Aug 202010
 

Die bei FußgängerInnen und AutofahrerInnen so beliebten „Bei Rot-über-Kreuzung-und-ohne-Licht-FahrerInnen“ beschäftigen nun auch die Berliner Grünen. Sie schreiben über diese Radfahrer mit besonderen Bedürfnissen in ihrer Broschüre „Sicher im Sattel“ (S. 14-15, Satzzeichenkorrektur und Hervorhebung durch dieses Blog):

Die notorischen „Bei Rot-über-Kreuzung-und-ohne-Licht-FahrerInnen“. Sie riskieren nicht nur ihre eigene Gesundheit[,] sondern auch die der anderen Verkehrsteilnehmer. Das ist rücksichtslos. Die Straßenverkehrsordnung gilt für alle. Entspannter und sicherer Radverkehr verlangt, dass alle sich an die Regeln halten.

Tja, was soll man dazu sagen? Werden die Grünen jetzt zur Law&Order-Partei? Fangen sie denn jetzt auch schon an, in hässlicher, verleumderischer Weise uns Radfahrer, uns – ach! – strukturell Benachteiligte, zu schelten? Dabei traten die Grünen doch dereinst unter dem Vorzeichen der Liebe zum Radverkehr, der Liebe zu allen RadfahrerInnen an! O tempora! O mores! Wer dächte da nicht an die bekannte Klage des Schatzmeisters aus Goethes Faust?

Auch auf Parteien, wie sie heißen,
Ist heutzutage kein Verlaß;
Sie mögen schelten oder preisen,
Gleichgültig wurden Lieb‘ und Haß.

Da verschlägt es wenig, dass die strenge Mahnung der Grünen (im Klartext: „RadlerInnen! Haltet euch an die StVO“) im Kapitel „Fahrrad-Tourismus“ eingefügt ist. Vergeblich wird der Anschein erweckt, alle „Bei-Rot-über-Kreuzung-und-ohne-Licht-FahrerInnen“ seien TouristInnen, die ihre Hälse verzückt den Herrlichkeiten rings ums Preussische Herrenhaus zuwenden. Irgendetwas bleibt immer hängen!

Die Annahme, nur die Fremden, die Auswärtigen, die Ausländer seien die Rotlicht- und BürgersteigradlerInnen, wie sie die Berliner Grünen insinuieren, steht auf recht schwachen Füßen. Eine solche Annahme, wonach die Bösen immer die anderen sind, wäre sogar ausländer- und fremdenfeindlich, ja streng genommen rassistisch zu nennen.

Die Grünen sind doch keine Law&Order-Partei, keine fremdenfeindliche Partei geworden?  Das wäre unterstes Boulevard-Niveau, etwa im Sinne der folgenden Meldung aus der BZ von heute:

Arm gebrochen: Radfahrer fährt in Fußgängerin – B.Z. Berlin – Verkehrsunfall, Radfahrer, Krankenhaus

Vorschlag dieses Blogs zur Güte:

Gehen wir doch der guten Ordnung halber und im Sinne des antirassistischen Konsenses davon aus, dass nicht alle Rotlicht- und BürgersteigradlerInnen rücksichtslose TouristInnen fremden Ursprungs sind, sondern dass einige auch Einheimische sind. Berliner Eigengewächs.

Genau in diesem Sinne belehrte mich einmal in der heimatlichen Obentrautstraße ein netter junger Mann, der vor meinen Augen bei Rot über die Fußgängerfurt radelte, dann samt Hund neben dem Radweg entgegen der Fahrtrichtung auf dem Gehweg mir entgegenradelte:

„Sie sind wohl nicht von hier aus Berlin. Das machen alle hier so.“

Aye aye, Sir! Ich habe gelernt. Mindestens dieser freundliche junge Mann war kein Tourist.

 Posted by at 12:20

  One Response to “Radler fährt falsch: „Das war sicher ein Tourist!“”

  1. Ja, leider. Wenn es wenigstens nur Touristen wären. Einerseits wären es weniger, andererseits wäre es halt doch irgendwie mit einem Achselzucken abzutun. Und das gleich mit Fremdenfeindlichkeit zu bezeichnen ist sicher ein wenig weit hergeholt. Leider verhalten sich Touristen – egal ob hier oder anderswo, egal ob Deutsche Touristen in Deutschland oder im Ausland oder Ausländer in Deutschland – häufig nicht ganz korrekt. Ok, vielleicht nervig, aber nun gut, da kann man noch ein Auge zudrücken, solange es nicht massenhaft geschieht wie die deutschen Saufgelage am Strand von Malle.
    Aber wenigstens zu hause erwarte ich dann doch ein Verhalten, das dem Gemeinwohl zugute kommt. Allerdings bin ich da wohl ein hoffnungsloser Anachronist. Schließlich: „Das machen alle hier so“.

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