Dez 082016
 
  1. „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“
  2. „Die Welt, das war das leise Räuspern auf der anderen Seite der Tür.“

Zweierlei Aussagen über die Welt! Welche stimmt? Die eine ist von einem Philosophen, die andere von einem Erzähler. Die erste Aussage steht im Präsens; sie versucht etwas zu sagen, was immer und jederzeit gültig war, gültig ist und gültig sein wird.

Die zweite Aussage  steht im Imperfekt, sie versucht etwas zu sagen, was nur damals gültig war, jetzt aber – im Akt des Erzählens, wieder gültig wird und auch später, etwa in der dritten oder vierten Auflage des Buches, beim dritten oder vierten Lesen des Buches, gültig sein wird.

Der Erzähler, dieser raunende Beschwörer des Imperfekts, blickt auf die Welt als etwas Gewordenes, das auch anders hätte sein können.  Er will nicht erklären, sondern erzählen, also ergreifen, was ihn ergriffen hat. Die vorrangige Zeitstufe des Erzählens ist die Vergangenheit.

Von daher die außerordentliche Bedeutung, die dem Erzählen als solchen zukommt. Erzählerische Fragen sind: Was war am Anfang? Wie war es da? Und was geschah dann? Und dann? Wie ergibt das Ganze einen Sinn?

Eine Urform des Erzählens lautet:

Am Anfang war n. Und n war x und y. Und dann machte der und der das. Und so geschah x+1 und y+1. Und so war es also n+1. Und dann machte der und der das und das. Und dann war es also n+2.  Und dann … und dann …

Der Philosoph dagegen, dieser staunende Verehrer des Perfekten, blickt auf die Welt als etwas Geordnetes, das so ist, wie es ist. Er will nicht Gewordenes erzählen, sondern begreifen, was ihn einbegreift. Und das Einbegreifende ist die Welt. Die vorrangige Zeitstufe des Philosophierens ist das Präsens.

Grundsätzlich formulieren Philosophen ihre Fragen so, dass sie jederzeit und an allen Orten erneut gestellt werden können.

Einige Urformen des Philosophierens lauten also:

Was ist das eigentlich? Warum ist das so? Was bedeutet das? Was bedeutet diese Frage? Warum ist das überhaupt? Könnte dieses auch nicht der Fall sein? Und wenn es nicht der Fall wäre, bliebe dann alles andere gleich? Was ist der Sinn des Ganzen?

Quellen:
Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 15. Auflage 1980, S. 11

Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis. Eine Novelle. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, 2. Auflage 2016, S. 8

 Posted by at 10:48

Sorry, the comment form is closed at this time.