zuwenden musste, um sie als Person zu würdigen. Rosso schien zu ahnen, dass er als Vater sich in den Dienst der Mutter-Kind-Zweiheit stellen sollte, dass er als Dritter hinzukam, um diese zarte Zweiheit zu schützen, zu pflegen und zu vergolden.

Quellen:
Rose-Maria Gropp: So sah für ihn Mutterliebe aus. Medardo Rosso ist einer der bedeutendsten Bildhauer der Moderne. Seine Werke sind rar. Das Städel Museum hat jetzt eine großartige Bronze von ihm. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juli 2014, S. 14

Gottfried Benn: Mutter. In: Das große deutsche Gedichtbuch. Von 1500 bis zur Gegenwart. Neu herausgegeben und aktualisiert von Karl Otto Conrady. 4. Auflage, Artemis & Winkler, Zürich/Düsseldorf 1995, S. 541

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Wer oder was ist das – der „Freund und Kupferstecher“?

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Jul 232014
 

Königin Luise 2014-06-01 13.55.09 In einer kleinen Gesellschaft von Kunstfreunden warf gestern unter dem breitschattenden Geäst herrlicher alter Bäume beim Gespräch über eine Grafik-Ausstellung jemand die Frage auf:

Woher kommt eigentlich die Redensart „mein Freund und Kupferstecher“? Ich selbst hörte sie mehrfach von Lehrern in meiner Jugend, wenn ich etwas ausgefressen hatte, was nicht ganz astrein war.

Die Frage verhallte gestern ohne Antwort, eine kleine Nachforschung ergab heute folgendes: Die ironisch-tadelnde Redensart „mein Freund und Kupferstecher“, die z.B. in Fontanes „Frau Jenny Treibel“ vorkommt, dürfte darauf zurückgehen, dass der Druckgrafiker oder „Kupferstecher“ das Werk eines anderen, z.B. eines Malers oder Banknotenausgabehauses, ohne schöpferische Eigenleistung reproduzierte und auch wirtschaftlich weidlich ausnutzte. Dafür war Vertrauen oder Freundschaft bitter nötig. Oft genug mochte das Vertrauen auch enttäuscht worden sein. Das Betrugspotenzial in der Branche war groß. Der Kupferstecher war nach heutigen (nicht damaligen) Maßstäben also ein Falschmünzer des Geistes. Und der entwerfende Künstler, dem die „Erfindung“ glückt, muss trachten, dass der Kupferstecher sein „Freund“ bleibt und ihn nicht nach allen Regeln der Kunst über den Tisch zieht.

Erstaunlich, dass es z.B. im Italienischen keine verwandte Redensart gibt, jedenfalls ist mir keine bekannt. Anzi – im Gegenteil! „Sia detto per inciso“ – „Es sei hiermit im Kupferstich bzw. als Radierung gesagt“ bedeutet ja auf gut Deutsch klipp und klar: „nebenbei gesagt“.

Einer der rätselhaftesten Kupferstiche, die ich je sah, vielleicht überhaupt der rätselvollste, scheint diese Erklärung zu bestätigen! Es handelt sich um die „Allegorie der Vertreibung aus dem Paradies und das Opfer Abels“, die nach heutigem Forschungsstand aus der Werkstatt des Agostino Veneziano (ca. 1490-1540)  stammt. Selbst nach mehreren Anläufen und Gesprächen mit Kunstkennern ist es mir bisher nicht gelungen, eine stimmige Deutung dieser Darstellung zu erarbeiten. Bereits der Titel dürfte eine spätere Zuschreibung sein. Der kenntnisreiche Kommentator DK, der seinen Namen verschweigt – selbst in dieser Chiffre scheint noch ein Rätsel zu stecken – schreibt, als Erfinder dieser spannungsreichen Darstellung gelte Amico Aspertini, und er fährt fort: „Über den Kupferstecher, der das Blatt schließlich nach Amicos Entwurf ausführte, gab es lange Uneinigkeit in der Forschung […]“

Amico heißt nun aber auf Italienisch der „Freund“!

Wir dürfen schematisch feststellen: Der „Freund/Amico“ hat den kreativen Einfall, der „Kupferstecher“ führt den Einfall des Amicos, des Freundes aus! Könnte diese Tatsache, dass der Einfall des „Freundes“ vom „Kupferstecher“ übersetzt und ausgeführt wird, etwas zur Entstehung der Redensart „Freund und Kupferstecher“ beitragen? Wir wissen es nicht. Die Frage muss für heute und vielleicht auch überhaupt offen bleiben.

Quelle: Arkadien. Paradies auf Papier. Landschaft und Mythos in Italien. Für das Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin. Ausstellungskatalog hgg. von Dagmar Korbacher mit Beiträgen von Christophe Brouard und Marco Riccòmini. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014, S. 46-47

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Auch wir in Arkadien

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Jun 062014
 
2014-06-02 11.59.22
Königin Luise 2014-06-01 13.55.09
Meine lieben Leser, es herrscht eine unglaubliche, geradezu arkadische Ruhe und Heiterkeit hier in der Stadt! Übermorgen werde ich eine Museumsführung und eine Dichterlesung mit Dante und Goethe veranstalten. Hier ist meine Einladung:
Kain, auch du in Arkadien?
Wölbt sich des bunten Bogens Wechsel-Dauer
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend

Goethe, Faust, V. 4722f.
Liebe Freunde, liebe Kinder, die Gestalt Kains begegnet mehrfach im irdischen Paradies Arkadien. Warum ist das so? Gibt es nach schwerster Schuld einen Neuanfang?
Ausstellung
Arkadien. Paradies auf Papier. Landschaft und Mythos in Italien
Kupferstichkabinett, Kulturforum Berlin-Tiergarten
Unser Treffpunkt: Pfingstsonntag, 8. Juni 2014, nachmittags 15.30 Uhr vor der Königin-Luise-Statue auf der Luiseninsel im Tiergarten, Berlin
Ohne Dante mit Eichhörnchen spielen die Kleinen:
– Finde den Weg durch das Labyrinth der Liebe des Guadagno!
– Zeichne das Eichhörnchen des Marcantonio Raimondi ab!
– Wie viele Saiten hat die Lira da braccio des Gottes Apoll?
Mit Dante ohne Eichhörnchen besprechen die Großen:
1. Buch Mose, Kapitel 4, Vers 1-16
Wir tragen vor:
– Dante Alighieri: Divina Commedia, Purgatorio, canto XXVIII (in italienischer Sprache)
– J.W. Goethe: Faust, Anmutige Gegend, Verse  4613-4727 (in deutscher Sprache)
Wir betrachten einige Drucke im Katalog der Ausstellung, vor allem:
– Agostino Veneziano: Allegorie der Vertreibung aus dem Paradies und das Opfer Abels
– Cristofano di Michele, genannt Robetta: Adam und Eva mit Kain und Abel
– Sandro Botticelli: Das irdische Paradies. Dante und Matelda
– Giulio Campagnola: Die Buße des hl. Chrysostomus
Anschließend gehen wir nach kurzem Fußweg etwa um 16.30 Uhr in die Ausstellung „Arkadien – Paradies auf Papier“ im Kupferstichkabinett am Kulturforum.
Johannes
P.S.: Es ist ein lockeres privates Treffen ohne beruflichen Anspruch. Kinder jedes Alters sind willkommen.
Eintritt in die Ausstellung für Erwachsene:
6.-, ermäßigt €  3.-
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre: Eintritt frei
Haltestelle Bus 200 Haltestelle Philharmonie
Bus M 29 Haltestelle Gedenkstätte Deutscher Widerstand
S-Bahn oder Bahn Potsdamer Platz
Bild: Die Statue der Königin Luise
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Unter dem schützenden Dach der Buche – sub tegmine fagi

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Mai 302014
 

2014-05-01 15.06.03

 

 

 

 

 

 

 

 

Tityre tu patulae recubans sub tegmine fagi
silvestrem tenui musam meditaris avena
nos patriae finis et dulcia linquimus arva
nos patriam fugimus tu Tityre lentus in umbra
formosam resonare doces Amaryllida silvas …

Tiyrus rücklings gelehnt unter dem schützenden Dach der Buche …

Einen berauschenden Sonnen- und Sinnesgenuß hat der europäische Dichtervater hier in Worte gegossen.  Gerade erst blitzt der Sonnenstrahl über Kreuzberg auf, unten im Hof plätschert der immerwache Brunnen. Das Volk tut und das Kind tut, was es gern tut – es schläft.

Arkadien – ein erdachtes Paradies steigt in aller Frühe aus dem Papier ins Ohr hinein.

Noch wenige Wochen, bis zum 22. Juni 2014, verbleibt die Ausstellung „Arkadien – Paradies auf Papier“ im Berliner Kupferstichkabinett zu besichtigen. Dann wird sie die Pforten schließen. Das empfindliche Papier verträgt ungeschützt den Strahl des Lichts immer nur kurze Zeit. Du schaust, du staunst: So ist dies also. Ich besuchte die Ausstellung vor einigen Tagen. Die zarten, oft mit Andeutungen und Anspielungen arbeitenden Zeichnungen riefen lange verschüttete Klänge, Wörter und Bilder hervor.

Der Anblick des Schönen ist endlich. Er ist zeitlich befristet.

Aber unsere Ohren können sich – gestützt auf den schwachen Abdruck des gezeichneten Erinnerungsbildes – den Klang der Worte Vergils jederzeit ins Gedächtnis rufen. Diese Worte haben das Bild hervorgebracht, sie überdauern die Zeiten, sie sind dauerhafter als das Papier, dauerhafter als das Erz der Druckplatte, aus der der Kupferstich für wenige Jahrzehnte des Anblicks nur hervorging.

via Vergil, ecloge 1: Meliboeus und Tityrus (lateinisch, deutsch).

Ausstellung:
Arkadien – Paradies auf Papier. Landschaft und Mythos in Italien. Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin, 7. März – 22. Juni 2014

Bild:

Eine Blumenwiese mit Bächlein, unter dem schützenden Dach von Buchen. Aufnahme des Wanderers vom 1. Mai 2014, Thüringer Wald, bei Eisenach

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Josef, der durchaus moderne Mann, ein dienender Wasserträger der Familie

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Mrz 202013
 

 

 

„Zeige mir das neugeborene Kind Jesus!“
„Es ist nicht zu sehen. Dein Jesus ist gar nicht da!“
„Was siehst du stattdessen?“
„Ich sehe ein baufälliges Fachwerkhaus. Im Hof dieses Hauses kniet ein Mann, der Wasser aus einem Brunnen schöpft.“

Ich zeigte kürzlich einem Kind diesen Kupferstich Dürers. „Dein Jesus ist gar nicht da!“

Wir sehen:

Alte vereinzelte Dachsparren, vom Wind gelockert, ein verkrauteter Turm, ein grasbewachsener Bogen, durch den eine dörfliche Landschaft hereinscheint.

Erst beim zweiten oder dritten Hinsehen wird man eine Art Geburtsszene entdecken. Das Kind nimmt einen unscheinbaren, geringen Platz ein. Dem Kind muss der Betrachter in seinem Blick erst Raum gewähren. Erst durch das genaue Aufmerken gewinnt das Kind die Bedeutung, die der Titel ihm zuspricht.
Der Mann Josef beweist sich als eifriger Wasserschöpfer. Er scheint von der eigentlichen Geburt abgesetzt. Er ist der Dritte, der von außen an Mutter und Kind heranrückt. Mutter und Neugeborenes sind eng zusammengerückt, sie bilden eine Zweiheit. Erst durch den dienenden, den wasserschöpfenden Dritten wird der Innenraum von Mutter und Kind auf die Welt hin geöffnet.

Hier wird eine Auffassung von Väterlichkeit vorgeprägt, die im dienenden Hinzutreten des Dritten aufgeht. Im unscheinbaren, tatkräftigen Wasserschöpfen ordnet sich der dienende Vater dem Hauptgeschehen unter. Er ist der moderne Mann, der das Hauptgeschehen mitträgt und zur Welt hin öffnet.

Josef stellt sich in den Dienst an Mutter und Kind. Er vertritt in dieser Darstellung Albrecht Dürers aus dem Jahr 1504 die Außenwelt. Der Zeichner setzt ihn sogar ins Zentrum dieser Darstellung – eine unerhörte Kühnheit bei einem Kupferstich, der doch den Titel „Die Weihnachten“ trägt.

Öffnen der Mutter-Kind-Dyade zur Welt hin – Versorgen von Frau und Kind mit dem Nötigen, also dem Wasser, das ist genau die überlebensnotwendige Funktion, die auch die moderne Tiefenpsychologie dem Vater zuschreibt.

Quelle:
Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Kupferstiche, Holzschnitte und Bücher. Band I: Die frühen Jahre bis zur zweiten italienischen Reise. Sammlung K. u. U. Schulz. Ausstellungskatalog. Augsburg 11.10.2012-27.01.2013, S. 108-109

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„Da speieten sie aus in sein Angesicht…“

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Okt 172012
 

Das bekannteste Bild von Andres Serrano ziert heute groß und farbenprächtig die Seite 13 der Süddeutschen Zeitung. Andreas Zielcke denkt über den Straftatbestand der Gotteslästerung nach.

„Da speieten sie aus in sein Angesicht und schlugen ihn mit Fäusten.“  So erzählt es der Erzähler in einem Werk, das noch vor wenigen Jahrzehnten in Europa gut bekannt war.

„Jetzt aber hoch schimpfieret“, heißt es in einem begleitenden Choral. Der bespieene, gedemütigte, der verspottete Mensch steht in der Mitte der Erzählung von Leiden und Sterben. Im Augenblick seiner tiefsten Erniedrigung – man könnte auch sagen: Entwürdigung – gewinnt er seine Würde zurück. Die Menschenlästerung leitet hinüber zur Tötung des Menschen. Und von dort zur Auferstehung.

Die Demütigung und Entwürdigung des Menschen schlechthin, die Schmähung des Propheten schlechthin steht im Zentrum der Bildlichkeit dieser einst Europa prägenden Religion, des Christentums. Diese Schmähung, diese Schande wurde in der Kunst tausendfach abgebildet: als Geißelung, als Schmähung, als Verhöhnung, als Kreuzigung.

Die Lästerung des Propheten ist in den Kern der christlichen Botschaft eingeschrieben und wird im Kirchenjahr an jedem Karfreitag rituell wiederholt und ins Gedächtnis gerufen. Das ist der große, der meines Erachtens unüberbückbare Gegensatz zu den in der Gläubigengemeinde, in der Umma anerkannten Regeln der Darstellung Mohammeds.

In wesentlichen, wenn auch nicht in allen Teilen der islamischen Traditionen wird jede bildliche Darstellung Mohammeds verboten. Der im Verlag C.H. Beck erschienene „Koran für Kinder und Erwachsene“ bringt  Bilder aus dem 15. und 16. Jahrhundert, in denen das Angesicht des auf seinem Burak reitenden Mohammed von strenggläubigen Muslimen nachträglich ausgetilgt wurde.

Die Darstellung des Propheten der Muslime in entwürdigender Schmähung erregt in den Gläubigen Empörung und Widerwillen, die sich in Ausnahmefällen bis zu Gewalttaten steigern kann, wie man eben heute auf Seite 3 desselben Blattes (Süddeutsche Zeitung) lesen kann.

Die Darstellung Jesu Christi in den Augenblicken höchster Entwürdigung und Schmähung ist hingegen Kernbestand der christlichen Bilderwelt, erregt im Gläubigen Verehrung und Annäherung.

Das heute in der Süddeutschen Zeitung abgebildete Werk von Serrano reiht sich in die Kette der Schmähungen und der Lästerungen ein, die das Christentum und seine Bilderwelt von Anbeginn begleiten. Der Christ erblickt im gedemütigten, im entwürdigten und verspotteteten Menschen das Angesicht Gottes.

Schön gezieret reimt sich im oben zitierten Choral O Haupt voll Blut und Wunden auf hoch schimpfieret.

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Apr 222012
 

„Wer kennt diesen Mann? Wer ist dieser Mann?“ Soeben habe ich bei Bekannten und Zufallsbekannten eine Straßenumfrage mit dem aktuellen SPIEGEL durchgeführt zum Bild auf S. 7, ganz unten. Selbstverständlich mit verdeckter Bildlegende – denn da steht es ja, wer das Bild gemalt hat.

„Das ist doch Johannes!“

„Das ist doch ein berühmter holländischer Maler!“

Für mich ist dieses Nürnberger Selbstbildnis von ca. 1500, ergreifend und schlicht, ein prägendes Selbstbildnis eines europäischen Menschen. Ein durch und durch freier Mann, der uns erhobenen Hauptes und unverwandten Blickes anblickt, niemandem hörig, keinem irdischen König untertan! Das Geheimnis wird sich wohl nie ganz enträtseln lassen.

Fragen über Fragen!

http://www.spiegel.de/suche/index.html?suchbegriff=d%FCrer

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