Am Thore des Orients

 Karl May  Kommentare deaktiviert für Am Thore des Orients
Apr 242015
 

Einer der meistunterschätzten deutschen Schriftsteller ist der Radebeuler Karl May. Ich schreibe diese Worte nur einen Büchsenschuss entfernt von der Villa Bärenfett, hier am geöffneten Fenster der Villa Elisabeth in der Nizzastraße. Der Pfeil der Gedanken schießt hinunter, an der Martin-Luther-Kirche vorbei, und bleibt stecken an folgendem Satze:

„Meinst du nicht, daß unser Gott und Allah ganz derselbe sei?“

Zweierlei Texte liegen aufgeschlagen vor mir: Das Kapitel „Am Thore des Orients“ aus der 1901 erschienenen Reiseerzählung „Et in terra pax“. Hier beschreibt der christliche Weltenbürger Karl May eine in Kairo spielende Szene, in der ein amerikanischer christlicher Missionar einen betenden Moslem, den Eseltreiber Sejjid Omar, aus seinem Gebet aufzuschrecken versucht und nur durch seinen sprachkundigen Dolmetscher und seine leibliche Tochter daran gehindert wird, schweres Unrecht und schwere Beleidigung zu begehen. In Omar entflammt Jähzorn wegen der törichten Worte des Missionars, den der betende Moslem nur mühsam beherrscht und eindämmt. Diese kleine Szene enthält in nuce bereits die gesamte Debatte um die Karikaturen von Carlie Hebdo!

Der entscheidende Satz, den die Tochter des Missionars ausspricht, ist:

„Meinst du nicht, daß unser Gott und Allah ganz derselbe sei?“

Karl Mays „Am Thore des Orients“ ist ein bedeutendes, bis heute nicht ausgeschöpftes Dokument der Politik-Analyse! Theologen, Politologen, Journalisten, Politiker, Kulturwissenschaftler könnten ihn einmal aufschlagen. Man sollte den oft belächelten „Westmann“ Karl May der heutigen deutschen Schuljugend nahebringen ebenso wie Friedrich Schiller ja auch, dessen Namen hier im Ort eine Grundschule trägt.

Nicht minder bedeutend, wenngleich jüngeren Datums, ist der andere aufgeschlagene Text, die Gründungserklärung des „Muslimischen Forums Deutschland“, abgedruckt auf S. 2 in der heutigen Zeitung DIE WELT. Hier melden sich Menschen zu Wort, die sich als Bürgerinnen und Bürger Deutschlands und zugleich als Muslime sehen. Ihr mich sehr überzeugendes Manifest endet mit der folgenden zentralen Aussage:

„Angesichts der aktuellen und in ganz Europa zunehmenden Polarisierung sowie der kulturellen und religiösen Spannungen ist es gerade heute so wichtig wie nie zuvor, die Würde und Freiheit des Individuums als unser Fundament zu bekräftigen.“

Nun, auch damals wäre es wichtig gewesen, dies Fundament zu bekräftigen, damals im Jahre 1901, und im Jahre 1914, und am 24.04.1915 in Istanbul und Eriwan, und im Oktober 1917 in St. Petersburg, und 1921 in Rom, und 1933 in Berlin, und am 1.9.1939 in Gleiwitz/Gliwice und… und … !

Sowohl die Tochter des Missionars als auch die Menschen des Muslimischen Forums Deutschland verdienen weithin Gehör, – weiter als ein Büchsenschuss trägt!

Karl May: Et in terra pax. Reiseerzählung. Weltbild Verlag, Augsburg 2004, S. 29-33. Das Buch wurde mir vorgestern im Karl-May-Museum Radebeul verkauft.

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„Ja, die rote Rasse liegt im Sterben!“ oder: Muss man alle bösen Wörter ausmerzen?

 Antifaschismus, Karl May, Rassismus, Verdummungen  Kommentare deaktiviert für „Ja, die rote Rasse liegt im Sterben!“ oder: Muss man alle bösen Wörter ausmerzen?
Jan 192013
 

Mit diesem tiefen Seufzer hebt ein weithin unbekannter Schriftsteller in einem 1992 im fränkischen Bamberg gedruckten Buch seinen ergreifenden Klagegesang auf den Verfall und das Siechtum der roten Rasse an, die von den unerbittlichen Eroberern und Mördern aus der weißen Rasse „ausgestreckt, niedergestreckt, niedergeworfen“ wurde! Eine unbezähmbare Trauer befällt den Schriftsteller beim Blick auf all das Gemetzel, all die Gewalt, die die weiße Rasse der roten Rasse angetan hat.

Doch langsam, langsam! Lesen wir den geradezu orientalisch-herzzerreißenden Klagegesang von Anfang an:

„Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein. Das hat, so sonderbar es scheinen mag, doch seine Berechtigung. Mag es zwischen beiden noch so wenig Vergleichsmöglichkeiten geben, sie sind einander dennoch in gewissem Sinn ähnlich, in dem einen Punkt nämlich, daß die Weltmeinung mit ihnen beiden so gut wie abgeschlossen hat, wenn auch mit dem einen weniger stark als mit dem anderen: man spricht von dem Türken kaum anders als vom ‚kranken Mann‘, während jeder, der die Verhältnisser kennt, den Indianer als den ’sterbenden Mann‘ bezeichnen muss.

Ja, die rote Rasse liegt im Sterben! Vom Feuerland bis weit über die nordamerikanischen Seen hinauf liegt der kranke Riese ausgestreckt, niedergestreckt, niedergeworfen von einem unerbittlichen Schicksal, das kein Erbarmen kennt. […]“

Über mehrere Seiten führt der volkstümliche Erzähler seinen leidenschaftlichen Klageruf fort. Er erhebt mutig und unerschrocken seine Stimme für das Lebensrecht, für die gleiche Würde, den gleichen Rang, das gleiche Lebensrecht der roten wie der weißen Rasse. Er sagt: Alle Rassen, alle Völker, alle Religionen müssen einander als Brüder, als gleichberechtigte Verbündete, als Menschen annehmen. In der exemplarisch vorgelebten Freundschaft und Liebe zwischen einem vorbildlichen Menschen der roten Rasse und einem vorbildlichen Menschen der weißen Rasse sät der Verfasser den Keim der Aussöhnung zwischen allen Rassen, allen Religionen, allen Völkern. Es ist, als sagte er: Brüder! Schwestern! Letztlich sind wir alle Menschen. Wir sind doch alle Menschen! Oder, wie es der Türke mit türkischem Pass der Jetztzeit sagt: Hepimiz insaniz – ganz egal ob wir ein Kurde oder Tscherkesse oder Alevit oder Jude (bloß halt zufällig mit türkischem Pass) oder ein Türke (bloß halt zufällig mit deutschem Pass) sind!

Oder wie es das früher einmal recht bekannte Grundgesetz unseres Staates sagt:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Ob Rothaut oder Bleichgesicht, ob auf sein Blut stolzer Türke oder schweinefleischfressender Kartoffeldeutscher, ob heidnischer Baumverehrer und ökofanatischer Klimaschutzgläubiger oder jüdischer, muslimischer Monotheist: Alle Menschen sollen einander achten und einander im Geist der Nächstenliebe begegnen. Sagt der unbekannte Volksschriftsteller. Sagt irgendwie auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Ist diese Botschaft des rassistischen Schriftstellers böse, nur weil in ihr das Wort Rasse vorkommt? Ist dieser Mensch abgrundtief böse, nur weil er die Menschheit in die rote und die weiße Rasse unterteilt und für das Existenzrecht der roten Rasse, der roten Kultur, der „amerikanischen Erstnation“, wie sich die rote Rasse politisch korrekt heute nennt, eintritt, wie dies in unseren Tagen Quentin Tarantino macht, der das Schicksal der amerikanischen Erstnation ebenso wie die Ausbeutung der schwarzen Rasse durch die weiße Rasse einen Holocaust genannt hat?

Das herzzerreißende Klagen des weißen Volksschriftstellers erinnert an das nicht minder herzzerreißende Klagen der heutigen antirassistischen deutschen Weißseinsforscher, der heutigen deutschen Antirassisten, die ihre Stimme laut und vernehmlich zugunsten der ihrer Meinung nach in Deutschland unterdrückten ethnischen Gruppen und Rassen erheben.  Gemeinsam ist all diesen Menschen, all diesen Rassistinnen und all diesen Antirassistinnen, dass sie ein einziges Merkmal, etwa die Hautfarbe oder die volksmäßige Herkunft oder die Religion, zum alles dominierenden Merkmal erheben und in alten volkstümlichen Texten wie etwa Astrid Lindgrens Kinderbüchern alles ausmerzen, was nur im mindesten an die in allen Zeiten menschliche, die allzumenschliche Einteilung von Gruppen in WIR und IHR erinnert oder erinnern könnte.

Ich meine: Der heutige, politisch korrekte Antirassismus und typisch deutsche Antifaschismus und typisch deutsche Antinationalismus, welcher seinerseits mit rassistischen Ausmerzungen unerwünschter Wörter und mit der seinerseits rassistischen Ausgrenzung unerwünschter Menschen arbeitet, ist eine Form der höhergebildeten Heuchelei.

Das ist rassistisch“, „das ist eine Unverschämtheit“, „da reden wir gar nicht mehr weiter!„, dieser gleichsam permanent wutschnaubende, jederzeit empörungsbereite Fanatismus, wie ihn etwa Mark Terkessidis vorschlägt, „Kein Fußbreit den Nationalisten!“ – „Kein Fußbreit den Rassisten!“, wie man es immer wieder mal bei uns in der schönen Kreuzberger Heimat an den Wänden liest, –  alle diese zum sofortigen Gesprächsabbruch und oft auch zum gewaltsamen Kampf aufrufenden Losungen stellen eine nicht ganz ungefährliche Form der bêtise humaine dar.

Nebenbei: Ein Blick in neuere Karl-May-Ausgaben ergibt soeben, dass auch hier das unerwünschte Wort Rasse unerbittlich ausgemerzt, vernichtet, niedergeworfen und niedergestreckt worden ist.

Zitatnachweise:
Winnetou. Erster Band. Reiseerzählung von Karl May. 3691. Tausend. Nach der 1960 von Hans Wollschläger revidierten Fassung neu herausgegeben von Lothar Schmid. Karl-May-Verlag Bamberg [= Karl May’s Gesammelte Werke, Band 7], Bamberg 1992, S. 5

http://www.tagesspiegel.de/kultur/koloniale-altlasten-rassismus-in-kinderbuechern-woerter-sind-waffen/7654752.html

http://www.berliner-zeitung.de/kultur/quentin-tarantino-holocaust-und-spaghetti-western,10809150,21422432.html

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