На земли благоволенье, oder: Im tiefen Winterwald ein Wohlgefallen

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Dez 312014
 

Schneetreiben 20141229_172031

Vorgestern stapfte ich in der Winternacht den einsamen Pfad durch den Augsburger Siebentischwald, völlig allein auf mich gestellt. Wer wollte denn heute noch zu Fuß gehen? Es gibt doch Autos, Busse und Straßenbahnen! 11 km zeigte das Navigationssystem an vom Haus meines Vaters in Haunstetten zum Haus meines Bruders in Lechhausen. Dichtes Schneetreiben umgab mich. Still war es ringsum. Niemand begegnete mir. Würde ich den Hochablass erreichen?

Da schimmerten durch die schneebestäubten Bäume die Lichtlein des Hochablasses! Sind durch die Nächte die Lichter gewunden! Wie schön! Mich ergriff große Freude. Ich sang da aus voller Kehle das Lied, das die Kinder und die Erwachsenen hier in Berlin nicht hören wollen, weil ich einen solchen Akzent habe, wenn ich russisch singe. Sei’s drum! Warum sollte man nicht auch einmal ein Lied mit Akzent singen? Hier im dicht verschneiten Siebentischwald hörte mir ja niemand zu. Also pfiff ich drauf.

Das Lied habe ich allen Unkenrufen zum Trotz auswendig gelernt und singe es gern laut auf den Wanderungen, wenn es niemand hört außer dem Wind, den Bäumen und den Schneeflocken, die fröhlich niederwirbeln. Es vertreibt mir zuverlässig Angst, Einsamkeit und Gram.

Dies ist das Lied, das ich gestern im Siebentischwald sang, ehe ich das obige Foto schoss:

Эта ночь святая,
эта ночь спасенья
Возвестила всему миру
Тайну Боговоплощенья.

В эту ночь у стада
пастухи не спали.
Светлый ангел прилетел к ним
Из небесной светлой дали.

Страх объял великий
тех детей пустыни,
Но сказал он: о, не бойтесь, —
Всему миру радость ныне.

Ныне Бог родился
людям на спасенье,
Вы пойдите, посмотрите
На великое смиренье.

И с высот небесных
раздалось вдруг пенье:
Слава, слава в вышних Богу,
На земли благоволенье.

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Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen … und das Fiedeln auch!

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Dez 052014
 

WO-Flyer_web_schlagschattenGroße Vorfreude erfasst mich schon, wenn ich an die bevorstehenden Aufführungen von Bachs Weihnachtsoratorium denke, bei denen ich mit meiner kloanen Geig’n mitfiedeln darf. Wieder einmal! Mitten unter dem Volk oder vielmehr den Völkerschaften stehend, denn die Sänger und Musiker stehen hier wie kleine Hirten-Grüppchen zusammen: die chorische Aufstellung wird aufgelöst!

Weihnachten kommt alle Jahre wieder: unweigerlich, unverdient, unverhofft, unversehens, unwiderstehlich, unauslöschlich, unvergänglich! Lassen wir es zu! Lassen wir es geschehen! Irgendwelche dogmatischen Fixierungen oder chorischen Festnagelungen sind unnötig. Die Hirten auf dem Felde wussten ja auch nicht, wie ihnen geschah!

Wann und wo?

Am Samstag, 06.12.2014, um 20.00 Uhr in der Kreuzberger Emmauskirche zu Berlin: Kantaten IV-VI, und
am Sonntag, 07.12.2014, um 16.00 Uhr (Teil I-III) und um 19.30 Uhr (Teil IV-VI) in der Gethesemanekirche in Prenzlauer Berg zu Berlin.

studiosi cantandi – AKTUELL.

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Aus ἐν ἀνθρώποις εὐδοκία wird в человеках благоволение. Zu Lk 2,14

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Aug 312014
 

Erlöserkirche 2014-08-10 09.17.55

слава в вышних Богу, и на земле мир, в человеках благоволение

„Ehre in den Höhen Gott, und  auf der Erde Frieden, in Menschen Wohlwollen“

So übersetzt die russisch-orthodoxe Kirche in ihren maßgeblichen Ausgaben Lukas 2,14.

Verblüffend ist, dass die östlich-orthodoxe Übersetzung von einer etwas anderen, durch die ältesten Textzeugen gut gestützten griechischen Urfassung ausgeht als die römisch-katholischen und die lutherischen Fassungen! In einer Ausgabe des Novum Testamentum Graece, ed. Nestle / Aland, 27. Aufl. 1999, lässt sich ohne Mühe aus den Varianten des  textkritischen Apparates der vollkommen hieb- und stichfeste griechische Text erstellen, von dem die Kirche des Kyrill und Method ausging:

Δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ, καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη, ἐν ἀνθρώποις εὐδοκία

Die beiden  entscheidenden Unterschiede zu den westlichen Kirchen liegen hier darin, dass благоволение/εὐδοκία (eudokia) im Nominativ steht und dass die Präposition ἐν räumlich inklusiv als в als „in“ übersetzt ist. Nicht die Menschen des „Wohlwollens“ Gottes werden genannt; vielmehr äußern die himmlischen Heerscharen einen dreigliedrigen Wunsch, eine dreigliedrige Beschreibung:

Strahlender Glanz/Leuchten/Schein/Ehre/Ruhm [wird, ist oder sei] in den Höhen dem Gott
und auf Erde [wird, sei oder ist] Friede,
in Menschen [ist, sei oder werde] Wohlwollen/Wohlgefallen/gutes Genügen/Zufriedenheit

Hier haben wir als Notbehelf in eckigen Klammern mehrere Verben eingefügt, die in diesem verblosen Stil hinzugedacht werden können.

Die eudokia, der Zustand des innigen Behagens und Wohlgefühles, ist also nicht etwas, was von außen auf die Menschen herabregnet; vielmehr quillt sie von innen hervor; sie ist gewissermaßen ein Widerschein des Geschehens dort droben.

„In den Herzen wird’s warm
still schweigt Kummer und Harm“

– diese treuherzig-einfältigen Zeilen des Kinderliedes geben das in den Ostkirchen Gemeinte sehr gut wider. Noch weniger ist dieses innere Wohlbehagen eine Gnade, die die Menschen sich mühselig erarbeiten müssten. Die eudokia, das holde Bescheiden, wie Mörike einmal sagte, ist ein unverdientes Geschenk, das von innen in Menschen aufscheint und zum Zustand des Friedens mit den anderen und mit der Schöpfung führt.

Das Weihnachtsgeschehen kommt unvermittelt, plötzlich (exaiphnes, Lk 2,13) zugleich in der Höhe wie auch „in Menschen“ zum Vorschein. Die griechische Wortwurzel ist hier eindeutig – doxa und eudokia kommen von derselben etymologischen Wurzel doke her. Sie besagt „scheinend“, „leuchtend“.

Was folgt daraus? Viel. Bei einem meiner letzten Russland-Aufenthalte feierte ich einen strahlenden, von Klang und Gesang erfüllten Gottesdienst in der Moskauer Christus-Erlöserkirche über die volle Länge von mehr als 2 Stunden mit. Es war am 10. August 2014. Dort trat ich in eine stumme  Zwiesprache mit der ausgestellten Reliquie Johannes des Täufers. Dort vollführte ich mit anderen zusammen die rituelle Prostration des byzantinischen Ritus. Ich warf mich also zusammen mit anderen Feiernden vor dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie er sich in Jesus Christus gezeigt hat, ganzkörperlich und öffentlich auf den Boden nieder. Dort lauschte ich dem Evangelium in russischer Sprache und den Predigten des Patriarchen über die Angst als ständige Begleiterin im Schiffchen des Lebens. „Wir werden die Angst nicht los. Sie gehört dazu“, sagte er. Er sprach auch über den Wert des Betens. „Beten ist in unserer Gesellschaft aus der Mode gekommen. Wenige beten noch. Beten heißt durch Bitten etwas Herbei-Wünschen, was ohne dieses Wünschen vielleicht nicht eintreten würde.“

Mitten im August erblickte ich in dieser riesigen Hauptkathedrale der russisch-orthodoxen Kirche eine Weihnachtskrippe aufgebaut. Weihnachten wird also in der russisch-orthodoxen Kirche über das ganze Kirchenjahr hinweg in Erinnerung gehalten.

Die Christus-Erlöserkirche ist – dies sei nur nebenbei gesagt –  die Kirche, in der auch die russische Staatsmacht  neuerdings  so gern sich zum christlichen Glauben bekennt. Auch Präsident Putin lässt sich hier demonstrativ zu Weihnachten filmen, wie er in bescheidener, kindlicher Frömmigkeit ein Weihnachts-Kerzlein entzündet. Er bekennt sich damit öffentlich zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie er sich zu Weihnachten in der Person Jesu Christi ankündigt.

Der Weihnachtshymnus der himmlischen Heerscharen, wie ihn Lukas gestaltet, ist ein kraftvolles Alternativprogramm zum Einsatz der Waffen und Panzer, zur Überwachung und Beherrschung der Menschen, wie sie die Politiker, die Staatsmächte,  derzeit diskutieren und einzudämmen versuchen. Denn christlich angeleitete Politik möchte weg von dem Mehr-Haben-Wollen. Sie traut den niedrigen Menschen mehr als den Mächtigen, sie findet ihren Weg eher zu den Katen der Hirten als zu den Palästen und riesigen Datschen der Mächtigen. Die Geschichte  von Weihnachten spricht alle an – im Osten wie im Westen, die Christen wie die Nichtchristen, zu Weihnachten ebenso wie in den Hundstagen dieses Augusts, der in diesen Minuten so ungewiss zu Ende geht.

Aber sie macht auch klar, dass der Friede kein Automatismus ist. Er ist ein plötzliches Aufscheinen mehr als eine Verhandlungsmasse, er ist ein Sich-Bescheiden in das strahlend Beschiedene, in das, was da gerade in den Menschen geschieht.

via Russian Bible: Luk-2.

Bild: So bot sich uns die Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau dar, als wir gemeinsam zu Fuß  am 10.08.2014 zur Liturgie wanderten.

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Josef, der durchaus moderne Mann, ein dienender Wasserträger der Familie

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Mrz 202013
 

 

 

„Zeige mir das neugeborene Kind Jesus!“
„Es ist nicht zu sehen. Dein Jesus ist gar nicht da!“
„Was siehst du stattdessen?“
„Ich sehe ein baufälliges Fachwerkhaus. Im Hof dieses Hauses kniet ein Mann, der Wasser aus einem Brunnen schöpft.“

Ich zeigte kürzlich einem Kind diesen Kupferstich Dürers. „Dein Jesus ist gar nicht da!“

Wir sehen:

Alte vereinzelte Dachsparren, vom Wind gelockert, ein verkrauteter Turm, ein grasbewachsener Bogen, durch den eine dörfliche Landschaft hereinscheint.

Erst beim zweiten oder dritten Hinsehen wird man eine Art Geburtsszene entdecken. Das Kind nimmt einen unscheinbaren, geringen Platz ein. Dem Kind muss der Betrachter in seinem Blick erst Raum gewähren. Erst durch das genaue Aufmerken gewinnt das Kind die Bedeutung, die der Titel ihm zuspricht.
Der Mann Josef beweist sich als eifriger Wasserschöpfer. Er scheint von der eigentlichen Geburt abgesetzt. Er ist der Dritte, der von außen an Mutter und Kind heranrückt. Mutter und Neugeborenes sind eng zusammengerückt, sie bilden eine Zweiheit. Erst durch den dienenden, den wasserschöpfenden Dritten wird der Innenraum von Mutter und Kind auf die Welt hin geöffnet.

Hier wird eine Auffassung von Väterlichkeit vorgeprägt, die im dienenden Hinzutreten des Dritten aufgeht. Im unscheinbaren, tatkräftigen Wasserschöpfen ordnet sich der dienende Vater dem Hauptgeschehen unter. Er ist der moderne Mann, der das Hauptgeschehen mitträgt und zur Welt hin öffnet.

Josef stellt sich in den Dienst an Mutter und Kind. Er vertritt in dieser Darstellung Albrecht Dürers aus dem Jahr 1504 die Außenwelt. Der Zeichner setzt ihn sogar ins Zentrum dieser Darstellung – eine unerhörte Kühnheit bei einem Kupferstich, der doch den Titel „Die Weihnachten“ trägt.

Öffnen der Mutter-Kind-Dyade zur Welt hin – Versorgen von Frau und Kind mit dem Nötigen, also dem Wasser, das ist genau die überlebensnotwendige Funktion, die auch die moderne Tiefenpsychologie dem Vater zuschreibt.

Quelle:
Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Kupferstiche, Holzschnitte und Bücher. Band I: Die frühen Jahre bis zur zweiten italienischen Reise. Sammlung K. u. U. Schulz. Ausstellungskatalog. Augsburg 11.10.2012-27.01.2013, S. 108-109

Google-Ergebnis für http://www.radierung.de/images/product_images/info_images/ad_0013_s.jpg.

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Trifft ein Neuköllner Kutscher einen Kreuzberger Fährmann …

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Dez 242012
 

Mit einem Neuköllner Droschkenkutscher sprach ich über Weihnachten: „Für uns Muslime ist Weihnachten im wesentlichen nichts anderes als nur das Geburtsfest von Jesus, den wir als Propheten anerkennen. In Antalya, wo meine Eltern herkommen, feiern übrigens manche muslimische Gemeinden zwar dieses Isa-Geburts-Fest, indem sie Kindern und Armen Geschenke geben. Aber den ganzen säkularen Kommerzrummel, den machen wir nicht mit.“

„Da habt ihr völlig recht“, erwiderte ich. „Für mich ist Weihnachten im wesentlichen nichts anderes als das Geburtsfest von Jesus – und darüber hinaus auch ein großes Fest der Gemeinschaft im Wort und auch der Familienzusammenführung, wie halt in Deutschland der Brauch ist. Dem ganzen säkularen  Kommerzrummel kann und will ich mich nicht entziehen. Ich anerkenne und ehre übrigens sehr euren Celaleddin Rumi, der in Konya wirkte. Dieser Mevlana sagte: Jeder von uns hat wie Maria (Meryem) seinen Jesus (Isa) zu gebären. Das ist schmerzhaft. Wachstum bereitet Schmerzen. Aber danach kann die Freude groß sein. Auch für Männer ist der Geburtsschmerz über die Vermittlung des Wortes nachfühlbar.“ 

So viel Einigkeit zwischen einem schlichten Neuköllner Kutscher und einem armen Kreuzberger Zigeuner-Fährmann des Wortes!

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Dez 212012
 

„Mit  der Jesus-Geburt kann ich nichts anfangen!“ Das hört man landauf landab. Ist es also möglich, Weihnachten sinnvoll ganz ohne Jesus zu feiern oder es irgendwie zu umgehen? Ich meine – durchaus! Hierzu einige Handreichungen:

1. Ein bis heute besonders erfolgreicher Versuch der Überwindung des Weihnachtsfestes wurde in der Sowjetunion unternommen: das Weihnachtsfest wurde durch die Kommunistische Partei nach und nach völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein zurückgedrängt. Stattdessen wurde das Neujahrsfest (im christlichen Festkalender ursprünglich das „Fest der Beschneidung des Herrn“, zu feiern sieben Tage nach dem Geburtsfest) als legitimer Nachfahr und Ersatz des Weihnachtsfestes errichtet und hat diese Rolle bis heute behalten. Der nordische Julbaum („Julka“)  hat in Russland keinerlei Bezug zum Christentum mehr und wird als Gnade des gütigen Staates überall gefeiert und gepriesen.

2.  In Deutschland wurde von 1933-1945 – ebenfalls durch den Staat – das Weihnachtsfest nicht abgeschafft, aber konsequent umgedeutet als „Lichtfest“, „völkische Weihnacht“, „Sonnwendfeier“, „Julfeier“. Der Christbaum heißt jetzt Jultanne (russisch Julka). Insgesamt eine Art natürwüchsig-rauschhaftes Wald-Feld-und-Flur-Weihnachten, ein Öko-Weihnachten, könnte man heute sagen. Beispiel, das ich kürzlich las: „Der alte Hof“, eine Erzählung von Johann von Leers aus dem Jahr 1940. Der Vater eröffnet dem Sohn wenige Tage vor Weihnachten, dass der Bauernhof heillos überschuldet ist. Das internationale Finanzkapital, der Kapitalismus des entfesselten Marktes hat die Bauern systematisch in die Kreditklemme getrieben. Gegen die gierigen Kapitalisten, die ruchlosen Immobilienhaie und andere Brut hilft nur der neue Heiland, der völkische Führer, der die Bauern und die Arbeiter aus dem Griff des Finanzkapitals und der Immobilienspekulation erlösen wird.  Und so geschieht es auch.

3. Das christliche Weihnachten ist eigentlich ein Fest, in dem endlich dem kleinen, unscheinbaren, unerwünschten, dem kommenden und ungeborenen Leben des schwachen Menschen Raum gewährt wird. Exakt eine Woche vor Weihnachten erschien 2012 eine große Studie des Instituts für Bevölkerungsforschung der Bundesregierung, aus der unwiderleglich hervorgeht, dass Kinder etwas sind, das meist nicht in die Lebensplanung passt. Kinder sind erwünscht, sofern und soweit sie das Leben der Erwachsenen nicht durcheinander bringen, sofern und soweit sie keine materiellen Einbußen mit sich bringen und sofern sie der Volkswirtschaft nicht – angesichts des demographischen Wandels dringend benötigtes – Humankapital entziehen. Kinder genießen in der Lebensplanung keine Priorität. Kinder sind – volks- und betriebswirtschaftlich betrachtet – nachrangige Güter. Beruflicher Erfolg, Planungssicherheit, Karriere sind im Bewusstsein der Menschen und überhaupt der Bevölkerung das Wichtigste, wie das Institut des deutschen Staates mit messerscharfer Objektivität und dankenswerterweise ohne jeden kritischen Unterton feststellt.

Abschaffung, Überwindung, Ersetzung, Umdeutung des Weihnachtsfestes, das waren die probaten Mittel, um die Erinnerung an die Geburt Jesu, des „neuen Königs der Jüden“, wie es in Bachs Weihnachtsoratorium heißt, nach und nach zu beseitigen.

Setzung neuer Prioritäten, Vorrang des beruflichen Erfolges des Einzelmenschen vor der Familiengründung, staatlich verbriefte Planungssicherheit, Elternwahlrecht über das Leben des Kindes, wirtschaftliche Unabhängigkeit des Single-Mannes UND der Single-Frau – das sind mit staatlichem Brief und Siegel die neuen Weichenstellungen, in deren Zeichen man getrost Weihnachten ganz ohne Jesus feiern kann. Das ist der Zug der neuen Zeit! „Mit uns zieht die neue Zeit“, so klang und sang es unter der Jultanne.

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Dez 242011
 

καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· Μὴ φοβεῖσθε· – Und der Bote sagte ihnen: Habt keine Angst (Lukas 2,10).

Dieses gestern aufgenommene Bild zeigt ein paar elektrische Lichter in der Dunkelheit, einen Hinweis auf einen Storchenparkplatz und einen Pfeil, der den Weg zur Brandmeldezentrale weist. Wir sehen: Für Geburten gibt es heute Krankenhäuser mit gut ausgeschilderten Storchenparkplätzen, das Risiko der Feuersbrünste ist gemindert durch Warnmelder, echte Dunkelheit gibt es nicht, da Strom und Licht überall vorhanden sind. Wir dürfen sogar das allgegenwärtige Handy einmal abschalten. Wir könnten uns zu Weihnachten alle entspannen und locker chillen.

Wie haben wir es doch so herrlich weit gebracht in den letzten Jahrzehnten!

Mein aus Ägypten stammender Freund, der die Ereignisse des letzten Jahres am Tahrir-Platz miterlebt hat,  sagt es mir schroff und klar ins Gesicht: „Zu diesem Weihnachten bleiben zwei Zimmer dunkel: meins und das von Jesus.“ Ein großartiges, ein geradezu herzbezwingendes Wort: es führt die Nähe zu Jesus vor Augen. Denn wie sonst könnte Hamed etwas über Jesu dunkles Zimmer sagen?  Und zugleich zeigt diese Aussage die absolute Ferne von Jesus, die schlichte Wahrheit: „Ich kann nichts mit eurem Weihnachtsfest und eurem Jesus-Gebimmel anfangen. Bleibt mir damit vom Leibe!“ Ich muss sagen, ich mag all diese Menschen, die den Weihnachtsrummel in voller Überzeugung oder gar angewidert ablehnen.

Doch meine ich, dass man durchaus hinter die Glitzer- und Rummelfassade hineinleuchten kann. Nicht alles ist schon ein abgekartetes Spiel, nicht alles ist schön aufgeräumt und glühweinselig. Es gibt Zweifel und Unsicherheiten auch im bestausgeschilderten Parkplatz.

Liest man etwa die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 09.12.2011 genauer durch, so wird man erkennen, dass sie von mannigfachen Ängsten getrieben sind: Angst vor dem Auseinanderbrechen der Währung, Angst vor dem Staatsbankrott, Angst vor dem Bedeutungsverlust und der Verarmung Europas. Die Staats- und Regierungschefs haben offenkundig den Überblick über das komplizierte Gefüge der Staatsfinanzen verloren. Sie weisen in ihrem Abschlussdokument ausdrücklich die zentral regulierte Währungs- und Wirtschaftspolitik als das entscheidende Fundament der europäischen Integration aus. Gedeih und Verderb der Europäischen Union hingen also am Geld. Politik bestünde also  darin, Geldwerte zu sichern, bestünde darin, den höchsten Wert für sich und seine Schäflein herauszuholen.

Nicht zufällig erschüttern immer wieder und gerade auch  in den letzten Wochen Geschichten über den falschen oder leichtfertigen Umgang mit dem Geld die Glaubwürdigkeit einzelner Politiker und auch der Politik insgesamt. Politik wird am Umgang mit Geld gemessen, das Geld und die Geld-Gerüchte liefern das Maß für den Wert der Politik.  Mit starrem Blick aufs Geld steigen und fallen die Kurse der Politiker.

Ist Geld alles?

„Fürchtet euch nicht!“ Die Geburt Jesu ereignete sich nach der ausmalenden Schilderung des Lukas  in notdürftigsten Umständen als erlebte Freude unter den Armen und Angstgeplagten des Altertums, den Hirten, die des Nachts ihre Herden hüteten. Für Jesus stand kein Storchenparkplatz bereit. Er wurde vorerst in einen Futtertrog abgelegt, und der Raum, in dem er geboren wurde, war wohl eine Ein-Raum-Wohnung, in der mehrere Menschen und allerlei Vieh den Platz teilen mussten.

Eine Brandmelde-Zentrale gab es nicht: die Hirten, die von einer Licht- und Feuererscheinung in Panik versetzt wurden, konnten keine Notruftaste drücken. Ihnen blieb nichts anderes als dem Wort des Boten zu vertrauen: „Jetzt geratet nicht in Panik. Fürchtet euch nicht.“ Und diese Botschaft wirkte. Das gesprochene Wort war für die Hirten stärker als die begreifliche Angst vor dem Unerwarteten.

In einem Kinderlied heißt es: „Die redlichen Hirten knien betend davor?“ Wieso redliche Hirten? Redlichkeit, das kommt von Rede, dem Reden vertrauen, sein Reden vertrauenswürdig machen. Redlichkeit ist das, was wir von den Hirten lernen können.

Sollen wir vertrauen? Heißt es nicht zu recht: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Ich erwidere: Vertrauen in das redliche Wort ist nicht alles. Aber ohne Vertrauen in die redliche Kraft des Wortes ist alles nichts. Wenn wir dem grundsätzlich nicht mehr vertrauen können, was andere uns sagen, können wir uns alle Staaten und alle Staatenbündnisse oder Bundesstaaten und alle Europäischen und sonstigen Unionen gleich abschminken. Dann nützen auch Rettungsschirme und automatische Kontrollen nichts mehr.

Hat uns materiell unvergleichlich reicheren Europäern des 21. Jahrhunderts die Angst- und Armutsgeschichte des Lukas mit den redlichen Hirten heute noch etwas zu sagen?

Ich meine: ja! Der Evangelist Lukas rahmt die Geburtsgeschichte Jesu in einen staatspolitischen Rahmen höchster Stufe. Eine steuerliche Erfassung der Vermögenswerte aller Bürger war der Anlass der Wanderung von Maria und Josef. Der regierende Kaiser hatte offenkundig – wie die Regierenden in unserer Zeit – den nötigen Überblick über Soll und Haben verloren. In diese Ausnahmesituation fällt die Geburt Jesu. Spannend! Wie verhält sich der Erzähler Lukas zu den drängenden finanzpolitischen Fragen seiner Zeit? Welches Ergebnis brachte die Steuerschätzung? Wir erfahren es nicht.

Es ist enttäuschend: Die großen weltpolitischen Fragen werden ausgeblendet. Statt auf den Kaiser und seine großen Nöte richtet der Erzähler seinen Blick auf das Kleinste, Jämmerlichste, Ärmste und Unscheinbare.

Die Weihnachtsgeschichte spielt in einer Zeit größter Unsicherheit, größter finanzieller Risiken. Aber sie schlägt doch einen deutlich anderen Ton an als den Ton des großen und des kleinen Geldes, der heute unsere Medien und oft auch unser Denken beherrscht. Ich finde, die Weihnachtsgeschichte ist eine unterirdisch wühlende, wenn auch sanftmütige Kritik an der Anbetung des Geldes und der Macht.  Sie bereitet die Umwertung aller Werte vor, welche der Einbruch des Christentums für die damalige Welt und später für ganz Europa bedeutete.

Johannes, der vierte Evangelist, angeblich der Mann des Wortes, legt allergrößten Wert darauf, das Wirken Jesu in Jerusalem mit einer beispiellosen, ja gewaltsamen Tat beginnen zu lassen: mit dem Hinauswurf der Händler und Banker aus dem Tempel, der nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch wirtschafts- und finanzpolitische Zentrale war. „Setzt euer Vertrauen nicht ins Geld, sondern in geistig-geistliche Werte!“  So deute ich diese Geschichte.

Die Geschichte von der Geburt Jesu  kann uns klarmachen, worin ein Sinn-Kern der Geschichte Europas besteht. Fürchtet euch nicht, habt keine Angst. Das sind wohltuende Worte in diesen wie wahnsinnig durcheinanderflatternden, viel zu aufgeregten Zeiten!

Wenn man sich heute, im Jahr 2011, in einen Zug setzt und von Moskau nach Lissabon fährt, wird man mehrere Zeitzonen durchmessen und Schlafwagenschaffner in 12 verschiedenen Sprachen Tee anbieten hören. Findet man Zeit auszusteigen und innezuhalten, wird man in allen Städten – ob nun in Moskau, Kiew, Warschau, Wien, Genf, Madrid oder Lissabon – chromstarrende Banken und Paläste finden, prachtvolle Schlösser und tuckernde Omnibusse. Aber man wird auch in allen diesen Städten Kirchen finden. Diese Gebäude sind gebaute Wahrzeichen,  die letztlich auf jene unscheinbare Geschichte in einer gedrängt vollen Einraumwohnung zurückgehen und auf jene Geschichten vom Vertrauen in das Wort verweisen: Fürchtet euch nicht. Diese Geschichte ist eine jener Geschichten, die Europa zusammenhalten könnten, wenn wir bereit wären, auf sie zu hören und einen Augenblick das Handy abzuschalten und innezuhalten.

Ich wünsche uns allen diese Fähigkeit, hinzuhören, Kraft zu schöpfen aus dem einigenden, dem redlichen Wort: Fürchtet euch nicht. Sicher: die weltpolitischen Fragen und Nöte sind nicht gelöst. Hunger, Tod und Krankheit, Krieg und Naturgewalten lauern.

Aber seien wir ehrlich: es geht uns in der Europäischen Union noch oder auf absehbare Zeit unvergleichlich gut. Kein neugeborenes Kind, so ersehnt wie sie alle sind, braucht heute in einem Futtertrog abgelegt zu werden. Der Storchenwagenparkplatz steht doch jederzeit bereit. Nahezu alle Menschen in der Europäischen Union sind dank Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft von Not und Armut befreit. Wir könnten uns eigentlich freuen und versuchen, möglichst viele Menschen außerhalb unserer 27-Länder-Wohlstandsinsel zu ähnlichen demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen zu führen, wie wir sie genießen.

Warum haben wir nicht mehr Glauben, mehr Zuversicht? Ich vermute, es hat damit zu tun, dass wir der Angst noch zu viel Platz einräumen. Angst lähmt. Angst um des Geldes willen ist die lähmendste Angst. Für diese Angst besteht kein echter Grund. Denn Angst ängstet sich zuletzt um sich selbst.

Zu Weihnachten bietet sich uns nun die große Chance, diese Grundlosigkeit der Angst zu durchbrechen. Wir werden die Ängste nicht los, ebenso wenig wie wir unsere Not und unsere realen Schulden schnell loswerden. Aber wir dürfen erkennen, dass es etwas Größeres, etwa anderes als die Angst gibt: Vertrauen in das Wort, Vertrauen in den Nächsten, Hoffnung auf unsere Veränderbarkeit, Hoffnung, dass die Wanderung zu einem sinnvollen Ziel findet.

Wir setzen also der kalten Faust der Angst unser unerschütterliches Vertrauen in die Kraft des befreienden Wortes, in die Tüchtigkeit der europäischen Bürger, in den unverwüstlichen Friedenswunsch der Völker entgegen.

Das Glockengeläute, das man in Moskau, Kiew, Wien, Madrid oder Lissabon hören kann, ist nicht das lärmende Jesusgebimmel, vor dem mein ägyptischer Freund vom Tahrir-Platz sich zu recht scheut. Es ist ein Zeichen für das andere der Angst, ein Weck- und Merkzeichen der Freude. Das Glockengeläute sagt:  „Freut euch vorläufig, mindestens solange diese Glocke läutet. Lasst sie hineinläuten ins dunkle Zimmer.

Mit einer Wendung, die ich einem ergreifenden Choral im Weihnachtsoratorium Johann Sebastian Bachs entnehme, rufe ich Euch und Ihnen  zu:

„Seid froh dieweil!“

 Posted by at 01:10
Dez 112011
 
Ich warne vor oberflächlichen, vorschnellen Urteilen! „Robert Harris ist doch nur ein oberflächlicher Krimi-Autor. Ihm fehlt Tiefgang“, hielt mir bei einem Gläschen Trollinger jemand vor, als ich empfahl, Robert Harris‘ Buch The Fear Index unter den Weihnachtsbaum zu legen. Ich erwiderte trocken: „Er ist auch ein bestechender Krimi-Autor, aber er kann wie kein zweiter erzählen, wie die Finanzmärkte heute arbeiten! Große Klasse! Und bedenkt“, fuhr ich fort, während ich dem Abgang des Trollingers nachspürte, „die EU-Staatshaushalte und die EU-Staaten werden dank selbstverschuldeter Staats-Schulden an den Börsen weiterhin ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Also verschenkt und lest zu Weihnachten The FEAR INDEX von Robert Harris. Bitte habt Mut zur Oberflächlichkeit!“

Unter einer schillernden Oberfläche lauern so manche lachenden Ungeheuer. Das Meer ist tiefer als so mancher Tiefsinnige gedacht!

Robert Harris: The Fear Index. Hutchinson, London 2011, 323 Seiten, 15.00 Euro

 Posted by at 23:32
Dez 232010
 

Ein aus Ägypten stammender Freund sagt es mir schroff und klar ins Gesicht: „Zu diesem Weihnachten bleiben zwei Zimmer dunkel: meins und das von Jesus.“ Ein großartiges, ein geradezu herzbezwingendes Wort: es führt die Nähe zu Jesus vor Augen und zugleich die absolute Ferne, die schlichte Wahrheit: „Ich kann nichts mit eurem Jesus-Gebimmel anfangen.“

Ein Besuch führte uns heute wieder ins Neue Museum Berlins. Wieder setze ich mich dem bezwingend-versonnenen Lächeln Nofretetes aus, wieder durchmaß ich die ganze offene lange Achse hin zum römischen Standbild des gewaltigen Sonnengottes Helios. Und wieder las ich – in einer recht gewaltsam-zwingenden Übersetzung – jene Verse aus dem Ödipus des Sophokles, die der Baumeister Stüler übermannshoch in ein Fries setzen wollte:

Erstaunlich ist der Mensch Erstaunlicheres
waltet nichts als der Mensch

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Ein ägyptisches Kalksteinrelief aus dem 3. Jahrhtausend vor Christus, im Untergeschoss,  zeigt die Flotte des Pharaos heimrudernd „mit gefangenen Asiaten“. Es könnten Syrer sein! Es könnten Parther sein. Es könnten Palästinenser sein:

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Ein anderes zeigt einen Wüstenlöwen übermenschlich groß dahinschreitend, wie er die Feinde des Pharaos unter seinen Pranken zertrampelt.

Die ägyptische und die griechisch-römische Antike feiern zuerst und zumeist den großen, den gewaltigen, aber auch den gewaltsamen Menschen. Sie zeigen ihn ihn seiner Größe, in seinem Schmerz, in seinem Irren und Scheitern, aber sie wollen ihn groß, hochfahrend, kraftvoll und selbstbewusst. Helios, der Sonnengott, ist kraftvoll, überlebensgroß, allem Sterblichen enthoben. Er bedarf des Blickes derer nicht, die ihn anbeten! In diesen vielleicht 100 Metern im Neuen Museum, ausgespannt zwischen ägyptischer Nofrete und spätrömischem Helios, durchmaßen wir heute die Landschaft des antiken Denkens von der Größe des vorbildlichen Menschen, von der übermenschlichen Größe des Gottes.

Um wieviel anders erscheint demgegenüber die Botschaft jenes göttlichen Kindes, die Botschaft jenes menschgewordenen Gottes, der ausdrücklich dazu auffordert, wie die Kinder zu werden. Dieser Mensch stellt das Kind in den Mittelpunkt seiner Botschaft. Er tritt selbst als Kind auf die Bühne.

Wieder zuhause angelangt, öffne ich ein Päckchen mit einem Buch, das mich als Weihnachtspost eines Nahestehenden erreicht. Ich schlage das Buch, alter Sitte folgend, an einer beliebigen Stelle auf. Ich lese darauf die folgenden Worte:

… und umhüllt, uns liebenswert und schroff-unzugänglich macht, zu Menschen mit offener Flanke, stets auf der Suche nach einem Antlitz, einem Wort, einem Licht, die uns endlich die Wahrheit all dessen begreifen ließen, was die Landschaft unseres Lebens ausmacht.

Der Mensch tritt also hier ganz unscheinbar hervor – kein gewaltiges Wesen, sondern ein bedürftiges, stets auf der Suche, auf der Suche … nach einem Antlitz, einem Wort, einem Licht …

Ich halte inne – die Stimme dieses Kreuzberger Bloggers ist unversehens mit der Stimme des Verfassers jener Zeilen verschmolzen. Es ist, als hätte dieser armselige Kreuzberger Blogger seine Stimme in die des Buch-Autors einfließen lassen.

Dieser Einklang der Stimmen führt auch zurück zu meinem ägyptischen Freund:

Die dunklen Zimmer – sind OK. Es ist doch total OK, wenn man mit dem Gebimmel nichts anfangen kann! Wenn eine das Kreuz mit dem Kreuz hat und Kreuzberg gleich in Klecksberg umbenennen möchte, nur um nicht immer von diesem Kreuz zu hören.

ICH HABE NICHTS DAGEGEN, wenn jemand etwas gegen Weihnachten hat und nichts mit Weihnachten anfangen kann. Wenn er lieber in dunklen Zimmern hockt. Ja warum denn auch nicht.

Im Gegenteil! Ich mag sogar die Menschen besonders, die so ehrlich sind und zur Dunkelheit stehen.

Genau diese absolute Dunkelheit – das ist der Kern und der Anfang der Botschaft, an die manche – nicht alle – sich morgen zu erinnern versuchen. Mit offener Flanke, stets auf der Suche  …

Zitat: Elmar Salmann: Spuren. Geistesgegenwart. Figuren und Formen des Lebens. EOS Verlag, St. Ottilien 2010, hier S. 36

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Der Fehl Gottes

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Dez 252009
 

Gute, packende Predigt des Kaplans Eric Godet heute im Weihachtsgottesdienst! Er erzählt, wie er verlacht wurde, als er in der Kindheit nach der „Definition Gottes in der Bibel“ fragte. Er stellt heute klar: Die Bibel erzählt nicht vom Gottesbild. Sie erzählt vom Menschen. Godet verweist zurecht auf das II. Nikänische Konzil von 787, wo die Nicht-Bildlichkeit Gottes noch einmal bekräftigt wurde! Gott lässt sich allenfalls als Umriss nachzeichnen, als etwas Fehlendes, als etwas Ausgespartes. Ich führe fort: Der fehlende Gott also, der „Fehl Gottes“ – so drückt es Hölderlin aus, so hat es Heidegger später wieder aufgegriffen. Dieser „Fehl Gottes“, das ist Kernbestand der christlichen Botschaft! Und dieser Fehl Gottes wird ausgeglichen in der Erfahrung der Gemeinde, in der Erfahrung des Du, in der Erfahrung des Kindes. So weit führt mich heute die Weihnachtsbotschaft.

Schaut man sich in den Kirchen um, wird man nur in ganz seltenen Fällen ein Bild Gottes finden. Die Nichtdarstellbarkeit Gottes verbindet Judentum, Christentum, Islam. Das Bild Gottes wird für Christen bestenfalls zugänglich im Menschen. Im kleinsten wie im größten, im neugeborenen ebenso wie im alten, schwachen, kranken und sterbenden Menschen. „Wie schaut euer Gott aus?“, so fragte ich einen Moslem nach einer Diskussion im Kreuzberger Glashaus (wir berichteten in diesem Blog am 05.07.2009). Er antwortete: „Er hat bei uns 99 Namen.“ Aha! Ich denke: 99 Namen – das heißt doch wohl, dass er ebensogut auch 999 Namen haben könnte. Auch im Islam ist Gott der schlechthin Jenseitige, der sich nicht fassen und fangen lässt.

Ansonsten gab es ersten Ärger mit dem neuen Fahrrad. „Warum fährst du so schnell, ich komme nicht mit!“, ruft Wanja aus.  Dabei hatte er mit mir bereits die ADFC-Kreisfahrt 2009 komplett mitbestritten – ohne die geringste Klage! Er ist ein guter Radfahrer! Ich erkenne: Das neue Fahrrad ist sehr schnell, mit sehr geringem Krauftaufwand beschleunigt es auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Das geht auch jedem so, der erstmals in einen BMW steigt. Ein kleiner Tritt in das Pedal – und man zischt ab. Subjektiv erlebt man die Geschwindigkeit ganz anders. Man meint zu schaukeln oder zu schleichen und hat schon die Stoßstange des Vorausfahrenden auf der Nase.

Fazit: Mein ständiges Predigen von „Rücksicht und Vorsicht im Straßenverkehr“  werde ich mit dem neuen Fahrrad erst noch unter Beweis stellen müssen. Die Kinder mahnen mich.

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Camminando va – Leben ist Aufbruch

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Dez 242009
 

Camminando va – das ist das Lied, das wir heute zum Abschluss des Krippenspiels in der Kreuzberger Kirche St. Bonifazius singen und spielen werden.  Beginn: 15.30 Uhr.

Aber was bedeutet eigentlich „Camminando va“? So fragte ich gestern eine italienische Freundin. Sie gab mir zu Antwort: „Ziehe deines Weges. Schau nicht zu sehr nach rückwärts. Trau deinen Kräften. Kümmere dich um die Menschen am Wegesrand.“

Da hatte ich sie. Die Weihnachtsbotschaft dieses Jahres. Ich schlief über dieser Botschaft eine Nacht. Heute früh setzte ich diese Botschaft auf Youtube. Es ist eine frohe Botschaft im Gehen. Keine ordentliche, keine gesetzte Botschaft, sondern eine wildbewegte  aus der Morgenfrühe, aufgenommen mit fahriger Kamera, zwischen winddurchschossenen Bäumen auf den kalten Straßen Kreuzbergs.

YouTube – 24122009.mp4

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Füllen Sie Wasser in den Tank der Marktwirtschaft, oder: Wer kann schon etwas gegen den Weihnachtsmann haben?

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Mrz 262009
 

Eine sprudelnde Quelle von staatlichen Beihilfen für einzelne Branchen bleibt Italien. Das Land ist deshalb mittlerweile in der Rangliste der Volkswirtschaften weit nach hinten gefallen, der Produktivitätszuwachs liegt weit unter dem anderer EU-Staaten.  Und als eine der Ursachen dafür benennen Fachleute den allzu ungehinderten Umgang mit staatlichen ‚aiutini‘.  Selbstverständlich gibt es in Italien auch die Verschrottungsprämie – sie wird noch bis 31.12.2009 weiterlaufen. Allerdings hat man sich in Italien mindestens bemüht, einen Umweltanteil einzubauen; wer sein Auto bloß verschrottet, ohne ein neues zu kaufen, erhält immerhin 80 Euro auf die Hand und ein Jahres-Abo im öffentlichen Verkehr:

Incentivi e rottamazione senza segreti Ecco la guida per avere i vari bonus – Motori – Repubblica.it
INCENTIVI CON ROTTAMAZIONE DI AUTO EURO0 O EURO1
Se si distrugge una vecchia auto e non si compra nulla (la famosa „rottamazione pura“ voluta dai verdi) si ottiene un micro bonus di 80 euro che copre i costi di rottamazione dell’auto e un abbonbamento ai mezzi pubblici, ma per avere la tessera „intera rete“ per un anno non bisogna essere intestatari di altre auto).

Ansonsten gilt: Das jahrzehntelange Beihilfewesen, die innige Verquickung zwischen Brancheninteressen und Politik hat die italienische Autoindustrie zurückgeworfen, der Konzentrationsprozess hat stark zugenommen, der Wettbewerb ist massiv beeinträchtigt, die italienischen Autos werden außerhalb des Landes kaum gekauft. Mit einem Wort: Wenn Staaten gezielt Branchen aufpäppeln und verwöhnen, füllen sie Wasser in den Tank der Marktwirtschaft. Sie spielen Weihnachtsmann und Osterhase. Worüber sich natürlich alle Wähler-Kinder freuen.

Was Italien kann, kann das Land Berlin ebenfalls:  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bringt heute im Finanzteil auf S. 20 einen Rückblick auf die Bankgesellschaft Berlin. „Das Berliner Bankendesaster war bis zum Scheitern der IKB das größte in der deutschen Nachkriegsgeschichte.“ Und dem damals bereits hoch verschuldeten Bundesland Berlin gebührt das zweifelhafte Verdienst, einen Banken-Schutzschirm in der damals noch gigantischen Höhe von 21,6 Milliarden Euro aufgespannt zu haben. An den Folgen wird das Land noch jahrzehntelang zu tragen haben. Berlin macht’s vor!

Die FAZ kommentiert: „Parallelen zur aktuellen Finanzkrise sind unverkennbar: Es wurden Kredite vergeben, die nicht hätten vergeben werden sollen, die Risiken wurden in anderen Finanzprodukten versteckt.“

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Vom Wagnis der Freude. Meine Weihnachtsansprache

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Dez 232008
 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Ich wende mich aus Moskau an Sie. Ein ganz feiner Schneehauch liegt hier auf den Straßen. Er hat sich überwiegend aus Rußkörnchen gebildet. Um diese Körnchen herum hat sich Wasserdampf kristallisiert, der dann zu einer Art künstlichem Schnee herangewachsen ist. Zum ersten Mal seit Jahren erlebe ich also die russische Hauptstadt ohne die üblichen Schneemassen. Der Klimawandel hat auch hier bereits in vollem Umfang eingesetzt. Nicht alles, so zeigt sich, ist in bester Ordnung.

Halten wir Rückschau: Hinter uns liegen Zeiten, die für viele nicht leicht waren. Die Zeiten, die vor uns liegen, werden für viele von uns nicht leichter sein. So sagt die eine: „Wir von der Bürgerrechtsbewegung suchten Gerechtigkeit, aber was wir bekommen haben, ist nur der Rechtsstaat.“ Ein zweiter beschwert sich: „Ich habe Arbeit in meinem erlernten Beruf gesucht, aber was ich bekomme habe, ist nur ein Vermittlungsschein vom Jobcenter.“ Eine dritte klagt an: „Ich habe für den Mindestlohn gekämpft, stattdessen wirft der Staat mitten in der Finanzkrise unser hart erarbeitetes Geld den Banken in den Rachen, um fürstliche Vergütungen zu sichern.“

Alle diese Klagen haben ihren Sinn. Sie zeigen die Enttäuschung von Menschen, die sich für ihr Leben einmal mehr vorgestellt haben. Dieses „Mehr“ ist nicht eingetreten. Dann baut sich ein Grundgefühl auf: „Irgendetwas stimmt nicht in unserem Lande!“

Nun, liebe Leserinnen und Leser, diese Enttäuschung werde ich Ihnen nicht ausreden können. Auch ich habe immer wieder Zurücksetzungen, Niederlagen und Demütigungen erfahren müssen. Aber ich habe mir irgendwann vorgenommen: Diese Erfahrungen dürfen nicht in die Sackgasse der Verzagtheit führen. Ich habe es in aller Bitterkeit in der Hand, das Schöne zu stärken. Zu den schönsten Erfahrungen der vergangenen 12 Monate zählte für mich, als ich Bachs Weihnachtsoratorium auf meiner Geige mitspielen durfte. Und zwar in genau jener Kirche in Prenzlauer Berg, in der viele wichtige Treffen der Bürgerrechtsbewegung der DDR stattfanden. Wie viele der Menschen, die dort mitsangen oder wie ich mitgeigten und mitbliesen, glaubten tatsächlich, dass in jenem Stall in Bethlehem wirklich der Erlöser als Kind zur Welt gekommen war? Ich bin sicher, es war und ist in der Bundesrepublik Deutschland nur eine Minderheit, der sich dieser wörtliche Sinn der Weihnachtsbotschaft noch erschließt. Aber wir alle spürten: Dieser überwältigende Ausruf „Jauchzet, frohlocket!“, das ist etwas, was uns alle trägt! Ich konnte das geradezu als Anhauch spüren, als Anwehen und Andrängen.

Es gibt also doch Augenblicke, in denen die Bekümmernis verschwindet. Augenblicke, in denen wir das Zittern und Klagen abschütteln. Solche Anlässe zur Freude gibt es viele. Und wenn es nicht der Glaube an einen Gott hinter den Wolken ist, so liegt ein Anlass zur Freude darin, dass wir diesen Aufruf zur Freude gemeinsam spüren. Und wenn es nicht die Gerechtigkeit auf Erden ist, die jetzt sofort anbricht, so ist es der hart erkämpfte Rechtssaat, in dem wir nunmehr Schritt um Schritt die Wirklichkeit näher an das heranführen können, was wir als menschenwürdig empfinden. Und wenn der Staat mir keine Arbeit verschaffen kann in dem Beruf, den ich mir erwählt habe, so kann diese Freude an meiner Hände Arbeit mich dazu bringen, etwas anderes zu lernen, da anzupacken, wo mein Zutun gerade jetzt gefordert wird. Und wenn riesige Geldströme in die falschen Kanäle versickert sind – wohlan, es steht in unserem Vermögen, die Ordnung der Finanzmärkte so umzubauen, dass so etwas in Zukunft irgendwann seltener geschieht.

Die Freude, die wir heute erleben, flößt uns Zuversicht ein. Dieses Zutrauen tritt an die Stelle der Zukunftsangst. Angst vor dem, was kommt, lähmt. Freude über das, was gelungen ist und gelingen kann, stärkt uns die Herzen und Hände. Wir brauchen starke Herzen, starke Hände, um auch das vor uns liegende Jahr zu gestalten. Ich feiere Weihnachten in diesen Tagen zusammen mit meiner Frau, meinen beiden Söhnen und meinen russischen Verwandten in Moskau. Und auch dies ist für mich ein Grund zu großer Freude. Überall in diesem großen Land, das für sich bereits die Hälfte Europas bildet, sehe ich ein ehrliches Suchen und Ringen um das Neue. Überall wird das Ganze der vergangenen Jahrhunderte in den Blick genommen. Niemand lässt sich bannen vom starren Blick auf die Herrschaft des Schreckens. Denkverbote gibt es nicht mehr. Stattdessen wird gefragt: „Welche Reformen sind nötig, um unser Land für die Zukunft tauglich zu machen?“

Wer so fragt, hegt Zutrauen. Er lässt sich nicht verdrießen und durch Zweifel bekümmern. Er weiß: Wir können Zukunft schaffen. Die Freude, die wir heute erleben, vertreibt die Schatten. Sie macht uns stark. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie diese Freude erleben. Es kann die Musik Johann Sebastian Bachs sein, es kann ein festliches Essen mit Freunden sein oder auch das Glück über ein Weihnachtsgeschenk. Freude kann auch darin liegen, dass man einen einzigen Menschen aus seiner Einsamkeit erlöst. In diesem Sinne bitte ich Sie: Öffnen Sie die Türen. Lassen Sie die Zuversicht ein, verscheuchen Sie den Kummer. Lassen Sie sich anwehen. Gehen Sie das Wagnis der Freude ein. Ich wünsche Ihnen zusammen mit meiner Familie: Frohe Weihnachten!

 Posted by at 14:16