Karl-Heinz Kurras und Beate Klarsfeld – die Startschützen der 68er-Bewegung?

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Mrz 102012
 

„Mit ihrer Ohrfeige haben Sie den Startschuss für die 68er-Bewegung gegeben.“  So redet voller Bewunderung Katja Kipping die Bundespräsidenten-Kandidatin der Linken, Beate Klarsfeld, an.

Ein glanzvoller Treffer, den Katja Kipping da setzt! Eigentlich kam doch bisher dem Stasi-Agenten Karl-Heinz Kurras durch die Ermordung Benno Ohnesorgs die zweifelhafte Ehre zu, am 2. Juni 1967 den Startschuss für die 68-er Bewegung gegeben zu haben.

Werden Kurras, Kipping und Klarsfeld jetzt um den Primat des Startschusses streiten? Ich denke, Kurras und Klarsfeld werden sich schon vertragen. Beide wurden durch die Stasi „gefüttert“.

Sie sollten sich nicht duellieren, sondern sich gemeinsam im Ruhm sonnen, Startschüsse für die 68er-Bewegung gegeben zu haben.

Hinter beiden Startschüssen steckte die Staatssicherheit der DDR.

Präsidentschaftskandidatin Beate Klarsfeld: Nazi-Jägerin im Stasi-Dickicht – Politik – Tagesspiegel
„Mit ihrer Ohrfeige haben Sie den Startschuss für die 68er-Bewegung gegeben.“

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Fragen eines lesenden Geistesarbeiters

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Feb 202012
 

Guter Hintergrundbericht von Hans Leyendecker heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 6! Er zieht endlich den längst überfälligen Vergleich zwischen der NSU und der RAF, wobei er leider die Frühphase der RAF unterschlägt, die ohne wesentliche Zuarbeit der staatlichen Organe der DDR nicht denkbar ist. In der DDR boten die Staatsapparate der Polizei und der Stasi Förderung, Unterschlupf und neue Identitäten für RAF-Terroristen – Terroristen damals von links, Terroristen später offenbar von rechts. Es wäre interessant, die Kontinuitäten zwischen damals und heute aufzuspüren.

Für die Angehörigen der Nazi-Opfer ist es gleich. Sie haben einen Vater, Bruder, Sohn verloren, unermessliches Leid ist ihnen zugefügt worden, die staatlichen Behörden haben ihnen offenkundig noch zusätzliches Leid zugefügt, indem sie in falsche Richtungen ermittelten. Und jetzt werden sie noch auf die Bühne des Staatsaktes katapultiert und wissen nicht, wie ihnen geschieht.

Glaubwürdige Zeichen der Empathie, wie das Kenan Kolat nannte, sind jetzt das A und O.  Empathie heißt Mitempfinden mit dem Leiden des einzelnen Menschen, heißt Mit-Trauern, heißt aber auch, dass das Leiden und die Trauer nicht für rhetorische Staatsaktionen dienstbar gemacht wird.

Nicht dass heimtückische Morde geschehen, ist das politisch Skandalöse. Jedes Jahr werden in Deutschland Hunderte von Morden verübt. Jeder Mord ist böse. Man kann in der PKS, der polizeilichen Kriminalstatistik die verschiedenen Täter- und Opfergruppen aufgeschlüsselt erhalten, wobei auffällt, dass Kategorien wie terroristischer Mord, rassistischer Mord, Fememord oder Ehrenmord fehlen. Das Raster ist nicht so feinmaschig angelegt, diese Unterkategorien aufzuschlüsseln. Mord bleibt Mord, also heimtückische Tötung eines Menschen aus niederen Beweggründen.

Der eigentliche politische Skandal um die Neonazi-Morde liegt selbstverständlich in der denkbaren Verstrickung oder gar der möglichen schuldhaften Deckung der Taten durch staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland.

Und hier rächt es sich, dass die Verstrickung staatlicher Organe der DDR in den Aufbau, die Förderung die Deckung der RAF von den Journalisten so zögerlich aufgearbeitet worden ist. Der westdeutsche Terrorismus wurde ab 1955 durch die DDR-Organe gezielt finanziert, angefüttert, aufgebaut und unterstützt.

Karl-Heinz Kurras erschoss Benno Ohnesorg.
Er allein?
Hatte er nicht wenigstens einen Hintermann in den Dienststellen?

Dass die Erschießung Benno Ohnesorgs  durch einen hochrangigen Stasi-Agenten erfolgt ist, dass die Staatssicherheit ihre Leute überall in den West-Berliner und westdeutschen Apparaten, den Parteien und Dienststellen platzieren konnte, dass der Stasi-Agent Kurras offenkundig von Angehörigen der Polizei gedeckt wurde – warum stecken die Journalisten da nicht ihre Nasen hinein?

Der frühere linke Terrorist Horst Mahler, überzeugtes Mitglied des SDS, Mitgründer der RAF, zusammen mit Hans-Christian Ströbele Mitbegründer des Sozialistischen Anwaltskollektivs, wandelt sich im Lauf der Jahre vom RAF-Verteidiger zum  NPD-Unterstützer und Holocaustleugner. Er allein? Hatte er nicht wenigstens einige Gesinnungsgenossen bei sich?

Hans-Christian Ströbele, der Charlottenburger Bundestagsabgeordnete, der meinen Heimatbezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Bundestag vertreten soll oder zumindest sollte, zeigt sich immer wieder überrascht, dass so etwas möglich war. Warum so überrascht, Herr Ströbele? Sollte ihm die innige Verquickung der DDR-Staatsorgane mit seinen Mandanten, Genossen und Schützlingen von der RAF, mit seinem Kollegen und Genossen Horst Mahler wirklich über Jahre hinweg entgangen sein? Sollte er tatsächlich die Augen davor verschlossen haben, dass damals ein stetes Kommen und Gehen zwischen Staatssicherheit und RAF, zwischen Polizei und Terroristen herrschte?  Ist Ströbele nicht ein umsichtiger, kluger, hellwacher, mit allen Wassern gewaschener Mann? Warum nehmen die Journalisten Hans-Christian Ströbele seine Überraschung über die Aufdeckung dieser und vieler anderer Tatsachen so gutgläubig ab?

So viele Berichte
So viele Fragen.

Die Selbstkritik des redlichen Hans Leyendecker ist Anlass zur Hoffnung.

Aktenlage – Zwickauer Terrorzelle – Ein Stück eigenes Versagen – Politik – sueddeutsche.de

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Sep 082011
 

Auch Piraten kann man resozialisieren und ins bürgerliche Lager holen, sodass sie dann kein zweites Mal antreten„, so äußert sich trockenen Auges die Berliner Spitzenkandidatin der Grünen über die junge aufstrebende Partei der Piraten.

Jetzt heulen sie alle auf: Grüne, Piratinnen, Leserinnen, überhaupt alle! Die Journalistinnen wähnen, Renate habe dies ironisch gemeint. Falsch!

Renate trifft mit ihrer Bemerkung ins Schwarze. Die Grünen entstammen dem Geiste des wohlhabenden, leistungsbereiten, von schlechtem Gewissen geplagten Bürgertums, sie waren die junge, aufstrebende Partei der Töcher und Söhne des Bürgertums.

Dabei sei nicht geleugnet, dass wesentliche Teile der Grünen durch massive sozialistische, kommunistische, stalinistische Mannschaften gestellt oder unterwandert wurden, für die der Öko-Anstrich nur Kokolores war. Aber selbst der Sozialismus, all die linken Bewegungen, ja selbst der linke Terrorismus  in den westlichen Ländern entsprangen keineswegs dem Proletariat, das zu befreien sie vorgaben, sondern fast durchweg dem gehobenen Bürgertum. Das zeigt sich schon an den Biographien der großen Führerinnen und Taktgeberinnen des Sozialismus: Sie entstammen überwiegend den durch und durch bürgerlichen Familien der Rechtsanwälte, der Elite der begüterten Kaufleute, der Unternehmer, der Pfarrer – also der Mittel- und Oberschicht. Man lese doch nur etwa die Lebensgeschichten von Fidel Castro, Che Guevara, Giangiacomo Feltrinelli, Rosa Luxemburg, Gudrun Ensslin, Pier Paolo Pasolini, Friedrich Engels und vielen anderen!

Künast stellt völlig zurecht fest, dass die Grünen dem bürgerlichen Lager – meinethalben dem linksbürgerlichen Lager – angehören, immer angehört haben. Sie sind insofern ein genuin bürgerliches Wohlstands-Phänomen. Mit ihrem mütterlichen Ratschlag versucht die Berliner Spitzenfrau der Grünen den aufsässigen Töchtern und Söhnen des Bürgertums eine grün-goldene Brücke zu ihrer Partei zu bauen. Dagegen ist analytisch nichts einzuwenden. Nur der autoritär-dominante Tonfall erinnert stark an die antiautoritäre Bewegung der 68-er Bewegung, die ja bekanntlich besonders autoritär auftrat.

Die Grünen sind oder waren die Binnenrevolte gegen die emotional abwesenden Väter und Mütter, denen man keine allzu großen politischen Vorwürfe machen kann. Ohne den satten Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland wären sie nicht entstanden. Eine gewisse elitäre Weltsicht, ein autoritäres Welterlösungsverlangen ist den Grünen heute noch anzumerken.

Debatte im Ludwig-Erhard-Haus: Wen Unternehmer wählen würden – Wirtschaft – Tagesspiegel

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Jan 302011
 

Wie so viele anderen sozialen Probleme, so deute ich auch die Gewalttaten, die Sachbeschädigungen und Körperverletzungen der Autonomen als Ausfluss einer verhängnisvollen Bündelung von materieller Überversorgung und ideellem Peilungsverlust in unserer ökonomisch übersättigten, moralisch ausgehungerten bürgerlichen Jugend.

Schaut euch das Video an:

YouTube – Liebig14 verteidigen

Ihr seht und hört einen sympathischen jungen Mann, der ein recht beachtliches Bratschensolo hinlegt, dazu mannhaft-markige Sprüche von sich gibt, die in dem Schlusswort gipfeln: „Stürzen wir Berlin ins Chaos!“

Wer so gut und mit sehr guter Bogentechnik – bei gewissen Schwankungen in der Intonation – Viola spielt, muss aus reichem Hause stammen! Das Erlernen eines Streichinstruments bis zu dem hier gezeigten Grad der Spielfertigkeit setzt einen finanziellen Hintergrund voraus, der nur in gut abgesicherten Elternhäusern vorstellbar ist. Das Instrument klingt gut – es ist keine Billigbratsche!

Auch die gepflegte Sprache und der leicht rebellische Gestus des jungen Chaoten verweisen eindeutig auf die Herkunft aus der bürgerlichen Mittelschicht – der nette junge Mann könnte etwa Sohn eines Gymnasiallehrers oder Arztes in Süddeutschland sein.

Die meisten Autonomen scheinen vor allem an ihrer eigenen Herkunft aus dem wohlsituierten Bürgertum zu leiden – wie Rosa Luxemburg, Che Guevara oder Friedrich Engels auch. Sie scheinen verstecken zu wollen, dass sie nie materielle Not gelitten haben, dass sie nie für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten brauchten.

Wie können sie diese Herkunft aus den reichen, übersättigten Wohlstandsfamilien am besten vergessen lassen? Einfach: Indem sie sich mit den hypothetischen Opfern einer hypothetisch unterstellten Verarmung solidarisieren. Da es keine echten Armen mehr gibt, bildet man sich den Popanz einer neuen, prospektiv gefühlten Armut heran: der Popanz der Gentrifizierung ist geboren!

Dadurch, dass die verlorenen Söhne des Bürgertums sich bewusst als arme Proletarier ausgeben – was sie objektiv nicht sind und niemals waren – überwinden sie den Makel ihrer privilegierten Abkunft. Mit den wirklich Armen dieser Erde haben sie nichts, gar nichts gemeinsam. An den wirklich Benachteiligten unserer Gesellschaft – etwa den migrantischen Kindern, den Beamten im unteren Polizeidienst, deren Gesundheit die Autonomen bedenkenlos gefährden – zeigen sie keinerlei Interesse.

Es sind letztlich verlorene Söhne wie die Kiffer, die halbwüchsigen Drogenkuriere, wie die Intensivtäter mit ihren tiefergelegten BMWs, wie die RAF auch. „Wir waren alle verrückt, wir waren nicht zurechnungsfähig“, diesen Satz des Autors Peter Schneider über sich und die 68er-Bewegung habe ich mir gemerkt. Peter Schneider hat recht.

Es geht ihnen, den verrückten Autonomen, letztlich darum, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu erringen, sich abzusetzen von  ihren bürgerlichen Elternhäusern, ihren Erlebnishunger zu stillen und durch den bewusst herbeigeführten Gesetzesbruch die Auseinandersetzung mit der nie erlebten und schmerzlich vermissten elterlichen Autorität zu beginnen. Der in Kauf genommene Schädelbruch eines Polizisten, die verletzte Kniescheibe eines Journalisten sind ihnen dabei egal.

Wie sollte der Staat reagieren? Das Falscheste, was überhaupt möglich ist, hat sicherlich jahrelang die Bezirksregierung Friedrichshain-Kreuzberg unter grüner Führung getan: Sie meinte, ein politisches Anliegen fördern zu müssen, das die Autonomen mit großem Geschick und unter Täuschung der Öffentlichkeit auf ihre Fahnen schrieben. Unsere Bezirksgrünen haben immer wieder die Hand hingereicht, haben das Bethanien geöffnet, nur damit die nimmersatten Hausbesetzer eine Bleibe finden konnten.

Die gütige, quasi-elterliche Autorität des Bezirksamtes ließ sich auf die eskalierenden Wünsche der verlorenen Söhne ein, statt ihnen eine Grenze zu setzen. Die feste Grenzsetzung wäre das einzig Richtige gewesen: „Bis hierher – und keinen Zentimeter weiter!“ „Räumung? Ja, aber sofort!“ Stattdessen lässt der Staat, hier mehr schlecht als recht gespielt durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, mit sich Schlitten fahren. Ein Schaupiel, wie es gerade aus vaterlosen Familien mit tyrannischen Kindern bestens bekannt ist.

Genau so reagierte der Staat zunächst auch auf die Pöbeleien eines Andreas Baader mit beschwichtigenden Therapieversuchen.

Das mütterlich-fürsorgliche Entgegenkommen gegenüber den aufsässigen, verwöhnten Jungmännern ist der Kardinalfehler. Ein verheerender Fehler! Der weiche, der entgegenkommende Staat wird verachtet, wird – wie stets voraussagbar – selbst zum Gegenstand der Angriffe – etwa in Gestalt der Polizisten, etwa in Gestalt des Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisters. Mit beiden, sowohl mit den Polizisten wie auch mit dem Bezirksbürgermeister erklärt sich dieser Blogger hiermit solidarisch!

Die Geister, die sie – die Entgegenkommer und Kümmerer – riefen und heranpäppelten, werden sie nun nicht los!

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Feb 282010
 

Die neuesten Daten, die die Morgenpost heute bringt, belegen es erneut: ich wohne im ärmsten Bezirk Berlins. Doch echte Armut gibt es hier nicht.  Echte Armut beschrieben Dickens, Friedrich Engels, John Galsworthy – und andere. Armut, das sind zerlumpte, hungernde, bettelnde Menschen. Eine typische Armuts-Szene beschreibt John Galsworthy in seinem Roman Beyond:

Beyond, by John Galsworthy
The usual route from the station to Bury Street was „up,“ and the cab went by narrow by-streets, town lanes where the misery of the world is on show, where ill-looking men, draggled and over-driven women, and the jaunty ghosts of little children in gutters and on doorsteps proclaim, by every feature of their clay-coloured faces and every movement of their unfed bodies, the post-datement of the millennium; where the lean and smutted houses have a look of dissolution indefinitely put off, and there is no more trace of beauty than in a sewer. Gyp, leaning forward, looked out, as one does after a long sea voyage; Winton felt her hand slip into his and squeeze it hard.

Also: „Krank aussehende Männer, zerlumpte erschöpfte Frauen, gespenstische kleine Kinder im Rinnstein …“ Ernst Bloch schreibt in seinem „Prinzip Hoffnung“ zu eben dieser Stelle:

„Wenigstens hat der Arme den Vorteil, schmutzig auszusehen. Er bietet keinen schönen Anblick, er wirkt vorwurfsvoll, auch wenn er schweigt. Der Arme darf ans Herz, doch freilich nicht an den Beutel greifen; letzteres tut der Herr, um das Elend, von dem er lebt, zu mildern.“

Bloch, Adorno, Dutschke, Habermas, Gysi  – sie alle kannten und kennen Armut als erlesene Armut nur aus den Büchern. All die Aufrufe zur Revolution, zum Systemwechsel wegen angeblicher Verelendung des Volkes waren erborgt aus diesen und anderen Lesefrüchten. Für Marx und Engels hingegen lag Armut noch vor Augen. Wir haben in der Bundesrepublik jeden Begriff davon verloren, deshalb das sinnleere Gerede von Armut.

Gestern fuhr ich mit der BVG vom Märkischen Viertel über den Hermannplatz Neukölln zurück in mein armes Kreuzberg. Besuche auch du, lieber Leser, Neukölln! Betrachte die jungen Männer in ihren weißen Jeans, ihren Markenklamotten, mit ihren i-pods, ihren gegelten Haaren, ihrem kurzrasierten Haar. Ihrem platzgreifenden, selbstbewussten Gebaren. Sie kennen keine Armut. Die Notwendigkeit zu arbeiten kennen sie ebenfalls nicht. Es macht ihnen keine Mühe, irgendeine Frau, irgendein Mädchen in der U-Bahn anzuquatschen und dreist zu behelligen, solange sie keinen Schleier trägt.  Diese jungen Männer werden die Prozentrechnung am Ende der 10.Klasse und auch die deutsche Rechtschreibung nicht beherrschen, irgendein Unternehmen in Ludwigsfelde oder Fürstenwalde wird sie nicht einstellen. Dennoch sind sie perfekt integriert. Integriert untereinander, in ihren Sippen, in den sozialen Stützungssystemen.

Sie sind nicht arm. Sie leben in vollkommener Freiheit. Hartz IV sei Dank. Sie können tun und lassen, was sie wollen. Über sie und genau sie schreibt Karl Marx im dritten Band des Kapitals:

Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.

Zitat: Ernst Bloch, „Prinzip Hoffnung“, 2. Band, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1977, S. 1045

Bild: Am U-Bahnhof Möckernbrücke, Abendstimmung vor dem Sturm, heute, 28.02.2010, 18 Uhr

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Vergeben und Annehmen

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Okt 282009
 

Vergebt einander und nehmet einander an!

Dahin wird jede gesunde Beziehung der Kinder zu den Eltern gelangen. Erst dann werden die Kinder frei. Erst dann finden die Eltern Frieden.

Bei den alten 68ern fehlt mir sehr oft diese Fähigkeit.

Die Söhne dünken sich meist schlauer als die Väter. Das gilt auch in der Politik. Wir oft wurde über den alten Bundeskanzler aus der Pfalz gelästert.

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Ein klares Bekenntnis zu den Genossen von der RAF

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Sep 092009
 

Wir lesen heute Ströbele im O-Ton:

Hans-Christian Ströbele MdB Bündnis90/Die Grünen – Stellungnahme zur damaligen Tätigkeit als Strafverteidiger der RAF
„Mein besonderes Engagement als Verteidiger der Leute aus der RAF erkläre ich aus den damaligen außergewöhnlichen Umständen. Ich habe es damals für richtig und notwendig gehalten und sehe es heute nicht viel anders.“

Ströbele steht dazu, dass er die Angeklagten der RAF, die „Genossen“, wie er sie damals nannte, weit über seine anwaltliche Tätigkeit hinaus aus persönlicher Überzeugung unterstützt hat. Diese Ehrlichkeit ehrt ihn. Der von Ströbele auf dem Schal gepriesene Che Guevera war auch eines der großen persönlichen Vorbilder für Andreas Baader. Geld, Waffen, Frauen satt. Macht, Macht, Macht. Macht, Sex und schnelle Autos. Das war es, was Andreas Baader und Che Guevara dank ihrer politischen Tätigkeit erringen konnten. Das wollten sie, und das haben sie auch gekriegt. Muss Ströbele sich weiterhin zu solchen Genossen bekennen?

Das Bekenntnis Ströbeles zu Guevara und Marx, zu seiner damaligen Unterstützung der gewalttätigen RAF-Terroristen ist ein persönliches. Deshalb muss er auch sagen, wie er zu CHE und MARX steht. Ob er auch im Lichte der neuesten Erkenntnisse über den Kurras-Prozess seine Sicht auf die damaligen Vorgänge aufrecht erhält. Er tut es sogar. Er sagt: „Ich bleibe im wesentlichen bei meinem Standpunkt.“

Ich bin ein Christdemokrat. Ich lehne Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele konsequent ab. Und zwar vor allem im Hier und Jetzt, in Friedrichshain, in Kreuzberg, in Prenzlauer Berg Ost.

Jeder Steinwurf, jeder Brandsatz, jeder Faustschlag gegen eine Polizistin oder einen Demonstranten, jede Prügelei zwischen Rechts- und Linksextremisten, jeder Steinwurf gegen unliebsame Läden oder Diskotheken stößt auf meine Ablehnung! Ich lehne Steinwürfe, Prügeleien, Messerstiche, MG-Salven, rohe Einschüchterungen, Autoverbrennungen ebenso kompromisslos ab wie spätmitteltalerliche Hexenverbrennungen und neuzeitliche bolschewistische Schauprozesse nach Art eines Che Guevara.

Jedes zerstörte Luxus-, Gewerkschafts- oder Lieferfahrzeug, jede Körperverletzung, die aus politischen Motiven begangen wird, jede Brandstiftung sind für mich ein Anlass, dieses Bekenntnis zur Ablehnung jeder politischen Gewalt zu wiederholen.

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Schlussstrich oder Aufarbeitung – oder beides?

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Jun 082009
 

vorwarts-und-vergessen.jpg Soll irgendwann Schluss ein? „Für mich ist das Thema durch!“, erklärte mir kürzlich ein junges Mitglied der Linkspartei. „Wen interessiert das denn alles noch?“, fragte mich kürzlich ein Mann auf der Straße. „Das ist doch alles 20 Jahre her!“ Soll man historische Ereignisse irgendwann abhaken? Nun, man wird im Herbst 2009 sehen, dass die Varus-Schlacht, die 2000 Jahre zurückliegt, auch heute noch unterschiedliche Deutungen, ja sogar Meinungsstreit gebiert! Gleiches gilt für Kaiser Karl den Großen, dessen historische Leistungen und beispiellose Verbrechen gegen Andersgläubige meines Erachtens im Zeitalter der neu entstehenden Weltkultur dringend einer erneuten Aufarbeitung bedürfen. Und auch Bismarcks Sozialreformen erscheinen heute in etwas anderem Lichte als noch zu Zeiten eines Ludwig Erhard. Ihr seht schon: Ich bin ein Revisionist durch und durch!

„Ich bin erschüttert, was da in Einzelfällen herauskommt, bei Menschen, bei denen ich das nie vermutet hätte“, so wird Ministerpräsident Wolfgang Böhmer auf S. 172 in einem neuen Buch zitiert, das Uwe Müller und Grit Hartmann im Mai 2009 veröffentlicht haben.  Ein neues Buch? Nicht mehr so ganz … tja, tut mir leid, liebe Autoren, es ist schon wieder ein bisschen veraltet, weil die Kurras-Enttarnung offenbar kurz NACH Fertigstellung des Manuskripts erfolgte. Aber dennoch ist den Autoren zu bescheinigen, dass sie mit zahlreichen ihrer Behauptungen richtig liegen dürften, nämlich dass eine Art westöstliches Verschwiegenheitskartell die systematische Aufarbeitung der im Namen der DDR-Staatssicherheit begangenen Verbrechen verhindert.

„Der Berliner Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen begnadigte exzessiv. In nie dagewesenem Umfang korrigierte die Exekutive die Entscheidungen der Judikative“, schreiben die Autoren auf S. 74 und liefern auch gleich noch ein paar „Rechnungsbelege“ nach: „je Totschlag drei Monate Haft“.

Wie äußert sich Diepgen selbst zur Stasi-Unterwanderung? Er berichtet ohne Umschweife, dass auch seine Partei von einzelnen Stasi-Spitzeln unterwandert worden sei – darunter auch ein Redenschreiber von ihm persönlich. Allerdings lehnt er eine systematische Einzelpersonenüberprüfung ab. Zitieren wir ihn doch wörtlich! In einem hochbedeutsamen Interview mit der Morgenpost wird er am 5. Juni 2009 so wiedergegeben: „Die Forderung nach neuen massenhaften Überprüfungen halte ich zwar für verständlich, politisch aber für falsch und rechtlich für fraglich.“

Ich halte Diepgens Argumentation für politisch nachvollziehbar, dennoch neige ich der Ansicht zu, dass die gesamte West-Berliner Politik der letzten Jahrzehnte überprüft werden sollte, mindestens die Mandatsträger in den Parlamenten und den Parteien. Nennen Sie es „massenhaft“ oder „systematisch“. Der Verdacht, dass die Wahrheit möglicherweise mit manipulativen Methoden unterdrückt werden soll, ist nun einmal in die Welt gesetzt. Er lässt sich nur ausräumen, indem man die möglicherweise fortbestehenden kriminellen Netzwerke enttarnt.

Denn wer schweigt, obwohl er weiß, macht sich erpressbar. Wenn herausgehobene Vertreter des öffentlichen Lebens bewusst keine Aufdeckung von Verbrechen wünschen, dann verlieren sie an Glaubwürdigkeit. Kriminelle Netzwerke werden auch unter veränderten Bedingungen zusammenhalten, die Arme ausstrecken, neue Verbindungen knüpfen.

Buchtipp: Uwe Müller/Grit Hartmann: Vorwärts und vergessen! Kader, Spitzel und Komplizen: Das gefährliche Erbe der SED-Diktatur. Rowohlt Verlag Berlin, Mai 2009, 316 Seiten, € 16,90

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Einige Zehntausend, 3000, 1550? Wer bietet weniger?

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Jun 022009
 

Entgegen den Verlautbarungen aus der Stasi-Unterlagenbehörde behauptet Ministerpräsident Platzeck in der Morgenpost, „einige Zehntausend Westdeutsche und Westberliner“ hätten für die Stasi gearbeitet. Woher hat er dieses Wissen? Warum widerspricht er so offenkundig den Aussagen der Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde? Wer hat recht? Ministerpräsident Platzeck? Der heutige Berliner Polizeipräsident Glietsch, der offen abstreitet, dass in nennenswertem Umfang Stasi-Mitarbeiter in der West-Berliner Polizei eingeschleust worden seien? Oder Helmut Müller-Enbergs, der direkt auf der Quelle sitzt und mal diese, mal jene Zahl nennt?

Mehr Licht, bitte! Die Hintermänner im Fall Kurras sind noch lange nicht aufgeklärt.

DDR-Geschichte – Für Platzeck ist IM-Tätigkeit nicht gleich IM-Tätigkeit – Brandenburg – Berliner Morgenpost
Morgenpost Online: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie hörten, dass der Westberliner Polizist Kurras, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen hat, ein Agent der Stasi war?
Platzeck: Wir wissen alle seit Langem, dass ein paar Zehntausend Westdeutsche und Westberliner auch für die Staatssicherheit gearbeitet haben. Da ist es nicht unnormal, dass es Spitzel auch bei der Polizei gegeben hat. Dass deshalb die Geschichte der letzten Jahrzehnte neu geschrieben werden muss, glaube ich aber nicht. Da ist mir zu viel Verschwörungstheorie dabei.

 Posted by at 12:51
Jun 012009
 

Freunde, Blogger, kauft euch noch die Pfingstausgabe des Neuen Deutschland! Sie steckt voller wunderbarer Erzählungen, herrlicher Ausschmückungen, kniffliger Denksportaufgaben und hymnischer Lobpreisungen. Hier gleich das erste lustige Rätsel:

Auf S. 24 am 30. Mai 2009 gibt Helmut Müller-Enbergs, der selbstbewusst-eigenwillige Mitarbeiter der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), der sogenannten „Birthler-Behörde“ (seit wann ist eine Behörde eigentlich nach ihrer Chefin benannt?), die Zahl der IMs in Westdeutschland und Westberlin mit 1550 für das Jahr 1988 an.

Vergleicht diese Zahl nun mit dem folgenden Ausschnitt aus der WELT vom 10.03.2008:

DDR: Die Stasi hatte mehr Spitzel als bisher gedacht – Nachrichten Politik – WELT ONLINE
Die Zahl der Inoffiziellen Mitarbeiter IM, die noch im Herbst 1989 von der DDR-Staatssicherheit geführt worden waren, ist höher als bislang angenommen. Wie WELT ONLINE erfuhr, erscheint am Donnerstag eine neue Studie des Historikers in der Birthler-Behörde, Helmut Müller-Enbergs, wonach zum Zeitpunkt des Mauerfalls 189.000 IM, davon mindestens 3000 in der Bundesrepublik, aktiv waren. Die letzte offizielle Zahl der 1989 tätigen IM lag um 15.000 niedriger.

Also, von 1988 bis 1989 stieg die geschätzte Zahl der IMs nach innerhalb nur eines Jahres erklärten Angaben desselben Historikers  in Westdeutschland auf das Doppelte, wie erklärt Müller-Enbergs das? Woher hat er diese wild abweichenden Zahlen? Wie verlässlich sind die Grundlagen dieser Schätzungen? Soviele Fragen, soviele Zweifel – wie schon unser aller staatstragender Bert Brecht sagte!

Na, ich denke, diese Zahl 1500 oder 3000 dürfte zutreffend sein – für einen einzigen Westberliner Bezirk etwa, oder für eine mittlere westdeutsche Großstadt.

Und in dieser Größenordnung – ca. 1900 – bewegt sich ja auch die Zahl der Mitarbeiter der sogenannten „Birthler-Behörde“.  Was tun, was taten diese Menschen eigentlich all die Jahre? Wieso kommt der Fall Kurras erst jetzt heraus? Wieviele IMs in den Behörden waren nötig, um Kurras zu decken? Wann beginnt endlich die ernsthafte Aufarbeitung der Akten? Wieviel ehemalige Stasi-Mitarbeiter wirken so segensreich wie ehedem noch heute in der Birthler-Behörde? Welche Vorkehrungen sind gegen Vertuschung von Vorgängen, Verschleppung von Aufklärung, Vernichtung von Akten innerhalb der Birthler-Behörde getroffen?

Also hin zum nächsten Kiosk, letzte Märchenausgabe des ND kaufen – und fleißig rätseln und rechnen!

Wir bleiben dran. Wollte euch nur eben den heißen Tip zum Kauf der ND geben. Es wird spannend!

 Posted by at 19:21
Mai 272009
 

Äußerst fadenscheinig wirken auf mich die Begründungen, weshalb die Birthler-Behörde nicht routinemäßig auch westdeutsche und West-Berliner Behörden und Parteien auf Stasi-Unterwanderung durchleuchten sollte. „Keine neuen Erkenntnisse sind aufgetaucht“ – so hört man von maßgeblichen Vertretern der Ordnungskräfte, etwa vom Berliner Polizeipräsidenten.  Ausgerechnet nach der Enttarnung Kurras‘! Glietsch wird heute in der Morgenpost so zitiert:

„Die möglichen Stasiverstrickungen einzelner, vermutlich aus Altersgründen ehemaliger Polizeibeamter ist meines Erachtens für die Berliner Polizei und ihre Arbeit heute ohne Bedeutung.“

Am 21.05. hatte ich in diesem Blog schon angemerkt, dass die Vertuschung und Verdunkelung im Kurras-Prozess viel abschreckender auf die jungen Leute gewirkt hat als der Mord an Ohnesorg selbst. Die systematische Wahrheitsvertuschung im Kurras-Prozess trieb die jungen Menschen (ich war damals 8 Jahre alt und kriegte das nicht mit) in die Arme der Gegner dieses Staates. Auch der grüne Bundestagsabgeordnete und aktuelle Direktkandidat der Grünen, Ströbele, bezeichnet den Kurras-Prozess – nicht den Mord an Ohnesorg – als entscheidend dafür, dass er diesen Staat ablehnt. So berichtet heute die Süddeutsche Zeitung:

Karl-Heinz Kurras – Ein deutsches Leben – Politik – sueddeutsche.de
Das Kurras-Verfahren hat manchem jungen Menschen in jenen Jahren den Glauben an den Rechtsstaat genommen. Für den grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, der damals im Prozess gemeinsam mit Otto Schily einer der Nebenkläger war, war die Behandlung des Falls Kurras durch Justiz und Politik der „Auslöser für die Ablehnung des Staates“.

Durch Lektüre alter, verstaubter Prozessunterlagen, alter Prozessberichte und vor allem dank der Dokumentation des Autors Uwe Soukup über die Ereignisse des 2. Juni, lässt sich nachvollziehen, was damals vor allem die Jungen so erbitterte und nicht nur Ströbele zu Gegnern des Staates machte. Denn die Geschichte, die der Angeklagte Kurras im November 1967 vor Gericht erzählte, war eine Geschichte, die schon damals eigentlich niemand glaubte.

Ich meine: 20 Jahre nach dem Ende der DDR ist es angezeigt, gründlicher nachzuforschen, ehe das ganze Problem der Stasi-Verstrickungen sich durch natürliches Ableben erledigt und Klarheit nicht mehr zu erwarten ist, weil zu viele Tatbeteiligte versterben. Auf dass Ströbele zu einem Befürworter dieses Staates werde! Denn auswandern in die DDR kann man nicht mehr.

 Posted by at 17:34

Benno Ohnesorg von SED-/Stasi-Mann erschossen

 1968, Sozialismus  Kommentare deaktiviert für Benno Ohnesorg von SED-/Stasi-Mann erschossen
Mai 212009
 

„Ich halte sie für Verbrecher – aber sonst habe ich nichts gegen sie“, so äußerte sich Wolf Biermann bei seiner Übersiedlung nach Berlin über die gewendete SED und deren Hilfstruppen, die Stasi-Mitarbeiter.

Sensationell, aber letztlich doch kaum überraschend kommt für mich die Nachricht, dass der Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 in einem niederträchtigen Akt Benno Ohnesorg erschoß, ein IM der Staatssicherheit der DDR war. Die Bundesrepublik, aber vor allem West-Berlin war durch die Stasi-Mitarbeiter im umfassenden Sinne unterwandert. So eben auch die Polizei. Ich halte die Nachricht für glaubwürdig. Wird sie die Gesamteinschätzung der Studentenbewegung verändern?

Ich glaube kaum. Denn dass auch die zahlreichen K-Gruppen der Bundesrepublik im großen Umfange von der DDR unterwandert, gesteuert und finanziert wurden, war auch bisher schon bekannt. Die DDR arbeitete zielgerichtet an einer Zerstörung der BRD von innen her. Mord gehörte zu den Mitteln dieser Strategie. Dies ist eine bekannte Tatsache.

Der Funke der Erbitterung entzündete sich 1967 auch nicht so sehr an der feigen Erschießung eines harmlosen Demonstranten durch einen Polizisten, sondern an den mannigfachen Vertuschungsversuchen und der Verdunkelung des Vorfalls durch die Behörden und die Politik. Eine rückhaltlose Aufklärung der Vorgänge war offenbar nicht gewollt.  Beweise gegen Kurras wurden vernichtet, gegen Kurras sprechende Zeugenaussagen wurden nicht in die Urteilsfindung einbezogen. Hätten die Studenten gewusst, dass ein SED-Mitglied den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, hätte das bei einigen wenigen, aber nicht bei den meisten zu einer weniger erbitterten Haltung gegenüber diesem Staat geführt.

 Berliner Zeitung – Aktuelles Politik – Medien: Benno Ohnesorg von Stasi-Mann erschossen
Die tödlichen Schüsse auf Ohnesorg während des Schah-Besuches vor der Deutschen Oper in Berlin bildeten eine Zäsur in der bis dahin – von Tomaten- und Eierwürfen abgesehen – meist friedlichen Protestbewegung in der Bundesrepublik. Ein Funke sprang auf das ganze Land über, der Protest verließ den Universitätscampus.

 Posted by at 22:25

Systeme auf der Anklagebank

 1968, Georgien, Vertreibungen, Verwöhnt, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Systeme auf der Anklagebank
Mai 182009
 

Dieses Bild zeigt den den hier schreibenden Blogger beim Lesen der Mainpost vom 24. November 1945. Auf der Domstraße gerate ich ins Plaudern mit den Betreibern des Straßencafés, spreche sie türkisch an. „Woher in der Türkei kommen Sie?“ „Wir sind Kurden!“ „Aha!“ Ich denke: Aber Türkisch sprechen sie doch alle, auch die vielen Nicht-Türken in der Türkei. Das Kurdische wurde ja über Jahrzehnte hinweg verboten und verdammt. Gut aber, dass in der Türkei allmählich kurdische Sender, kurdische Veröffentlichungen zugelassen werden! Deutschland mit seiner seit 40 Jahren erscheinenden Hürriyet gilt mittlerweile sogar als Vorbild für gelingende Minderheitenpresse.

Einen halben Sonntag verbrachte ich nach einem beruflichen Einsatz schlendernd, bummelnd, plaudernd in Würzburg. In der Residenz schließe ich mich einer deutschsprachigen Führung an, die gerade die Fresken des Gian Battista Tiepolo betrachtet. „Sehen Sie dort – das ist der Kontinent Asien. Asien wurde als Mutter der Kultur, als Wiege der Zivilisation und der christlichen Religion verehrt: deshalb sehen Sie die Gesetzestafeln des Mose, Sie sehen die erste Schrift der Menschheit, wofür man damals das Georgische hielt. Und Sie sehen die Schädelstätte Golgatha. All das verband man damals mit Asien.“ Ich vernahm’s – und staunte, dass ein Gedanke, den ich erst vor zwei Tagen erneut in diesem Blog ausgeführt hatte, mir nun großmächtig in den riesig ausgespannten Deckengemälden eines deutschen Fürstbischofs entgegentritt. Ich ziehe daraus den Schluss: Bis ins 18. Jahrhundert hinein herrschte offenbar Konsens, dass die Kulturgeschichte von Ost nach West geht. Ex oriente lux, der Weltgeist schreitet vom Aufgang zum Untergang der Sonne: die wichtigsten Errungenschaften der höheren Bildung – die Weinrebe, die Schrift, die Poesie und ebenso auch die drei morgenländischen Religionen Judentum, Christentum und Islam – sie sind alle Gewächse Asias. Offenbar wurde dieses Wissen erst im Zeitalter des Kolonialismus endgültig verdrängt. Heute wähnen etwa die meisten Europäer, die Werte des Christentums seien ursprünglich europäische Werte – was für ein Irrtum!

Eine fragende, lehrende, ergebnisoffene Demokratie brachten die USA ab 1945 nach Bayern! Can Capitalism Survive? Ein General lud 1948 ein und machte sich Gedanken darüber, ob der Kapitalismus noch eine Chance habe! Sehenswerte Ausstellung  über Wiederaufbau und Wirtschaftswunder in der Würzburger Residenz. Anhand von Schautafeln, Dingen des Gebrauchs, anhand nachgestellter Szenen gelingt es, sich in die Nachkriegszeit hineinzuversetzen. Wir, die Jahrgänge ab etwa 1955,  haben ein schlüsselfertiges Land zum Geschenk erhalten, unsere Mütter und Väter rappelten sich nach gigantischen Verirrungen und Verbrechen aus Staub, Schutt und Asche auf. Ihnen gelang eine bewundernswerte Leistung. Unser Land steht heute dank ihres Zupackens besser da denn je, ganze Generationen von Kindern (darunter auch die meine) in der Bundesrepublik Deutschland haben seit 1949 bis heute keinerlei schlimme Sorgen und Nöte erlebt: keinen Hunger, keine Obdachlosigkeit, keine Zerstörungen, keine Massenmorde, keine rassische oder politische Verfolgung, keinen Krieg.

Es gab für mich und meinesgleichen keinen ernsthaften Grund, sich gegen diese neu entstandene Bundesrepublik aufzulehnen. Ich habe manchmal daran gelitten, dass der Generation der Mütter und Väter offenbar fast alles gelungen war: den Krieg hatten sie als Kinder oder Jugendliche erlebt, sie waren hineingerissen und verführt worden, und danach schafften sie den Neuanfang. Wir Kinder bekamen alles schlüsselfertig vorgesetzt. Damals trafen 12 Millionen Heimatlose und Vertriebene mittellos ein, und nach und nach fanden alle ein Unterkommen und sogar Wohlstand. „Die Integration von 12 Millionen Vertriebenen war eine große Leistung, die leider viel zu wenig gewürdigt wird“, hörte ich in den 80er Jahren als Kind meinen Vater, der selbst vertrieben worden war, oft sagen. Ich lauschte auch den gegnerischen Stimmen, die immer wieder die dunklen Machenschaften der deutschen Rüstungslobby mit den diktorischen Regimen in Südamerika und Südafrika oder die heuchlerische Sexualmoral der Kirchen geißelten. Wer hatte nun recht? War Deutschland ein durch und durch böses Land, wie es die Studenten der 68er-Bewegung zu behaupten schienen? Als halbwüchsiges Kind war ich hin- und hergerissen. Ein ganzes System – die BRD – saß wieder einmal auf der Anklagebank!

Erstaunlich bleibt, dass gerade unter diesen Umständen – als dies keinen Mut erforderte – eine so rabiat-radikale Opposition entstand, wie es sie eigentlich unterm Nationalsozialismus hätte geben müssen, aber eben damals nicht gab!

Heute muss ich sagen: Mein Vater hatte weitgehend recht in seinen Einschätzungen. Und Rudi Dutschke, an den in herrlich-augenzwinkernder Ironie sogar eine Straße in meinem Heimatbezirk erinnert, wozu nun ebenfalls keinerlei mehr Mut gehört, der hatte eben weitgehend unrecht in seinen Einschätzungen der Lage, ja, wenn man heute, im 40-jährigen Abstand die Schriften des SDS oder der K-Gruppen oder der RAF noch einmal liest, dann wird man sich fragen müssen: Woher diese Verblendung, dieser rabiate Dünkel, diese unglaubliche, hochgefährliche Verbarrikadierung in Welterklärungskäfigen? Glaubten die Menschen wirklich daran? Worum ging es da? Ich meine heute: Es ging eigentlich gar nicht um Politik, sondern um eine hochsymbolische Ablösung der Söhne von den Vätern. Die Politik war nur ein Spielfeld, ein Tummelplatz für nicht bewältigte intergenerationelle Schuldverstrickungen. Die Söhne setzten ein System, und das heißt ihre Väter, auf die Anklagebank.

Und wir? Unsere Gesellschaft, wir heute Erwachsenen haben es bisher nicht einmal geschafft, etwa 3 Millionen Türken so zu integrieren, dass wir wissen, dass sie wissen, woran wir sind. Dabei herrschen heute unvergleichlich bessere, materiell unvergleichlich reichere Ausgangsbedingungen als damals in der Nachkriegszeit. Es gäbe eigentlich genug Geld, um die Bildungsmisere in Berlin etwa rasch zu beenden.  Ich glaube, die Integration der zugewanderten Gruppen, die Schaffung eines neuen, gemeinsamen Selbstbildes, das ist die große Aufgabe, die vor uns liegt. Ich halte sie für nicht einmal halb so groß und halb so schwierig wie die Integration der 12 Millionen Vertriebenen nach dem Krieg, für nicht einmal halb so schwierig und nicht einmal halb  so groß wie den Wiederaufbau eines verwüsteten Landes.

Selbst hier stehen wir „Söhne und Töchter“ gegenüber den „Vätern und Müttern“ nicht so gut da: damals, in den 60-er Jahren, suchten die Studentenführer händeringend und steinewerfend nach irgendwelchen, an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen, und heute können die Väter, die jetzt schon längst Großväter sind oder gestorben sind, auf uns sehen und sagen: „Na, nun macht mal! Zeigt es uns! Messt eure Leistungen an dem, was wir damals geleistet haben!“

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