„Ella infame si rese!“ oder: Wer wirft den ersten Stein?

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Mai 122023
 

Ella infame si rese, è l’orror d’ogni etade...“ – „Sie hat sich entehrt, sie ist der Schrecken jedes Zeitalters“ diese von uns Männern zu singenden Verse aus dem Libretto zur Dalinda kamen mir kürzlich in den Sinn, als ich die feine Ausstellung „Muse oder Macherin? Frauen in der italienischen Kunstwelt 1400-1800“ betrachtete. Gezeigt wird hier in diesem Kupferstich von Diana Montavana die Szene aus dem Johannesevangelium (Joh 8,1-11), in der einige Männer eine beim Ehebruch ertappte Frau vorführen und sagen: „Mose hat uns vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen.“ Aus diesen hämischen grinsenden, selbstgerecht verkniffenen Gesichtern spricht der ganze Männerabscheu gegenüber dieser einen Frau, die da an den Pranger gestellt wird. Warum eigentlich nur die FRAU? Warum wird nicht auch der Mann mit beigezogen?

Gericht der vielen Männer über die einzelne ohnmächtige Frau! Und was hier in dieser Szene geschieht, das geschieht auch in der Dalinda des Donizetti. Eine einzelne Frau wird aus dem Nichts heraus, aufgrund von Gerüchten und Berichten für alles Übel dieser Welt gewissermaßen in Haft genommen. Und wir machen das mit, wir – der Männerchor! Da mitzuhalten fällt mir mitunter schwer, ich gestehe es.

Ich selbst ergreife in den Probenpausen immer wieder Partei für Dalinda, versuche für sie werben, doch stehe ich auf weitgehend verlorenem Posten. Ich meine zu hören: „Wir wissen, was wir von dieser Frau zu halten haben! Denn wir kennen Lucrezia Borgia!“ Ja was ist denn das für eine Logik? Donizettis Dalinda für die angeblichen, vermuteten, nicht hinreichend belegten Missetaten der Lucrezia Borgia Donizettis verantwortlich zu machen? Das schlägt dem Fass den Boden aus!

Ich kann da nur den Kopf schütteln und fragen: Wer wirft den ersten Stein? Das Fehlen jeder verzeihenden, jeder um Verständnis ringenden Nachfrage bei uns Männern, die diese unglückliche Dalinda bedrängen, umringen, umketten, beschatten und belauern, missfällt mir. Mir missfällt die Abwesenheit jedes christlichen Erbarmens bei diesen christlichen (christlichen? -Fragezeichen!) Kreuzrittern im Heiligen (?) Land zur Zeit des dritten Kreuzzuges (Kreuz-Zuges???).

Hier noch eine mögliche andersartige Reaktion auf die Anprangerung der Sünderin:

Dies ist der ganze Kupferstich der Diana Mantovana (nach Giulio Romano), zu sehen noch bis 4. Juni 2023 im Kupferstichkabinett am Kulturforum Berlin in der Ausstellung „Muse oder Macherin? Frauen in der italienischen Kunstwelt 1400-1800″

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Finizio – eine Hütte für Kugelmenschen

 Antike, Eigene Gedichte, Frau und Mann, Mären, Platon, Schöneberg  Kommentare deaktiviert für Finizio – eine Hütte für Kugelmenschen
Apr 042023
 

Eine Hütte für Kugelmenschen entdeckte ich vor zwei Tagen im Cheruskerpark!

Schön aufgeschlichtet aus sauber behauenen Planken
Von hellem Holz erhebt sich nun ein kleines Büdchen
Mit freundlichem Schornstein mitten auf kahlgetret’ner Wiese.
Wer mag darin wohnen, für wen ist das Hüttchen bestimmt?
Ein Blick auf die hell leuchtende Tür gibt Auskunft: die Kugelmenschen
Sind’s, von denen schon Aristophanes in Platons Symposium erzählt.
Denn ursprünglich gab es ja nicht die Unterscheidung in Mann und Frau,
Sondern die ersten Menschen besaßen Kugelform, bewegten sich
In alle Richtungen, rollten umher und gaben sich allerlei Freuden hin.
Drei Gattungen gab es, das männliche und das weibliche und auch das
Gemischtgeschlechtliche. Und so schillerte eine bunte Palette an
Unterschiedlichsten Mengungen. Keiner war eindeutig festzulegen.
Selige Vorzeit, als die schroffe Scheidung in männlich und weiblich
Noch nicht eingeführt war! An diesen Urzustand knüpft der heutige
Geschlechterdiskurs erneut an. Und so mag denn
In diesem Hüttchen zugleich Anfang und Ende der Menschheitsgeschichte
Verkörpert sein. Inizio heißt ja auf italienisch Anfang. Fine dagegen
Heißt Ende, und so ist auf wundersame Weise Anfang und Ende
In diesem kleinen Büdchen symbolisch vereinigt, und der Name des Büdchens
Lautet: Finizio. Trefflich gesagt, zu finden im Cheruskerpark zu Berlin, Schöneberg.


Aufnahme vom 2. April 2023

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Ein Film spannt des bunten Bogens Wechseldauer

 Frau und Mann, Freude  Kommentare deaktiviert für Ein Film spannt des bunten Bogens Wechseldauer
Feb 142022
 
Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors. Film von Alice Agneskirchner. Weltpremiere am 13. Februar 2022 im Delphi Kino bei der Berlinale Berlin

Augsburg, im Domviertel, abends, 14. Februar 2022

Bin immer noch ganz beseligt von diesem herrlichen Film über Erika und Ulrich Gregor – er spannt so einen schönen, farbenbunten Bogen durch das Leben dieses bewundernswerten Paares, geht so klug, so bedachtsam, so einfühlsam und so professionell mit Menschen, Filmen, Themen, Klängen, Schnitten um, dass ich kaum zu Ende komme mit dem Loben!

Dieses gemeinsame Kind – der Film – wird seinen Weg machen, wird Erfolg haben! 

Die Filmproduktion Ehlermann & Agneskirchner hat aus dem mit mir geführten Gespräch zwei sehr prägnante, sehr gut ausgewählte Aussagen in den fertigen Film hereingenommen, eigentlich die besten überhaupt! Auch damit war und bin ich hochzufrieden. Hochzufrieden, sagte ich, glücklich, und – ja – auch dankbar dafür. Denn wann sonst erhielte ich die Chance, als Zeitzeuge mit und nach Wim Wenders, Jim Jarmusch, Helke Sander, István Szabo, Rosa von Praunheim und einigen anderen die Filmwelt und Filmwahrnehmung umgestaltenden Persönlichkeiten zu Wort zu kommen?

Der starke, tiefe, beglückende Eindruck dieses wunderbaren Films steht mir noch lange — vor Augen, klingt in den Ohren, hängt in der Nase…!

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Bevorzugt das Deutsche die Frau?

 Deutschstunde, Frau und Mann  Kommentare deaktiviert für Bevorzugt das Deutsche die Frau?
Feb 022021
 

Gibt es in der deutschen Sprache eine deutliche Bevorzugung des weiblichen Geschlechts?

Vieles deutet darauf hin, nicht zuletzt die Tatsache, dass unter allen Substantiven der deutschen Sprache, die bekanntlich über drei grammatische Geschlechter verfügt, fast die Hälfte zu den Feminina, aber nur ein Drittel zu den Maskulina gehören, während etwa 20% als Neutra zu gelten haben.

Der Rechtschreibduden führt in seiner 27. Auflage diese Verteilung an: 46% aller Substantive sind Feminina, 34% Maskulina, 20% sind Neutra.

Das kann kein reiner Zufall sein. Wir dürfen die Vermutung äußern: Für die deutsche Sprache ist alles, was substanziell ist, was Bestand hat, alles, was der Welt der Erfahrung zugrunde liegt, was substanzhaft-dinghaft verstanden ist, mit Vorliebe weiblich. Zuerst war gewissermaßen für die deutsche Sprache die Frau, das Weibliche in der Welt, dann kam der Mann als Störenfried dazu.

Aber auch semantisch weist Deutsch der Frau, dem Weiblichen eher die Habenseite, die Sonnenseite des Lebens zu. Bei den Grundwörtern des Fühlens und Denkens, bei den Leitwerten unserer sittlichen Ordnung sind die entsprechenden Hauptwörter mit überwältigender Mehrheit weiblichen Geschlechts, während das Gegenteil, das Dunkle, Böse eher männlich oder als Neutrum gefasst wird.

Wir betrachten folgende Beispiele:

DIE Liebe – DER Hass
DIE Gnade, die Güte, die Fürsorge – DER Trotz, der Groll, der Ekel, der Neid
DIE Vernunft – DER Wahnsinn, der Wahn
DIE Einsicht – DER Starrsinn
DIE Erkenntnis – DER Irrtum
DIE Treue – DER Verrat
DIE Wahrheit – DER Irrtum
DIE Tugend, die Sonne, die Gerechtigkeit, die Vollendung, die Sympathie
DER Stolz, der Geiz, der Eigensinn, der Egoismus, der Dünkel
DIE Geburt – DER Tod
DIE Welt – DER Teufel (wobei die Welt als grundsätzlich gut gesehen wird)
DIE Versöhnung – DER Krieg
DIE Rettung – DER Mord
DIE Sättigung – DER Hunger, der Durst
DIE Höhe – DER Abgrund

Dies sind nur einige, nicht zufällig gewählte Beispiele, die aber, so könnte man vermuten, eine unbewusste Prägung mitschwingen lassen. Das Weibliche ist – ebenso wie das Substanzielle, Beständige – möglicherweise in den Tiefenschichten unserer Kultur eher dem Guten zugeneigt, das Männliche eher dem Bösen.

So sind ja auch die überwiegende Mehrzahl aller Straftäter Männer, nur eine Minderzahl der Verbrecher sind Frauen. Weniger als 10% der Insassen von Gefängnissen sind – in allen Ländern – Frauen.

Wie ist das zu erklären?

Sind Frauen grundsätzlich die besseren, die substanzielleren Menschen?

Zieht uns Männer, uns Söhne des Abgrunds, erst das Weibliche hinan zum Guten, zum Wahren, zum Schönen, zur Güte, zur Wahrheit, zur Schönheit? Führt die Frau und nur die Frau den Mann zur Mäßigung, zur Sitte, zur Moral?

Beleg:
„Die Verteilung der Artikel (Genusangabe) im Rechtschreibduden“, in: DUDEN. Die deutsche Rechtschreibung. 27. Auflage, Dudenverlag Berlin, 2017, S. 158

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Berückende, rätselhafte Schönheit

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Mrz 292019
 
Sitzende weibliche Gewandstatue. Umgebung des Altars. Gesehen am 03.02.2019 in der Ausstellung: PERGAMON. Meisterwerke der antiken Metropole und 360°-Panorama von Yadegar Asisi. Berlin

Ist Sappho aus Eresos auf Lesbos die größte Dichterin aller Zeiten? Einen hinreißend-hingerissenen Hymnus in diesem Sinne schreibt der aus Kujawien stammende Ulrich von Wilamowitz-Möllendorf in seiner Schrift „Die griechische Literatur des Altertums“ uns mit folgenden Worten hier hinein:

„Der Wohllaut der Verse, die reiche Skala der Töne, vom burlesken Spott auf die großen Füße eines Brautführers und der Schalkhaftigkeit eines Backfischchens bis zum Erzittern der seelischen Leidenschaft und dem verhaltenen Schluchzen der Verlassenheit, von dem Orgiasmus der Adonisklage bis zum stillen Frieden der Mondnacht und der Siestastimmung des südlichen Sommermittags: all diese wahrhaft goethische Lyrik hebt Sappho über all ihre männlichen Genossen; nur Archilochos mag in seiner Art gleichgroß gewesen sein.“

Wir fühlen uns bestätigt darin, dass es sich zu jeder Tages- und Nachtzeit lohnt, Sappho zu bewundern, sie zu zitieren, ihrer zu gedenken, sich ihr nachahmend anzunähern.

O wärst du da!

Zitat von Wilamowitz hier wiedergegeben nach: Griechische Lyrik. Auswahl von Hans Schnabel. Text. Verlag Aschendorff, 5. Auflage, Münster 1970, S. 75-76

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„Lautes Lesen, das sich wie ein Singsang anhört“

 Einzigartigkeiten, Frau und Mann, Hebraica, Heiligkeit, Katharina, Mündlichkeit, Schriftlichkeit  Kommentare deaktiviert für „Lautes Lesen, das sich wie ein Singsang anhört“
Mrz 082018
 

Die hebräische Bibel, so schreibt es zutreffend Eckhard Nordhofen, ist „kein Lesebuch, sondern in den meisten Passagen eine Rezitationsvorlage.“ Die der Bibel angemessene Darbietung sei somit nicht das stumme Nachlesen, sondern das Vorlesen, „lautes Lesen, das sich nicht wie normales Sprechen anhört, sondern eher wie ein Singsang„. In diesem Singsang, schreibt Nordhofen, werde die Heiligkeit des „Namens“ hörbar gemacht.

Und „der Name“ ,“ha-schem“ ist eben genau dasjenige Seiende oder vielmehr dasjenige Werdende, welchem die Bibel das Merkmal der „Einzigkeit“ beilegt. Der Einzige ist das Einzigartige, zu dem kein aussprechbarer Name hinreicht.

Gute weiterführende Anmerkungen sind dies. Ich denke sie stumm durch im Anblick der Katharina von Alexandrien, dieser großartigen Frau aus Ägypten. Stark, klug, mutig gegenüber männlicher Vorherrschaft, unbeugsam, unerschrocken, nicht dem Willen des Mannes untertan, von hoher philosophischer und theologischer Bildung, so stand sie gestern vor mir in der Hauptkirche St. Katharinen am Hamburger Hafen.

Ihr, dieser vorbildlichen, gewaltlosen Vorkämpferin der Frauenrechte sei mein heutiger Internationaler Frauentag, der 8. März gewidmet. Unser Bild zeigt sie in St. Katharinen in einer figürlichen Darstellung, mutmaßlich aus Süddeutschland, 15. Jahrhundert.

Zitat:
Eckhard Nordhofen: Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus. Freiburg 2018, S. 125

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Tanti auguri, caro Lucius, tanti auguri a te!

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Dez 152017
 

Geburtstagsfeier heute im Gesamteuropäischen Kindergarten! EinE BetreuerIn fragt die Kinder:
– Wer hat denn heute, am 15. Dezember Geburtstag, liebe Kinder Europas?
– Der Lucius!
– O, unser berühmter Lucius! Was für ein schöner, modischer Name! Und wie heißt seine Mama?
– Agrippina! So ein schöner Name! Und wer ist sein Vater?
– Der Gnaeus!
– Ja, der Gnaeus Domitius! Fein! In welcher Sprache singen wir das Geburtstagslied?
– Auf Italienisch, der Muttersprache des europäischen Gesangs!
– Jaaa! Wisst Ihr, was mir der Nikolaus gebracht hat? Ein italienisches Liederbüchlein. Kinder, es ist super, es ist so cool! Ich singe es euch vor!
– Juhuu, jaa!

Die Kinder des Europa-Kindergartens und ihre BetreuerInnen singen auf Italienisch das Lied „Tanti auguri a te“, wobei sie den Namen des Geburtstagskindes Lucius einfügen. Die Melodie des Liedes stammt von Mildred Hill, der Text von Patty Smith Hill. Beide Schwestern waren Kindergärtnerinnen im Kindergarten von Louisville, Kentucky (USA).

Sie verwenden folgendes vortreffliche Büchlein:

Canzoni d’Italia. 52 canzoni popolari d’Italia e del Ticino. Herausgegeben von Elisabeth Profos-Sulzer. Reclams Universal-Bibliothek Nr. 19909, Stuttgart 2017, S. 140

Rätsel des Tages:
Wer ist dieser Lucius? Tipp: Er war einer der ersten Europäer, die sich von einem Mann zur Braut nehmen und heiraten ließen. Seine Mutter Agrippina ließ er ermorden. Sein voller Name lautete bei der Geburt: Lucius Domitius Ahenobarbus. Unter welchem Namen kennt ihn Europa heute?

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Okt 132015
 

„Je weiter du weggehst, desto weiblicher wird Jesus.“ Navid Kermani, der dies schreibt, hat etwas in Worte gefasst, was mich insbesondere an den Zeichnungen Sandro Botticellis immer wieder berührt und berückt: das Weiche, das Gelinde, Fließende seiner Liniengebung, besonders gut fassbar in seinen Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie, die ja ab übermorgen wieder im Berliner Kupferstichkabinett meinen ungläubig staunenden Augen geboten werden. Ich freue mich schon darauf. Wiedersehen macht Freude.

Es ergeht mir schließlich bei Botticellis Gemälden, mehr aber noch in Botticellis Zeichnungen so, dass jeder strenge, richtende, urteilende, verurteilende Blick geschmeidiger wird, man könnte sagen: das strenge Auge löst sich, es fühlt sich mild und weich. Man glaubt an diesen affetto, an diese unwillkürlich anrührende Gefühlsregung. Ich glaube, ein Lächeln zu sehen, ein Tränen des Auges, hinter dessen Schlieren alles Grobkantige ins Schwingen gebracht wird. Dante beschreibt das hier Angedeutete so (Paradiso VI, 121-123):

Quindi addolcisce la viva giustizia
in noi l’affetto sì, che non si puote
torcer già mai ad alcuna nequizia.

Selbst noch in Botticellis Kreuztragung, in der Pinakothek von Kermani alleine vierzig, fünfzig Minuten lang ungläubig bestaunt, verliert der härteste, der letzte Gang, der Weg des Kreuzes viel von seiner Härte, von seiner eklatanten, schreienden Ungerechtigkeit, seiner krassen nequizia! Er wird zum Tanz der herannahenden Befreiung.

Und so fand ich soeben auch nach einigem Nachdenken (40, 50 Minuten lang) die richtige Übersetzung für Jesu Wort (Matthäus 11,30):

ὁ γὰρ ζυγός μου χρηστὸς καὶ τὸ φορτίον μου ἐλαφρόν ἐστιν

Denn mein Joch ist wohltuend und meine Last ist geschmeidig.

Hinweise:
Der Botticelli-Coup. Schätze der Sammlung Hamilton im Kupferstichkabinett. Eröffnung der Ausstellung am Donnerstag, 15.10.2015, 19 Uhr (Eintritt zur Eröffnung frei). Kupferstichkabinett. Ausstellung. Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 16.10.2015 bis 24.01.2016, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa-So 11-18 Uhr

Sandro Botticelli: Kreuztragung. Tempera auf Leinwand. Pinacothèque de Paris.

Zu diesem Bild:
Navid Kermani: „Schönheit“ in: ders., „Ungläubiges Staunen“. Über das Christentum. C.H. Beck Verlag, München 2015, S. 44-49

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3 Mädchen haben es mit 57 jungen Männern schwer

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Sep 192015
 

Immer wieder bemerke ich bei meinen Begegnungen mit geflüchteten Menschen, dass es unter den vielen Flüchtlingen gerade die  jungen Männer sind, die den Weg zu uns nach Deutschland schaffen. Auch die amtlichen Statistiken belegen dies, wenngleich die liebevollen Medien natürlich liebend gern Kinderfotos (auch schon mal von einem toten Kind, das wirkt besonders stark) und Familienfotos zeigen – das wirkt halt einfach besser. Die Masse der Flüchtlinge ist jedoch tatsächlich zweifellos männlich, jung und – relativ zum Herkunftsland gesehen – wohlhabend.

Darüber hinaus sind es wie gesagt die besser Gestellten, die relativ gesehen Reicheren, die sich durchsetzen. Die Alten, Schwachen, Armen und Kranken, die Frauen sind unter den Flüchtlingen deutlich in der Minderzahl. Aus einem Berliner Flüchtlingsheim erfahre ich beispielsweise, dass 3 afghanische Mädchen zunächst einmal zusammen mit 57 jungen afghanischen Männern zusammen untergebracht wurden, ehe sie dann einzeln von Familien aufgenommen wurden. Es ist klar, dass die Männer wie zuhause auch den Frauen vorschreiben wollen, wie sie sich zu benehmen haben, dass sie den Schleier zu tragen haben usw. usw.   Die Mädchen hoffen hier auf ein freies, selbstbestimmtes Leben und werden hier von den alten Clan- und Stammesstrukturen aufgenommen, die sich wunderbar in den staatlichen Hilfesystemen etablieren können. So geschieht dies seit vielen vielen Jahren. – Ein selbstbestimmtes Leben der Frauen wird aber nur möglich sein, wenn  sich eine deutsche hier beheimatete Familie außerhalb der afghanischen Volksgruppe ihrer annimmt und konsequent den Alltag der Mädchen stützt und begleitet.
Die Flüchtlinge reisen grundsätzlich in ihren Volksgruppen, sie kommen nicht als einzelne an, sondern als Kollektiv, das hier in Deutschland dank staatlicher Hilfe das gewohnte Leben mit den herkömmlichen Normen nahezu ungestört über die Landesgrenzen hinweg fortführt. Dies gilt insbesondere für  Kurden,  Afghanen und  Palästinenser.  Ein „Ausbrechen“ oder „Aussteigen“ aus den traditionellen patriarchalischen Verhältnissen ist für die Frauen in manchen Flüchtlingsgruppen grundsätzlich fast unmöglich, zumal ja die Männer deutlich die Mehrzahl stellen. Oft bleibt dann den Frauen nur die Annahme einer neuen Identität und das Umziehen in eine neue Stadt.
Hilft es da, wenn man von Staats wegen unter den jungen Männern das Grundgesetz auf Hoch-Arabisch verteilt, wie es Ayman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland vorschlägt? Ich meine, das könnte allenfalls ein Mosaikstein sein. Wichtiger ist jedoch das konkrete Handeln und Helfen. Das können nur einzelne Menschen bewirken. Der Staat allein schafft dies nie und nimmer.
 Posted by at 19:25

Befreit von Eifersucht und Zank: die Geschichte des zweibeweibten Grafen von Gleichen

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Sep 042015
 

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Gleich hinter Mühlberg erreichten wir in sengender Mittagshitze auf sanfter Anhöhe liegend das Gasthaus Freudenthal. Hier, bei der Autobahn A 4 war’s, dass um 1240 der Graf von Gleichen diesen Ansitz errichtete, nachdem er aus der Gefangenschaft des Sultans wiedergekehrt war. Ihn hatte die Liebe der schönen Sultanstocher Melachsala gerettet; sie hatte sich für den gefangenen Sklaven, den Grafen Ernst III. von Gleichen eingesetzt und floh heimlich mit ihm aus den Gärten des Sultans nach Rom. Dort ließ sie sich taufen, erhielt nach längeren Verhandlungen vom Papst ausnahmsweise die Zustimmung zur Heirat mit dem bereits verheirateten Grafen. Bei der Heimkehr nach Thüringen an genau diesen Ort, der hier oben im Foto zu sehen ist, begrüßte Ernsts Ehefrau die Retterin ihres Gemahls mit großer Freude. Und fortan lebte der Graf bis zu seinem Tode mit Melachsala und Ottilia glücklich zusammen; im Erfurter Dom ist zu Urkund dessen der Grabstein des zweibeweibten Grafen bis zum heutigen Tage zu sehen, Franz Schubert komponierte eine Oper zu diesem Stoff, die allerdings unvollendet geblieben ist; Goethe zollt der Geschichte in der Erstfassung seines Schauspiels Stella Hochachtung, Moritz von Schwind hat das Ereignis als Gemälde festgehalten, das Gasthaus Freudenthal bezeugt die Wahrheit dieses Triumphs des Humanum, dieser Versöhnung zwischen Islam und Christentum, ebenso wie die Bushaltestelle Freudenthal, die hier im Bild zu sehen ist.

 Posted by at 19:13

Микола Васильович Гоголь oder Николай Васильевич Гоголь?

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Aug 042014
 

Meine lieben Russen sagen dies, meine lieben Ukrainer sagen das. Dies oder das – wer weiß da noch, wer recht hat? Vielleicht beide, oder? Ich würde sagen: Versöhnt euch lächelnd und lachend, o ihr Russen, und o ihr Ukrainer.

War Mikola Gogol bzw. Nikolai Gogol eigentlich Russe oder Ukrainer? Eine endlos zu diskutierende Frage! Ich selber halte mich bedeckt dazu. Wer bin ich, dass ich darüber urteilen könnte? Ein bayerisches Nichts, ein schwäbischer Niemand!

Der große ukrainisch-russische Schriftsteller schrieb seine Werke auf Russisch und zollte nichtsdestotrotz lebenslang seiner ukrainischen Herkunft dankbar lächelnd oder auch laut lachend Tribut. Und über die Missstände im russischen Riesenreich schrieb er – Bände. Der Revisor ist eine einzige lachhafte Anklageschrift gegen Duckmäusertum, Passivität, Spiegelfechterei und blinde Unterwerfung gegenüber den Autoritäten des riesigen Reiches.

Ukrainer oder Russe? S’ist unerfindlich, wie es Nathan der Weise  in Lessings Nathan dem Weisen sagt. In jedem Fall – ich erinnere mich einer sehr unterhaltsamen Puppentheater-Aufführung seiner „Schuhe der Zarin oder die Nacht vor Weihnachten“ – die wir vor einigen Jahren zur Weihnachtszeit in Moskau belachten.

Bullernde Wärme herrschte drinnen in der guten Stube im tiefverschneiten knackig-frostigen russisch-ukrainischen Winter. Deutlich hörte ich den strengen deutschen Akzent heraus, mit dem die Zarin Katharina die Große sich zum Thema Schuhe äußerte. Die FRAU und die Welt der SCHUHE – ein endloses, für Männer kaum eindeutig zu entwirrendes Drama. Hat Gogol das ganze Drama je durchschaut? Ich bezweifle dies sehr. Den ukrainischen Akzent des Schmieds hörte ich damals noch nicht heraus, meine bayrisch-schwäbischen (oder deutschen?) Ohren waren vollauf beschäftigt, der verworrenen Handlung in dem ukrainischen Dorf mehr oder minder vollständig zu folgen. Eher minder. Aber es war verteufelt, der Teufel steckte noch im kleinsten Detail.

Ich denke – niemand hindert die Russen und die Ukrainer daran, sich gemeinsam lachend über ihr gemeinsames kulturelles Erbe zu freuen. Große Schriftsteller können Brücken schlagen.

 

 

 

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Europa neu erzählen: Preis sei und Dank der seidenhaarigen Conchita!

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Mai 122014
 

Heilige Bekümmernis 04032010(010)

 

 

 

 

 

 

 

Einen triumphalen Empfang bereitete am Wochenende  des feiernde Europa einigen uralten Mythen und Sagen der asiatischen und später mediterran-europäischen Welt. Der Europäische Sangeswettstreit erweist sich als als Indikator für die unglaubliche Überlebenskraft eines ganzen Füllhorns uralter und ältester mythologischer Erzählungen.

Rise like a phoenix – erhebe dich wie ein Phönix, so die helltönende Botschaft des am Schlagerhimmel aufsteigenden Sterns Conchita Wurst aus Österreich.

Wer ist Phönix? Ein sagenhafter Vogel, der sich alle 500 Jahre aus der Asche erhebt. Von Phönix bericht Publius Ovidius Naso im 15. Buch seiner Metamorphosen  bereits in der Zeit des Kaisers Augustus als einer uralten Sage – denn die Assyrer waren schon damals ein uraltes Volk der Frühzeit, deren Sagen später in den griechischen, später dann in den römischen Geschichtenkreis einwanderten:
una est, quae reparet seque ipsa reseminet, ales:
Assyrii phoenica vocant; non fruge neque herbis,
sed turis lacrimis et suco vivit amomi.

Wir übersetzen:
Eine Art Flügelvieh gibt es, die sich heilt und selbst wieder aussät:
Assyrer nennen ihn Phoenix; weder von Frucht noch Kräutern,
sondern von Weihrauchtropfen und Saft des sei-
denhaarigen Hartriegels nähret er sich.

Wir haben uns den Auftritt Conchita Wursts angesehen. Dem bannenden Reiz dieser hermaphroditisch schillernden Figur konnten und mochten auch wir uns nicht entziehen. Do weards oam glei zwoaraloa, wie man auf Bairisch sagen würde.

Ergebnis: Keineswegs aus moralischen, noch weniger aus politischen Gründen, sondern einzig und allein wegen des stimmigen mythologisch-ästhetischen Gesamtauftrittes hätten auch wir vom Kreuzberger Blog beim European Song Contest für die Österreicherin Conchita Wurst gestimmt.

Conchita Wurst – das ist ein Hermaphroditos alive: ein Wanderer zwischen den Welten von Mann und Frau, eine uralte sagenhafte Gestalt, die von Ovid im 4. Buch der Metamorphosen ebenfalls besungen wird:

iam non voce virili
Hermaphroditus ait „nato date munera vestro,
Et pater et genetrix, amborum nomen habenti.“

Und noch ein Motiv der Legende fällt einem sofort ein – die bärtige Frau. Eine wunderschöne Frau mit Bart?  – Man mag dies für einen supercoolen, abgefahrenen Einfall Conchitas halten – doch nein:

Auch hier geschieht, was längst geschah,
Die hl. Kümmernis war schon da.

In der Heinrich-Heine-Stadt Düsseldorf stieß nämlich der Kreuzberger Wanderer vor einigen Jahren in der Lambertus-Kirche auf ein gemaltes Bild einer gegürteten und gekreuzigten Frau mit Bart – eine Darstellung der Hl. Kümmernis, von der uns die Brüder Grimm in ihren Kinder- und Hausmärchen unter dem Titel „Die heilige Frau Kümmernis“ beredtes Zeugnis ablegen:

Es war einmal eine fromme Jungfrau, die gelobte Gott, nicht zu heirathen, und war wunderschön, so daß es ihr Vater nicht zugeben und sie gern zur Ehe zwingen wollte. In dieser Noth flehte sie Gott an, daß er ihr einen Bart wachsen lassen sollte, welches alsogleich geschah; aber der König ergrimmte und ließ sie an’s Kreutz schlagen, da ward sie eine Heilige.

Nun geschah’ es, daß ein gar armer Spielmann in die Kirche kam, wo ihr Bildniß stand, kniete davor nieder, da freute es die Heilige, daß dieser zuerst ihre Unschuld anerkannte, und das Bild, das mit güldnen Pantoffeln angethan war, ließ einen davon los- und herunterfallen, damit er dem Pilgrim zu gut käme. Der neigte sich dankbar und nahm die Gabe […]

Der verdiente Sieg Conchita Wursts im ESC ist als ein europäisches Bekenntnis zu den eigenen Ursprüngen im Mythos zu werten, als ein schlagender Beweis für die Verwandlungs- und Überlebenskraft der alten europäischen Gründungserzählungen, aus denen letztlich auch – wenn wir diesen Wunsch äußern dürfen – so etwas wie das Ideal der europäischen Humanitas, das sittliche Gebot  der Toleranz und der Liebe hervorfließen möge.

Conchita lebe hoch – ad multos annos!

Bild: Die Hl. Kümmernis, Aufnahme des Wanderers aus der Lambertikirche in Düsseldorf, 04.03.2010

 

 

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Dünn, smart und geil – so muss die erfolgreiche Frau heute sein

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Mrz 112014
 

Soeben erst wieder aus den beschneiten Fichtenwäldern von der finnischen Seite Kareliens in die frühlingshaft erwärmte, märkische Metropole im Sand eingeflogen, nimmt der Kreuzberger Blogger in der gewohnten U6 vom Kurt-Schumacher-Platz zum Mehringdamm gleich wieder den harten, großstädtischen, scharfen Beat der kategorischen Imperative wahr, die heute buchstäblich aus allen Rohren auf unsere Jugendlichen einprasseln:

Sei smart, sei geil, sei dünn!“

Das ist es, was heute ausschließlich von den jungen Mädchen oder besser den jungen Frauen ab dem Alter von 13 Jahren verlangt und erwartet wird. Und genau dieses Ideal wird in der Moderatorinnenszene verlangt und Tag um Tag vor Millionen von jungen Frauen verkündet.  Es beginnt im Kinderfernsehen, etwa im KiKa,  und zieht sich durch bis in die Zielgruppe ab 65. Von früh in der U-Bahn bis spät in die Late-Night-Shows ist dies die Botschaft.

Die beliebte und erfolgreiche Moderatorin Katrin Bauerfeind bringt dieses durch Kommerz, Reklame und Industrie verfügte neue Weiblichkeitsideal in der U-Bahn-Werbung der U6 völlig eindeutig auf den Punkt. Im Alter von nun doch immerhin schon 31 Jahren spricht sie von ihren nagenden Ängsten, diesen kategorischen Imperativen nicht mehr genügen zu können:

„Man könnte ja immer geiler, smarter, dünner und besser sein.“

via Moderatorin: Katrin Bauerfeind: Angst vor dem Scheitern – B.Z. Berlin.

 Posted by at 12:20