Sep 052009
 

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Grüß Gott Hamed! So rede ich diesen Mann an, der in seinem Buch viele Orte nennt, die ich aus eigener Kindheitserfahrung kenne: den Friedberger Baggersee, an dem wir unschlüssig-begehrlich den Mädchen nachschauten. Den Betonklotz der neu erbauten Augsburger Universität, an dem Abdel-Samad sein Zweitstudium begann und ich damals noch als Gymnasiast die ersten Philosophie-Seminare besuchte. Der Betreuer des ägyptischen Studenten, Prof. Peter Waldmann, den ich kannte, war an der Volksschule in der Firnhaberau der Lehrer meines älteren Bruders. Und so gibt es sicher noch einige andere Menschen und Orte, die uns verbinden.

Ein Buch wie ein Sturmhauch. Ein Buch, mit dem ein Mensch die Fasern seines eigenen Lebens bloßlegt, schonungslos und doch von einer überwältigenden Sehnsucht nach Freiheit getragen. Das ist das Buch „Mein Abschied vom Himmel“ von Hamed Abdel-Samad. „Niemand ist frei außer Zeus!“, so schießt es dem Autor durch den Kopf, als er von seinem schmerzhaften Entschluss berichtet, als junger Erwachsener aus Ägypten nach Deutschland zu ziehen.

„Fast alles erschien mir fremd in diesem Deutschland: die Sprache, die Menschen, die Autos, das Essen, die Wohnungen, eben alles. Deutschland war für mich wie ein kompliziertes Gerät, für das es keine Gebrauchsanweisung gibt.“

In sich selbst steigt dieser Forscher der Seele hinein – aber während er dies tut, hält er uns Deutschen auch den Spiegel vor. Er hoffte auf das Land der Heidegger, Nietzsche und Husserl zu treffen, ein Land, das früher einmal emphatisch von Freiheit gesprochen hatte. Statt dessen zieht er ernüchtert Bilanz:

„Von Freiheit war nur im Zusammenhang mit Sexualität oder Konsum die Rede. Freiheit schien die Möglichkeit der Wahl zwischen Cola und Cola Light zu sein.

Die Gesellschaft übte einen ungeheuren Zwang auf die Bürger aus: Kein Zwang der Gebote, sondern der Angebote. Und so habe ich wirklich freie Menschen im Land von Nietzsche nur selten getroffen. Die meisten sind gleichgültige Gestalten, die erschreckend wenig über die Welt wissen, obwohl die Deutschen Weltmeister im Reisen sind. Gleichgültigkeit schien sich krebsartig in der satten Gesellschaft breitgemacht zu haben. […] Nachdem sie zwei Weltkriege ausgelöst und fast sechs Millionen Juden ermordet hatten, entdeckten die Deutschen ihre Leidenschaft für den Umweltschutz, wollten den Regenwald retten und für die Menschenrechte in der dritten Welt und in China eintreten.“

Hamed Abdel-Samad selbst macht es sich nicht so einfach wie wir. Eintreten für Naturschutz, gegen Atomkraft demonstrieren, das ist alles leicht, das ist bequem. Aber sich um die Geschichte auch nur eines arabischen Jungen zu kümmern, der bei uns um die Ecke lebt, der neben meinem Sohn in der Klasse sitzt, – das ist schon schwieriger. Mir fiel das heute wieder auf, am Tag der Einschulung der Erstklässler. Getrennte Welten – nur scheinbar vereint!

Dieses Buch ist ein Schlag der Befreiung. Es wird eine ganze Bibliothek von gutgemeinter, aber wirkungsloser Migrations- und Integrationsforschung in einem anderen Licht erscheinen lassen. Leute, lest das! Euch werden die Augen übergehen!

Hamed Abdel-Samad: Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland. Fackelträger Verlag, Köln 2009, 312 Seiten. Zitate: S. 21, S. 41

Mein Abschied vom Himmel von Hamed Abdel-Samad

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