Mrz 242011
 

09032010.jpg Der große, bewegende Film Almanya beschäftigt mich noch! Er zeigt, wie eine türkische Familie in Deutschland Fuß fasst und doch zugleich die Rückbindung an das Vaterland Türkei zu halten, wiederzugewinnen und zu pflegen sucht. Der neu verliehene deutsche Pass, mit dem der Film beginnt, das ist „nur ein Stück Papier“. Die Sehnsucht gilt der Familie, gilt der Heimat. Die Loyalität gilt der eigenen Familie und der eigenen Kultur.

Erst bei der letzten Generation, der dritten Generation wird diese Loyalität brüchig: „Melek lässt sich scheiden …“ Diese Scheidungen, diese Ent-Scheidungen treffen die jungen Männer hart! Partner werden in Deutschland erstmals außerhalb der ethnischen Herkunft gesucht und gefunden. Die Integration der deutschen oder auch englischen Partner in die türkische Kultur erweist sich als schwierig, zumal ja die türkische Kultur sich ebenfalls zu ändern beginnt.

Almanya, „Deutschland“ – das war eine Chance für tausende von Familien in Anatolien, der bitteren Armut zu entkommen und doch die eigene ethnische Identität beizubehalten. Einmal Türke – immer Türke!

Szenenwechsel! Heute wird in Berlin erbittert um die Konservierung der Kieze gerungen. Das war auch Thema in der BVV-Sitzung Friedrichshain-Kreuzberg, der ich gestern beiwohnte. „Der Bezirk steht auf Seiten der Mieter!“ In Stein gemeißelt! Der Staat soll durch sein eigenes Geld die Menschen  in ihren Kiezen halten, soll durch Milieuschutz und Mieterschutz und Bestandsschutz garantieren, dass jeder lebenslang am selben Fleck bleibt. Selbst Reporter sprechen ohne laut über sich selbst aufzulachen von „Vertreibungen“ der alten Mieter! Man lese nur einmal die Interviewfragen (ohne die Antworten) in dem Tagesspiegel-Interview: „Es ist keine Beleidigung in Hellersdorf zu wohnen.“

Also bitte – liebe deutsche und türkische Landsleute, arkadaşlar  – schaut euch den Film Almanya an! DA wird noch von Schicksalen erzählt! Es ist so schön, dies zu sehen, wie eine Familie durch dick und dünn zusammensteht, wie sie Widrigkeiten wegsteckt, wie sie letztlich alle Sorge dem Menschen, den eigenen Angehörigen angedeihen lässt.

Heute dagegen sagen die Arbeitslosen aller ethnischen Gruppen: „Warum soll ich wegziehen? Ich habe hier in Kreuzberg doch alles.“ Es fehlt in unserem Bundesland Berlin die Bereitschaft, die Härte des Lebens anzunehmen und der Arbeit buchstäblich nachzugehen, wie sie die Menschen in Almanya noch haben.

Am Samstag schauten wir uns diesen Film an. Meine uralte Sehnsucht in den Mittelmeerraum entbrannte da wieder – nach Italien, in die Türkei! Die heutige Türkei ist ein großartiges Land, gespickt mit den Spuren uralter Kulturen: Perser, Griechen, Assyrer, Türken, Armenier, Kurden, Araber – DAS ist eine Mischung! Zusammengefügt durch die prägende Assimilationskraft der Jungtürken! „Ein Volk – ein Land – eine Sprache!“ Das ist seit Jahrzehnten Praxis in der Türkei, niemand darf dies ernsthaft in Frage stellen.

Und Wanderer waren sie alle! Da können wir nördlich der Alpen nicht mithalten.

In dem Film Almanya sehen wir große, Jahrhunderte umspannende Räume. Das sind die echten Geschichten vom Wandel! Was wäre denn geworden, wenn die anatolischen Dorfbewohner gesagt hätten: STAAT! HILF UNS! WIR BLEIBEN ALLE! Es war nicht möglich. Die Staaten Türkei und Bundesrepublik Deutschland haben damals im Anwerbeabkommen zu beiderseitigem Vorteil entschieden: „Ihr habt keine Chance, auf Staatskosten in der Türkei zu bleiben. Also macht euch auf die Wanderschaft!“

In anderen Worten: Es gibt keine Konservierung der Kieze. Der Staat kann nicht garantieren, dass jeder Mensch lebenslang auf Staatskosten im selben Mietshaus, im selben Dorf, im selben Kiez wohnen wird.

Der Film Almanya hat mich mit all seiner Wucht, seiner Heiterkeit erneut die Größe und die Würde des Menschen sehen lehren. Ich gebe ihm die bestmögliche Bewertung! Geht hin. Schaut ihn euch an! Dieser Film kann uns allen zeigen, was im Leben zählt.

„Es ist keine Beleidigung, in Hellersdorf zu wohnen“ – Berlin – Tagesspiegel

 Posted by at 13:08

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