„Entscheidend ist, was wir Europäer wollen“: das Freiheitsethos des Cem Özdemir

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Dez 202013
 

2013-12-20 16.30.06

„Wer oder was ist Europa“? Eine alte Frage, die meist mit mehr oder minder überzeugenden Rückfragen beantwortet wird. Wir selbst haben in diesem Blog versucht, ähnlich wie Willy Brandt einen besonderen Freiheitsbegriff als unterscheidendes Merkmal Europas zu benennen. Im Gegensatz zu den Großreichen des Ostens, aber auch im Gegensatz zu den Großreichen des Nationalsozialismus und der sozialistischen UDSSR, die Sicherheit und Macht des Staatsvolkes sowie Loyalität gegenüber einem Herrschaftsverband obenan stellten, speist sich der engere europäische Freiheitsbegriff aus der Einsicht in die vorgängige Freiheit der einzelnen Person, in die Vorrangigkeit der unteren Ebene.

Das scheint in der Antike etwas Unerhörtes gewesen zu sein, und bereits die Perserkönigsmutter Atossa verleiht diesem Erstaunen Ausdruck, als sie erfährt, dass die griechischen Städte niemandem untertan seien, dass sie nur sich selbst gehörten und „keines Menschen Sklaven seien“ (Vers 242):

„Keines Mannes Knechte oder Untertanen heißen sie.“

Einen starken, mutigen Freiheitsbegriff vertritt auch der  Kreuzberger Mitbürger Cem Özdemir – etwa wenn es um die so brennende Frage geht, wie die künftige Europäische Union beschaffen sein soll. In seinem Türkei-Buch geht er einige – ihn nicht überzeugende – Antworten durch, um zu folgender Kernaussage zu gelangen: „Entscheidend ist, was wir Europäer wollen.“ Die entscheidende Frage lautet für ihn nicht: „Wer oder was ist Europa?“, sondern: „Was soll Europa sein?“

Özdemirs Kernfrage birgt auch schon die Antwort auf die Frage, wie es jetzt mit der Europäischen Union weitergehen soll. Letztlich können und dürfen es nicht die Europäischen Institutionen, nicht die Regierungen und schon gar nicht die ominöse Troika entscheiden, wohin die Reise geht. Entscheidend ist, was die europäischen Bürger wollen. Wenn eben 69% der Polen und eine überwältigende Mehrheit der Briten den Euro nicht und nimmermehr haben wollen, dann nützt es nichts – wie man dies in Deutschland immer wieder gegenüber Kritikern der Euro-Währung hören kann –  diesen Briten und Polen vorzuwerfen, sie seien „Nazis“, „Rechtspopulisten“ oder sie trügen den „Spaltpilz“ in die europäische Seligkeit und stürzten Europa wieder in Krieg und Verderben.

Gerade die Versuche, große Teile Europas in gewaltigen Machtverbänden zusammenzufassen, sind grandios gescheitert. Überlebt haben die kleinen und mittelgroßen Einheiten, die auf einem starken Freiheitsbegriff aufruhten. Das Reich Karls V. ist untergegangen; die Niederlande, die sich von den Habsburgern lossagten, gibt es heute noch! Die Sowjetunion ist untergegangen, das lettische Volk, das slowakische Volk, das estnische Volk, das polnische Volk gibt es immer noch und sie haben sich nach langen Kämpfen einen Staat geschaffen, wie sie ihn haben wollten.

Entscheidend ist stets, was wir Bürger wollen – nicht, was die Machthaber wollen.

Der europäische Freiheitsbegriff ist also subsidiär, von unten nach oben wachsend. Er ist aber auch dynamisch, ist wesentlich nach vorn gerichtet. Er verlangt die Möglichkeit der Wahl – auch in der Zukunft. Freiheit ist ein stets zu erneuernder Begriff. Freiheit muss Tag um Tag behauptet werden. Sie ist nie endgültig. In Goethes Faust heißt es (V. 11575):

„Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
der täglich sie erobern muss.“

Hölderlin sagt in seinem Gedicht Lebenslauf:

„Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.“

Dies ist die Freiheit als Aufgabe, die es zu verstehen gilt, und Freiheit als Vorhabe, die es sich vorzunehmen gilt. Freiheit ist kein Endzustand, der sich vertraglich fixieren ließe!

Freiheit ist wichtiger als Einheit! Willy Brandt, Konrad Adenauer, Theodor Heuss gaben der kleineren, freiheitlichen Bundesrepublik den Vorrang vor allen Lockrufen, eine Wiedervereinigung um den Preis der Unfreiheit herbeizuführen. Heute würde man sie wohl in Deutschland mit diesem Freiheitsethos nicht mehr verstehen und sie als Rechtspopulisten in den Orkus werfen.

Die Freiheit ist offen. Sie besteht darauf, dass die Zukunft nicht vorherbestimmt ist, sondern dass wir echte Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten haben. Sie widersteht jedem voreiligen Rückgriff auf Alternativlosigkeit oder schicksalhafte Notwendigkeit. Unter den lebenden deutschen Politikern gibt es nur wenige, die diese Grundqualitäten der Freiheit so klar, deutlich und unzweideutig gefasst haben wie der Kreuzberger Grüne Cem Özdemir.

Im Zweifel – für die Freiheit!

Nachweise:
Aischylos: „Die Perser“, in: Aischylos, Die Tragödien, Reclam, Stuttgart 2002, hier S. 15
Cem Özdemir: „Wer oder was ist Europa?“, in: ders., Die Türkei. Beltz, Weinheim 2008, hier S. 95-96
Friedrich Hölderlin: „Lebenslauf“, in: Hölderlin. Werke und Briefe. Hg. von Friedrich Beißner und Jochen Schmidt. Erster Band: Gedichte. Hyperion. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1969, S. 74

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„Im Zweifel für die Freiheit“ – Das Freiheitsethos Willy Brandts

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Dez 182013
 

2013-12-20 16.30.33

Am heutigen 18. Dezember, dem 100. Geburtstag Willy Brandts, gelte unsere Besinnung dem Titel eines ihm gewidmeten Theaterstückes: „Im Zweifel für die Freiheit“.

„Freiheit kommt vor Einheit der Deutschen: im Zweifel für die Freiheit“. Das war eine unerschütterliche Grundüberzeugung Willy Brandts. Deshalb lehnte er kategorisch alle Verlockungen der sowjetischen Seite ab, wonach eine rasche Wiedervereinigung Deutschlands um den Preis der Unfreiheit erreichbar gewesen wäre. Die berühmte „Stalin-Note“ vom 10. März 1952 lehnte er ebenso wie zuvor die Zwangsvereinigung von KPD und SPD und später den Mauerbau und den Schießbefehl ab.

Willy Brandt war nicht nur ein unerschrockener Antinationalsozialist, der 1936 bei einem Aufenthalt in Berlin für diese Überzeugung Leib und Leben aufs Spiel setzte, er wurde auch nach der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus zu einem unerschütterlichen Antikommunisten, der aus seiner tiefen Abneigung gegen das Unrecht des SED-Regimes nie den geringsten Hehl machte. Europa würde erst dann frei sein, wenn nach dem Nationalsozialismus auch der politische Kommunismus als Bewegung in Europa gescheitert wäre, wenn also die Mauer fallen würde, wenn die Herrschaft des Sowjetkommunismus über Körper und Seelen der Menschen ein Ende finden würde. Brandt erkannte: Der Nationalsozialismus war besiegt, die Freiheit war nicht in ganz Deutschland, nicht in ganz Europa eingekehrt.

„Man kann heute nicht Demokrat sein, ohne Antikommunist zu sein.“ Willy Brandt legte dieses Bekenntnis ab. Er war oder wurde also nach 1945 zweifellos einer jener berüchtigten Antikommunisten, die Jean-Paul Sartre wenig schmeichelhaft mit folgenden berühmten Worten kennzeichnete: „Tout anticommuniste est un chien – Jeder Antikommunist ist ein Hund.“

FREIHEIT – ein Wert, der im heutigen tagespolitischen Betrieb im Gegensatz zu Willy Brandts Zeiten keine Rolle spielt! An die Stelle des Freiheitsethos im Sinne eines Willy Brandt tritt nunmehr das Wohlstandsmehrungsethos. „Stabilität und nachhaltiges Wachstum“ werden zur Richtschnur des Erfolges, wie es im Koalitionsvertrag der gestern vereidigten Bundesregierung, der wir von dieser Stelle aus Glück, Erfolg und klugen Ratschluss wünschen,  heißt. Die Mehrung und Sicherung des materiellen Wohlergehens, die Vereinheitlichung und Standardisierung der materiellen, kulturellen und juristischen Umstände in allen 28 EU-Ländern, die Steuerung der Wirtschaft und der Gesellschaft durch die überlegenen Einsichten der Politikerinnen und Politiker in das, was „gut und gerecht“ ist, sind die Leitplanken, die die Politiker setzen.

„Freiheit kommt vor Einheit.“ Die zentrale Rolle, die für Willy Brandt, aber auch für Theodor Heuss und Konrad Adenauer das Bekenntnis zur Freiheit hatte, wird ersetzt durch das Bekenntnis zur Einheit des EU-Binnenmarktes, die wiederum ihren herausragenden Ausdruck im leidenschaftlichen Bekenntnis zum Symbol und Unterpfand der europäischen Einheit findet, nämlich dem Euro. Der Euro als „starke und stabile Währung“ ist die Werteklammer, die Europa zusammenhält. Er gilt als „zentrale Voraussetzung“ für die Einheit des Kontinents. Daraus macht der Koalitionsvertrag keinen Hehl. Er sagt es sogar ausdrücklich.

Um so begrüßenswerter ist es, dass auf der Bühne und in Bibliotheken die Stimme Willy Brandts noch gehört werden darf.
http://www.willy100.de/

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„Siate uomini, non pecore matte“, oder: lasst euch doch nicht hinters Licht führen, o EU-Parlamentarier!

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Dez 152013
 

Freiheit Recht Friede 2013-12-12 11.05.16

Freiheit, Recht, Friede“ –  diese Inschrift am Theodor-Heuss-Platz in Berlin benennt zusammen mit Willy Brandts Wort „Im Zweifel für die Freiheit“ die überragenden Werte, mit denen Europa steht und fällt. Es gilt:

Scheitert die Freiheit, dann scheitert Europa.  

Und deshalb muss es heißen:

Viva la libertà – es lebe die Freiheit!

Denn Freiheit und Recht der in der EU zusammenfindenden europäischen Völker sind wichtiger als die Vereinheitlichung vieler Wirtschafts- und Lebensbereiche, wie sie derzeit durch die EU von oben herab durchgesetzt wird.

Freiheit und Recht, nicht Wohlstandsmehrung und Vereinheitlichung aller EU-Länder sind der Sinnkern der Europäischen Union. Der Wohlstand ist eine mögliche Folge, nicht aber die Ursache von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Erster Träger der unveräußerlichen Freiheitsrechte ist der einzelne Mensch, nicht das Volk, nicht der Staat und schon gar nicht die EU-Kommission.

Grundlegende soziale Einheit jeder freiheitlichen Gesellschaft sind nicht die staatlichen Institutionen, sondern stets die Familie, also das unzerreißbare Band zwischen den Eltern und Kindern. Als Leitbild der Familie muss meines Erachtens dabei stets die Mutter-Kind-Vater-Familie gelten.

Erst wenn Rechtsstaatlichkeit, freie Zustimmung der Völker, Marktwirtschaft und innerer Frieden wiedergekehrt sind, kann es wahrscheinlich eine Überlebenschance für den Euro oder auch mehrere europäische Gemeinschaftswährungen geben. Man könnte dieses grundlegend reformierte Währungssystem das „Euro-II-System“ nennen.

Wichtiger noch als Währungs- und Wirtschaftsfragen ist das Gebot der kulturellen Öffnung:  Die „alten“ EU-Länder, insbesondere Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien, Niederlande und Luxemburg müssen sich geistig endlich den „neuen“ EU-Ländern öffnen, insbesondere jenen Ländern, denen bis 1989 unter der Herrschaft der Sowjetunion die Freiheit verwehrt geblieben ist.

Dazu gehört: Die Vielfalt der europäischen Sprachen und Kulturen, insbesondere der slawischen, finnisch-ugrischen und baltischen Sprachen muss viel stärker gepflegt werden.

Auch wir Deutsche müssen dankbar und selbstbewusst viel stärker das Gute und Schöne unserer Sprache und Tradition pflegen und an andere, vor allem an unsere europäischen Kinder weitergeben.

Die derzeitige, nahezu hoffnungslos verworrene Lage der Europäischen Union bietet den Abgeordneten des Europäischen Parlaments ausgezeichnete Möglichkeiten, für die Freiheit der Bürger, die Rechtsstaatlichkeit, den Frieden und die Marktwirtschaft in allen EU-Ländern zu kämpfen.

Ein Schlüssel zur Neuerfindung der Europäischen Union lautet: „Siate uomini, non pecore matte – Seid freie Menschen, nicht blöde Schafe, lasst euch doch kein X für ein U vormachen!“ (Dante, Divina Commedia, Paradiso V, 80).

Freiheit, Recht, Frieden unter den europäischen Völkern – diese Leitworte werden auch in den Jahren 2014 bis 2019 für das Europäische Parlament ihre segensreiche Kraft entfalten.

Ich werde bei der Europawahl am 25.05.2014 jenen Kandidaten meine Stimme geben, die diese überragenden Leitwerte Freiheit – Recht – Frieden am überzeugendsten verkörpern.

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Freiheit oder Wohlstand – was ist das Wichtigste?

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Dez 082013
 

Brandt Freiheit 2013-12-07 10.39.10

„Die Freiheit ist das Wichtigste“ – ein sehr mutiges Wort, das mich gestern ansprang, als ich die Stresemannstraße entlangschlenderte. Geprägt hat es ein Mann, dessen politisches Denken heute fast völlig vergessen ist – Willy Brandt. In der Tat – Freiheit ist ein zentraler Wertbegriff, der Europas kulturelle Vielfalt seit den Perserkriegen deutlich von benachbarten Machträumen unterscheidet, etwa von den östlichen Großreichen, ob sie nun Persisches Reich, Osmanisches Reich oder Sowjetunion hießen.

Genau genommen – ich war begeistert von Willy Brandt, und auch von der Buchhandlung im Willy-Brandt-Haus. Denn soeben hatte ich den Koalitionsvertrag der beiden Parteien CDU/SPD gelesen, in dem die Freiheit nur eine sehr untergeordnete, ja stiefmütterliche Rolle einnimmt. Die Leitwerte der heutigen bundesdeutschen Politik sind – ausweislich des CDU-SPD-Koalitionsvertrages – vor allem die Sicherung und die Mehrung des Wohlstandes, ferner Stärkung der Wirtschaft durch den Staat, bessere Betreuung von Menschen aller Altersstufen durch den Staat, Umbau der Gesellschaft durch den Staat zugunsten von stärkerer Wirtschaftsgerechtigkeit des Menschen, Abbau der traditionellen Rollenverhältnisse durch den Staat, Anpassung von Unterschieden zwischen Müttern und Vätern, zwischen Jungen und Mädchen durch die Politik. In allen Politikfeldern „weiß die Politik es besser“ als das Volk.

Was beispielsweise Kinder wollen und was Kinder brauchen, wird nicht gefragt. Was die Alten wollen und die Alten brauchen, wird nicht gefragt. Was Mütter wollen und  brauchen, wird nicht mehr gefragt. Sie sollen dem Arbeitsmarkt möglichst uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Der Koalitionsvertrag übernimmt das Heft des mütterlichen und väterlichen Handelns. Er legt die Geschicke der Gesellschaft erneut in die Hände einer kleinen, sich weitgehend aus sich selbst rekrutierenden Kaste an Politikerinnen und Politikern. Gegen diese große Koalition ist nicht mehr anzukommen. Jeder, der sich hauptsächlich für Freiheit, für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, also für Selbstbeschränkung der Politik einsetzt, für eine Verschlankung der Politik einsetzt, wird abgebügelt. Er kommt gar nicht mehr in die Positionen oder in die Parlamente hinein.

Freiheit als zentraler Leitwert politischen Handelns ist in Deutschland nicht mehr gefragt. Es gibt nur wenige, die dies erkannt habe, etwa ein Kreuzberger Bundespolitiker, wenn er fordert, seine Partei müsse wieder eine „Partei der Freiheit“ werden. Er scheint erkannt zu haben, dass zentrale zeitüberdauernde, also „wertkonservative“ europäische  Werte – eben Vorrang der Freiheit vor der Versorgung durch den Staat, Vorrang der Familie vor der Politik, Vorrang der persönlichen vor der staatlichen Verantwortung – angesichts der überschäumenden Phantasien der neuen Biopolitik zu unterliegen drohen.

Die Freiheit von staatlicher Umgestaltung der Gesellschaft durch die Politik ist kein Wert mehr.  Nein, die Politik dringt in immer mehr Bereiche der Lebensgestaltung ein.

Für einen Willy Brandt, einen Theodor Heuß oder einen Konrad Adenauer hingegen stand die Freiheit ganz oben. Freiheit von staatlichem Zwang und staatlicher Betreuung. Und für den staatlichen Zwang standen eben nicht nur Hitler und seine Kumpane, sondern auch Wilhelm Pieck und seine Kumpane, Klement Gottwald und seine Kumpane, Stalin und seine Kumpane, Walter Ulbricht, Mátyás Rákosi und alle die anderen Machthaber, die auf Geheiß der Sowjetunion den Bereich staatlichen Bestimmens  tief bis in die Familien und die private Lebensführung hinein erstreckten.

Der Buchhandlung im Willy-Brandt-Haus gebührt Dank und Respekt, dass sie ein so unzeitgemäßes Freiheits-Wort wie das Willy Brandts offen auszustellen wagt. Sie setzt sich dadurch dem Vorwurf des Rechtspopulismus aus. Egal. Dann sei es so. Ich werde meine nächsten Bücher bei der Willy-Brandt-Buchhandlung bestellen.

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Marktwirtschaft oder Gesellschaftslenkung durch die Politik: die Lehre von der „Metanoia tedesca“

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Nov 202013
 

Ganz im Zeichen des Streites um die rechte Rolle des Staates ranken sich die gegenwärtigen, sich qualvoll hinziehenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD. Die deutsche Wirtschaft, die deutschen Unternehmerinnen begehren fast schon wütend gegen die beiden zunehmend staatsdirigistischen Parteien CDU und SPD auf. Sie mahnen ein Umsteuern in der Energiewende und beim gesetzlichen Mindestlohn an, beklagen die gesetzliche Frauenquote als Verletzung des Eigentumsrechtes. Die Koalitionäre in spe, CDU/CSU und SPD kümmert’s nicht. Alle Umfragen bei Frauen und Männern in allen Altersgruppen ergeben in taz und FAZ ein klares Nein des populistischen, allzu populistischen Volkes gegen die Frauenquote – egal. Die beiden ringenden Koalitionäre streiten nur noch um die Prozentzahl, aber die gesetzliche Frauenquote für große Privatunternehmen soll unter Schwarz-Rot  kommen, ohne dass freilich die Staatsunternehmen, die SPD- oder die CDU-geführten Regierungen oder die Parteien CDU/SPD selbst auch nur im mindesten den Verpflichtungen nachgekommen wären, die sie nunmehr der Gesellschaft aufzuerlegen gedenken. „Die Frauenquote ist nur der Anfang“, sagt „la Merkel della SPD“, wie sie Angelo Bolaffi tituliert, „die Merkel der SPD“, Hannelore Kraft. Man darf gespannt sein, was als nächstes kommen wird.

Es geht bei der Energiewende, bei der Frauenquote, beim bundesweiten Mindestlohn, überhaupt bei „Gesellschaftsprojekten“  ganz klar um eine Selbstermächtigung der Politik in Bereiche des Privateigentums an Produktionsmitteln, in Bereiche der privaten Lebensgestaltung hinein. Die Politik – hier vertreten durch CDU und SPD – möchte ihre Vorstellungen von richtigem Leben und richtigem Wirtschaften in der Gesellschaft durchsetzen. Sie möchte aktiv die Rollenunterschiede zwischen Vater und Mutter abschleifen, sie möchte die biologisch verankerten Unterschiede zwischen Mann und Frau bewusst im Sinne einer Neuprofilierung von Rollenmustern umformen. Sie erstrebt den universal wirtschaftstauglichen Menschen. Das ist der Sinn des Ausdrucks „Modernisierung“ der Gesellschaft. Das verbirgt sich hinter der Wendung: „Wir haben ein Gesellschaftsprojekt vor.“

Michel Foucault nannte diesen Ansatz des Übergreifens der Politik in die Umformung der Gesellschaft und der Natur, in die Schaffung oder Züchtung eines neuen Menschentums „Biopolitik“. Biopolitik, wie sie insbesondere in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern praktiziert wurde,  geht stets mit einem starken Politikbegriff  und einem schwachen Freiheitsbegriff einher, behauptet stets den Vorrang der Politik vor der Wirtschaft, den Vorrang der Wirtschaft vor der Familie, den Vorrang des Volkes vor der Person, den Vorrang des Öffentlichen vor dem Privaten. Sowohl CDU als auch SPD, insbesondere jedoch die Europäische Union  steuern derzeit eindeutig und ohne jeden Zweifel ins Fahrwasser der Biopolitik hinein. Sie wollen die Gesellschaft und die Wirtschaft, letztlich das Menschenbild in ihrem Sinne umsteuern und umgestalten. Das Paradigma ist dafür beispielsweise die absolute Gleichstellung, ja Gleichheit der Geschlechter, die Außerkraftsetzung des tradierten Mann-Frau-Familienmodelles, die Nivellierung der kulturellen Unterschiede in den 28 EU-Staaten unterm Bann der Einheitswährung Euro, die Unterhöhlung der staatlichen Souveränität der Einzelstaaten, der künstlich und oft wider alle rationale Einsicht erzeugte Handlungsdruck unter wechselnden Imperativen – heute etwa unter dem Imperativ des Klimaschutzes, der mit dogmatisch verhärteten Handlungsanweisungen zum obersten Gesetz erhoben werden soll.

Der italienische Politologe Angelo Bolaffi weist in seinem neuen Deutschland-Buch „Cuore tedesco“ völlig zurecht darauf hin, dass schon in den dreißiger Jahren ganz unterschiedliche Länder wie etwa das England des Beveridge-Plans, die Sowjetunion, das Deutsche Reich eines Wirtschaftsministers Hjalmar Schacht, das Amerika des „New Deal“ mehr oder minder ähnlich eine derartige Lenkungswirtschaft, eine derartige staatlich geführte Biopolitik im Foucaultschen Sinne  vertraten.

Das große Gegenstück zur Biopolitik der Lenkungswirtschaft wie auch zum entfesselten anglo-amerikanischen Neoliberalismus wurde ebenfalls in den dreißiger und vierziger Jahren entwickelt: der sogenannte Ordoliberalismus, die Freiburger Schule der Volkswirtschaft, vertreten etwa durch Wilhelm Röpke oder später Ludwig Erhard. Der Ordoliberalismus – und dies arbietet Bolaffi brillant heraus mit einer Klarheit, die man leider bei deutschen Politologen selten oder gar nicht finden wird – grenzte sich eindeutig vom radikalen angelsächsischen Neoliberalismus wie von der totalitären Biopolitik des Dritten Reiches ab. Der Ordoliberalismus setzt auf den Wettbewerb prinzipiell gleichberechtigter, prinzipiell chancengleicher Unternehmen. Wo Gleichberechtigung oder Chancengleicheit nicht besteht, etwa durch übergroße Unternehmenskonzentration, greift der Staat „von oben steuernd“ durch seine „Marktordnung“  ein, etwa durch das Verbot und Zerlegung marktbeherrschender Kartelle.  Wo Individuen an der Teilnahme am Wettbewerb gehindert sind, etwa durch familiäre Benachteiligung, schafft der Staat nach Möglichkeit eine Art Kompensation, etwa durch zusätzliche Bildungsangebote oder durch die Vergabe von Stipendien an benachteiligte Kinder.

Dieser Ordoliberalismus, der letztlich auf einem starken Begriff der Freiheit und einem schwachen Begriff der Politik fußt, war die große Ursache für den Erfolg der alten, 1949 gegründeten, ab etwa 1998 ihren Abschied nehmenden Bundesrepublik Deutschland, die Bolaffi aus genau diesem Grund im Verbund mit der metanoia tedesca, der Reue und Buße der Deutschen für die in deutschem Namen begangenen Massenverbrechen, als einzige sinnvolle Blaupause für eine erfolgreiche Europäische Union, für eine noch zu schreibende Verfassung der Europäischen Union empfiehlt.

Wird Bolaffis leidenschaftliches Plädoyer für eine erneuerte Europäische Union im Geiste des Ordoliberalismus alla tedesca gehört werden? Ich meine: Die Zeichen der Zeit stehen eher ungünstig dafür. Das Einschwenken der CDU und der SPD auf die immer stärker vordrängenden Konzepte staatlicher Lenkung, das Credo absolutum der Euro-Rettung, das Aufkommen einer neuen Biopolitik bei CDU und SPD, das ständig anwachsende An-sich-Reißen von Kompetenzen durch die de jure nicht-kompetente Europäische Kommission, sie alle werden diese Einsicht in das Gangbare und Mögliche, in das Bewährte und Menschendienliche  – so steht zu befürchten – verhindern. Das Votum eines einzelnen italienischen Politologen, Deutschland-Kenners und Deutschland-Freundes wird daran zunächst einmal nichts ändern, es sei denn, es fände hier in Deutschland und in Europa in breitem Umfang Gehör. Zu wünschen ist dies sehr.

Nachweis:
Angelo Bolaffi: Cuore tedesco. Il modello Germania, l’Italia e la crisi europea. Donzelli Editore, Roma 2013, hier bsd. S. 41, S. 235-237, S. 253-254

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Woher kommt das Böse in der Weltgeschichte?

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Okt 212013
 

Der erste Weltkrieg – oder vielmehr seine nachlaufende Deutung in vulgären Mythen, etwa in der Fritz-Fischer-These von „Deutschlands Griff zur Weltmacht“ – bedeutet im nachhinein betrachtet auch die Geburt des vulgärtheologischen Mythos von den Deutschen als dem „Trägervolk des Bösen“, von Deutschland als dem „Land, von dem aus alles Europäische, alle europäischen Werte zunichte gemacht werden sollten„, wie dies noch der deutsche Bundespräsident Gauck während seiner Europa-Rede am 22.02.2013 in Berlin in unübertroffener Knappheit ausführte.

In dieser Formulierung des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland: „von Deutschland aus sollten alle europäischen Werte zunichte gemacht werden„, findet sich eine weitverbreitete Grundoperation der heute vorherrschenden vulgärtheologischen Geschichtsdeutung: das Böse, die Vernichtung aller guten Werte entspringt einem Kollektiv, einem Land, einem Volk! In den Augen sehr vieler heutiger Deutschen und auch einiger anderer Europäer sind die Deutschen auf alle Zeiten zu dem derartigen Trägervolk des schlechthin Bösen geworden, so wie dies im 19. Jahrhundert etwa in der Sicht eines Heinrich von Treitschke die Juden gewesen sein mochten. Treitschke schrieb: „Die Juden sind unser Unglück.“

Das Böse nistet gewissermaßen fest in einem hierdurch ausgezeichneten Volk. Man lese nur etwa beispielsweise noch einmal nach, an wie vielen Stellen etwa Daniel Jonah Goldhagen bei der Beschreibung schrecklicher Massenverbrechen „The Germans“ sagt, es wieder sagt, gleichsam allen Lesern mit metaphysischer Wucht einhämmert und noch einmal einhämmert: „The Germans‘ voluntaristic cruelty … the Germans‘ symbolic cruelty … the Germans kill and torture us for their sport …“  Man könnte diese Theorie des Bösen, diese Theorie der Wertezerstörung durch ein Volk oder ein Land, wie sie Joachim Gauck, Heinrich von  Treitschke oder Daniel Noah Goldhagen vertreten, die kollektivistische Theorie des Bösen nennen. Das Böse, die Wertevernichtung kommt aus der Mitte eines Volkes oder eines Landes. Ein bestimmtes Volk oder Land bringt das Böse in die Weltgeschichte. Es ist das Trägervolk des Bösen.

In schroffem Gegensatz zu dieser kollektiven Abstempelung eines Volkes, etwa der Juden (Treitschke) oder der Deutschen (Goldhagen) steht eine Aussage wie die des polnischen Philosophen Leszek Kołakowski: „Das Böse ist in uns“. Er meint: das Böse begleitet uns. Wir werden das Böse nicht los, indem wir es einem einzelnen Volk oder Land zuschreiben.

Das Böse kommt sozusagen aus dem Inneren heraus. Es ist in jedem von uns. Es „nistet“ gewissermaßen in der Mitte der Person. Wir werden das Böse in der Weltgeschichte weder durch die Europäische Union noch durch den Euro noch durch die Abstempelung von uns Deutschen als ewigem Trägervolk des schlechthin Bösen los.

Dem einzelnen Menschen steht als Person die Wahl zu, das Böse in sich zuzulassen oder es zu verwandeln in etwas Gutes. Ein früher vielfach verehrter, heute in Europa, vor allem in Deutschland jedoch weithin vergessener Zeuge für diese personalistische Sichtweise des Bösen sagt gemäß einem Schriftsteller, den wir einfach Markus aus Jerusalem nennen wollen:

„Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft.  All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen gemein.“

Wer hat nun recht – der Kollektivist, der alles Böse einem Volk – ob nun den Juden oder den Deutschen – zuschreibt; oder der Vertreter einer personalistischen Sicht, der das Böse als jederzeit schlummernde Möglichkeit jedem einzelnen Menschen zuschreibt?

Im griechischen Original zitiert Markus den weithin vergessenen Menschen mit folgenden Worten:

21ἔσωθεν γὰρ ἐκ τῆς καρδίας τῶν ἀνθρώπων οἱ διαλογισμοὶ οἱ κακοὶ ἐκπορεύονται, πορνεῖαι, κλοπαί, φόνοι,

22μοιχεῖαι, πλεονεξίαι, πονηρίαι, δόλος, ἀσέλγεια, ὀφθαλμὸς πονηρός, βλασφημία, ὑπερηφανία, ἀφροσύνη·

23πάντα ταῦτα τὰ πονηρὰ ἔσωθεν ἐκπορεύεται καὶ κοινοῖ τὸν ἄνθρωπον

Quellen:

Joachim Gauck: Rede zu Perspektiven der europäischen Idee. Schloss Bellevue, 22.02.2013

Daniel Jonah Goldhagen: Hitler’s willing executioners. Ordinary Germans and the Holocaust. Little, Brown and Company, 1996, hier bsd. Buchumschlag und Seite 387

Leszek Kołakowski: Religia nie zginie. Dziennik, 21. März 2008

Christopher Clark: Murder in Sarajevo. In: The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914. Penguin Books, London 2012

Das Evangelium des Markus. Kapitel 7, Vers 21-23

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Wirtschaftslenkung wie bei Jakob Kaiser – der heilbringende dritte Weg zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft?

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Okt 012013
 

2013-09-28 11.41.18

„Finance Minister P Chidambaram on Wednesday said that, given its track record, the G-20 is now moving from a temporary crisis bailout mechanism towards permanent global economic governance.“

Übersetzung ins Deutsche: „Der [indische] Finanzminister  P Chidambaram sagte am Mittwoch, dass die G-20-Gruppe sich nunmehr, angesichts der mittlerweile angesammelten Erfahrungen, von einem vorübergehenden Finanzenrettungsmechanismus zu einer ständigen Wirtschaftslenkung hin bewege.“

http://www.dnaindia.com/money/1890750/report-g-20-moving-towards-permanent-global-economic-governance-p-chidambaram

Wie man aus diesem beliebig gewählten Zitat vom 18.09.2013  ersehen kann, spricht man nicht nur innerhalb der EURO-17, sondern auch in der Gruppe der G-20 schon seit einiger Zeit von „Wirtschaftslenkung/gouvernance économique/economic governance“.

Was aber ist „Wirtschaftslenkung“? Ich schlage aufgrund eigener Beobachtungen im aktuellen Kontext folgende, wörterbuchartig verknappte Definition vor:

Wirtschaftslenkung (gouvernance économique/economic governance), im Gegensatz zu kurzfristig angelegten Rettungsaktionen (Staaten-Bail-out in der EU, Rettung insolventer Banken mithilfe von Steuergeldern), die als Reaktion auf schwere Insolvenz- und Überschuldungskrisen in das Marktgeschehen eingreifen, stellt die Wirtschaftslenkung eine ständige, politisch gewollte und staatlich oder zwischenstaatlich verhandelte Globalsteuerung des Marktgeschehens anhand gesamtwirtschaftlicher Gesichtspunkte dar.

Wirtschaftslenkung ist heute ein heiß diskutiertes Thema sowohl in der Euro-Zone wie in der EU wie auch in der G-20, und es  war ein heißes Thema der volkswirtschaftlichen Debatten in den 30er Jahren – und zwar sowohl in den USA, in der Sowjetunion wie in Deutschland.  Denn die Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929/1930 wurde als schwere, krisenhafte Erschütterung erlebt, der nur durch massives  staatliches Eingreifen begegnet werden könne. So findet sich etwa in einem 1938 in Berlin erschienenen Lexikon folgender Eintrag:

Wirtschaftslenkung, gegenüber d. formalistischen Auffassung einer Planwirtschaft vertritt d. Nationalsozialismus, ausgehend von d. Erkenntnis, daß die Wirtschaft dem Volke zu dienen hat, eine Führung der Wirtschaft, bei der diese nach gesamtwirtschaftlich. Gesichtspunkten organisiert u. gelenkt wird. Wichtigste Maßnahmen: die Lenkung der Ernährungswirtschaft durch d. Reichsnährstand (–> Landwirtschaft), die Regelung d. Außenhandels u.d. –> Vierjahresplan.

Quelle: Knaurs Lexikon A-Z. Verlag von Th. Knaur Nachf. Berlin 1938, Spalte 1852

Die Werkzeuge der Wirtschaftslenkung sind heute im Wesentlichen dieselben wie damals in den 30er Jahren: riesige Infrastrukturmaßnahmen (Great dams in den USA, Autobahnen mit Arbeitsdienst in Deutschland, riesige Kanalbauten mit GULAG-Zwangsarbeitern in der UDSSR), staatliche Beschäftigungsprogramme, staatliche Preisfestsetzungen, staatlich garantierte Einspeise- und Vergütungsentgelte, zentralstaatliche Detailregelungen für die einzelnen Sektoren wie etwa die Landwirtschaft.

Vom Geiste der Wirtschaftslenkung (gouvernance économique/economic governance) war aber nicht nur die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik bestimmt, sondern auch noch die unmittelbare Nachkriegswirtschaft in den Jahren 1945-1948. Beispielhaft dafür seien genannt Jakob Kaiser (CDU), ein Vertreter des christlichen Sozialismus, sowie auch das „Ahlener Programm“ der CDU von 1946.

In schroffem, unüberbrückbarem  Gegensatz zum Gedanken der Wirtschaftslenkung  steht hingegen die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard und eines Konrad Adenauer (CDU). Über Nacht wurden fast alle Preise freigegeben, die Läden waren plötzlich voll. Die Wirtschaft wurde unter den Leitgedanken der Freiheit gestellt. Der Staat zog sich aus der systematischen Lenkung des Marktgeschehens vollkommen zurück. Dies läutete die Alternative zur staatssozialistischen Planwirtschaft, aber auch die Alternative zur nationalsozialistischen Lenkungswirtschaft ein. Das Werkzeug für die Einführung der Marktwirtschaft und die völlige Abkehr von der Wirtschaftslenkung war die D-Mark, die am 21. Juni 1948 ein völlig neues Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte aufschlug.

Typische Beispiele für die Lenkungswirtschaft neuesten Datums sind die von der deutschen CDU und den deutschen Grünen erstrebte energiewirtschaftliche Autarkie, also die energiepolitische Import-Unabhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft (ebenfalls ein Ziel der deutschen Lenkungswirtschaft in den 30er und 40er Jahren), verkörpert in der angestrebten deutschen Energiewende. In der Energiewende tritt sogar ein „40-Jahres-Plan“ an die Stelle der 4-Jahres-Pläne der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik.  Ferner sind typisch für die Wirtschaftslenkung die der Euro-Rettung dienenden Eingriffe der zwischenstaatlich bestellten Troika und der EU-Kommission in die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Euro-Mitgliedsländer, wogegen sich ja insbesondere in diesen Tagen die Italiener händeringend wehren: „Siamo un paese sovrano! – Wir sind ein souveränes Land!“

Wer hätte geglaubt, dass ausgerechnet vier entscheidende Leitgedanken der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik – die staatliche bzw. politische Wirtschaftslenkung, die energiewirtschaftliche Autarkie Deutschlands, die Aufstellung von 4-Jahres-Plänen oder gar 40-Jahresplänen, der „organische Umbau“ der Volkswirtschaft – eine derartige Neubelebung erfahren würden!

Wohlgemerkt soll hier keinesfalls unterstellt werden, dass die CDU und die Grünen rechtspopulistische oder gar rechtsextremistische Parteien sind, nur weil sie – ohne dies zu bemerken – Grundsätze und Kernziele der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik Deutschlands (1933-1945) wieder aufwärmen. Nein, ganz im Gegenteil: die Grünen und die CDU meinen es sicherlich gut mit Deutschland, zumal ja die UDSSR und die Staaten des Warschauer Paktes ebenfalls Mehr-Jahres-Pläne in Hülle und Fülle auflegten. Ich behaupte aber sehr wohl, dass die deutsche CDU und die deutschen Grünen  sich derzeit vom Gedanken der sozialen Marktwirtschaft verabschieden, sofern sie sich nicht umbesinnen und den Leitwert der FREIHEIT über den Leitwert  der LENKUNG stellen.

Die Worte Cem Özdemirs, die er auf dem letzten Bundesparteitag sprach  – „Wir müssen wieder zu einer Partei der Freiheit werden!“ – lassen hoffen, dass zumindest die Grünen sich auf den Gedanken der freiheitlichen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards und Konrad Adenauers  zurückbesinnen. Freilich müssen die Grünen nunmehr  ihr Verhältnis zu ihrem keinesfalls rechtspopulistischen Bundesvorsitzenden Cem Özdemir klären, der offenbar die Freiheit höher als die politische Lenkung durch Verbote und Zwang schätzt. Hieraus folgt als Einsicht für die Koalitionsabtastgespräche: Die regierende CDU benötigt ein libertäres Korrektiv in Gestalt der Grünen. Leider hat die FDP diese Rolle nicht gespielt und ist dafür vom freien Wählerwillen bestraft worden. Sie flog deswegen – wie ich meine – zu Recht aus dem Bundestag.

In der Wirtschaftslenkung liegt kein Heil. Es lebe die Freiheit!

 

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Wider die allgegenwärtige Bemutterungspolitik, wider die Bemutterungspolitikerinnen und Bemutterungspolitiker dieses unseres Bezirks, Landes, Kontinents!

 Autoritarismus, Etatismus, Freiheit, Ordoliberalismus, Planwirtschaft, Subsidiarität, Verdummungen  Kommentare deaktiviert für Wider die allgegenwärtige Bemutterungspolitik, wider die Bemutterungspolitikerinnen und Bemutterungspolitiker dieses unseres Bezirks, Landes, Kontinents!
Sep 032013
 

Langgraswiese 2013-08-11 17.35.24

Der arme Kreuzberger, der im Kiez zwischen dem zweithöchsten Berg Berlins, dem Kreuzberg und dem Landwehrkanal wohnt,  stimmt dem Ex-Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) zu: Uns Kreuzberger „prägt ein tiefes Grundmisstrauen gegen das, was von oben kommt“ (Kreuzberger Horn Nr. 20, S. 15). Und deswegen sind wir widerständigen Kreuzberger auch gegen alle staatliche oder obrigkeitliche Lenkungs- und Planungswirtschaft, ob das nun das berühmte grüne „Heizpilzverbot“, der berühmte „Mietspiegel“, die sofortige Mietenkappung bei 4 Euro kalt, das Kreuzberger Verbot vollverkachelter Badezimmer, oder der „Milieuschutz“, oder die vorgeschriebene mietensteigernde energetische Fassadenversiegelung oder die „Eurorettung“ oder das „Umwandlungsverbot“ oder die „Energiewende“ ist.  Jetzt haben sie in Friedrichshain-Kreuzberg noch ein Verbot verhängt, religiös veranlasste Feste wie etwa das Ende des Ramadans (das Zuckerfest) oder den Weihnachtsmarkt auf öffentlichem Grund oder in öffentlichen Gebäuden zu feiern! Lest selbst:

http://www.berliner-kurier.de/kiez-stadt/ramadan-tamtam-kreuzberg-verhaengt-feier-verbot-fuer-christen-und-muslime,7169128,24156170.html

O teure Bemutterungspolitikerinnen und Bemutterungspolitiker aller Parteien! Wollt ihr denn überall nur noch kulturelle tabula rasa machen – und wollt ihr dann eure Klimaschutz-Ersatzreligion oder eure Euro-Ersatzreligion oder eure Gender-equality-Ersatzreligion oder die antirassistische Pippi-Langstrumpf-Ersatzreligion einführen? Wollt ihr wahrhaftig die gender equality oder den Euro oder den Klimaschutz oder das Verbot des öffentlichen Feierns religiöser Feste oder das Heizpilzverbot zum unerschütterlichen Fundament des Wohlergehens erklären? Das wäre doch obrigkeitlicher Zwang!

Glück, Wohlergehen, Freiheit muss von unten wachsen. Wir nennen es Subsidiarität. Wir brauchen ein tiefes Grundvertrauen in das, was von unten kommt – also in die Freiheit und Würde des Menschen, in den Einzelnen, in die Familien, in das, was da ist, also in die Natur, in die Väter und Mütter! Die niedrigere, die Graswurzelebene muss gestärkt und vor den allgegenwärtigen Eingriffen der Politik geschützt werden.

Wir brauchen keine Von-oben-Transformation und auch keine Von-oben-Konservierung der Gesellschaft durch Euch Politiker! Lasst ma schön die Hände von! Liebe Bemutterungspolitiker aller Couleur: Lasst uns Widerborstige  und mündige Menschen ma machen! Wir brauchen eure Bemutterung nicht! Wir brauchen eure Planwirtschaft nicht. Teure PolitikerInnen! Nehmt euch nicht so wichtig! Bemuttert uns Völker doch nicht mit Heizpilzverboten, Euro-Weltbeglückungs-Religion, Ramadanfeierverboten, Zweckentfremdungsverboten für Mietwohnungen usw. usw.

Lasst es ma gut sein. Ihr quält uns mit euren Lenkungs- und Planungswirtschaften! Lasst uns selber wirtschaften! Lasst uns die Marktwirtschaft!

Quelle:
„Lasst euch nicht auseinanderdividieren“. Interview mit dem bisherigen Bürgermeister Franz Schulz. In: Kreuzberger Horn. Zeitschrift für den Kiez zwischen Kreuzberg und Landwehrkanal. Nr. 20, Sommer / Herbst 2013, S. 14-27

Foto: Ein Blick über die naturnahen Langgraswiesen, Park am Gleisdreieck, 11.08.2013

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Aug 242013
 

2013-08-23 09.13.54

Weitgehend vergessen ist heute bei den Deutschen die Zeit von 1945-1949. Dabei liegt sie uns zeitlich und inhaltlich sogar näher als die immergleiche Erinnerungsmühlenlandschaft, die eifrig Mythen und Riten um die Jahre 1933-1945 spinnt!  Die noch heute bestehende Bundesrepublik wurde in allen wesentlichen Zügen damals, in den Jahren 1945-1949, geschaffen. Zwar wird derzeit versucht, die Bundesrepublik Deutschland in einem übergeordneten Machtverband – genannt EU – aufgehen zu lassen, aber noch gilt im wesentlichen das Grundgesetz des Jahres 1949, das freilich durch die EU-Gesetzgebung  zunehmend ausgehöhlt wird.

Man müsste heute eigentlich mehr über die großen Politiker Konrad Adenauer und Theodor Heuß, über Kurt Schumacher und Jakob Kaiser sprechen – und bitte bitte (!) ein bisschen weniger über den Verbrecher Hitler, den Verbrecher Göbbels und den Verbrecher Göring.

Denn damals, in den Jahren 1945-1949 wurde in Europa eine intensive Debatte über Themen geführt, die auch heute die europäische Agenda bestimmen:

Marktwirtschaft oder Planwirtschaft?
Sozialisierung der Schulden durch Vergemeinschaftung und Kollektivierung?
Enteignung der Bessergestellten und Umverteilung des enteigneten Hab und Guts an die ärmeren Schichten?
Zwangssparen oder freies Spiel der Kräfte?
Staatliche Preisbindung oder freier Markt?
Wohnraumbewirtschaftung oder Förderung der Schaffung neuen Wohnraums?

Es geht heute sowohl in Deutschland wie auch in der EU um Stärkung der zentralistischen Steuerung, um eine Verdrängung der Markwirtschaft. Die frischgekürte Grünen-Spitzenkandidatin Göring-Eckardt  hat dies erkannt, denn sie bezeichnete gleich nach ihrer Ausrufung als Spitzenkandidatin die von der CDU und den Grünen betriebene  Energiewende recht forsch – aber zutreffend – als Planwirtschaft, die man aus der DDR kenne. Damit trifft sie sicherlich ins Schwarze, oder besser gesagt ins Schwarzgrüne. Ist doch  ’ne super spannende Ansage, die Göring-Eckardt da gemacht hat! Das hinter den Kulissen eifrig angedachte und vorbereitete schwarz-grüne Bündnis gewinnt so bereits jetzt Konturen.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article111222807/Goering-Eckardt-wirft-der-Union-Planwirtschaft-vor.html

Göring-Eckardt und die Grünen haben recht: Ohne ein gerüttelt Maß an zentralistischer Planwirtschaft ist die Energiewende nicht machbar, ist aber auch der Euro nicht zu retten. Die gegenwärtige Euro-Zwangsbewirtschaftung Griechenlands muss man als zentralistisches Zwangssparen bezeichnen. Nur durch Einschnitte bei den privaten Haushalten kann die griechische Volkswirtschaft vorübergehend den täuschenden Anschein erwecken, sie könnte die Sparauflagen der Geldgeber erfüllen. Nutznießer der bisher über 230 Mrd. Rettungsmilliarden sind die Banken. Denn die Griechenland-Rettungsmilliarden fließen den international agierenden Banken zu, die u.a. riesige Kredite für Rüstungsgüter ausgereicht haben.

Meldung Tagesspiegel: „Von den bisher bewilligten 207 Hilfsmilliarden flossen nur 15 Milliarden in den Staatshaushalt. Doch auch von diesen Krediten kam nur ein kleiner Teil den Menschen zugute; sie ermöglichten es dem Staat, Leistungen wie die Arbeitslosenhilfe aufrechtzuerhalten. Ein Großteil des Geldes wurde benötigt, um Schulden bei Rüstungslieferanten zu begleichen.“

http://www.tagesspiegel.de/politik/griechenland-hilfe-das-falsche-wahlkampfthema/8679470.html

Und um die Schulden bei Rüstungslieferanten zu tilgen, nehmen die Griechen Einschnitte in der Daseinssicherung hin. Das ist Sparzwang oder auch Zwangssparen.

Was sagte die CDU im Jahr 1949 zu dieser Art des Zwangssparens? Lest selbst:

„Wir lehnen jede Form des Zwangssparens mit Entschiedenheit ab, da sie den Sparwillen im Keim erstickt. Das deutsche Volk hat mit dem Zwangssparen die schlechtesten Erfahrungen gemacht.  Künstliche Sparkapitalbildung durch staatliche Preisbindungen und durch Steuererhöhungen lehnen wir mit der gleichen Entschiedenheit ab, denn auf diese Weise spart der Staat zu Lasten der Allgemeinheit und die Staatsbürger kommen nicht in den Genuß des Sparens.“

Deutschland 1945-1949: Das war eine super spannende Zeit. Leider weithin vergessen.

Quelle:

Düsseldorfer Leitsätze der CDU/CSU vom 15. Juli 1949, zitiert nach:
Determinanten der westdeutschen Restauration 1945-1949. Autorenkollektiv: Ernst-Ulrich Huster, Gerhard Kraiker, Burkhard Scherer, Friedrich-Karl Schlotmann, Marianne Welteke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1972. 7. Aufl. 1980, S. 429-450, hier S. 438
Foto: Die Türen des Bundesbundesfinanzministeriums stehen allen Bürgerinnen und Bürgern, stehen Jung und Alt  offen! Alle Bürgerinnen und Bürger sind willkommen. Keine Frage wird als nicht hilfreich abgetan. Kein Argument wird als „schädlich“ totgeschwiegen. Kommt, schaut, fragt, so wird euch geantwortet! Aufnahme von der Wilhelmstraße vom 23.08.2013

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Ist das Mittelmeer ein Teich, ein See oder eine See?

 Antike, Freiheit, Griechisches, Integration durch Kultur?, Platon, Sokrates, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Ist das Mittelmeer ein Teich, ein See oder eine See?
Aug 122013
 

Phaidon_beginning__Clarke_Plato

Der fleißige Kreuzberger Hausfreund las als guter Europäer frühmorgens schon ein kleines Häppchen Platon. Was liegt näher als das Mittelmeer – zumal nach einem so herrlichen Urlaub an der türkisch-griechischen See?

Sokrates vergleicht bekanntlich im Phaidon die Griechen mit Fröschen, die in ihren kleinen Siedlungsflecken um einen Teich säßen, der von den Säulen des Herakles (=Gibraltar) bis zum Phasis, dem Grenzfluss in Armenien reiche:

Ἔτι τοίνυν, ἔφη, πάμμεγά τι εἶναι αὐτό, καὶ ἡμᾶς οἰκεῖν  τοὺς μέχρι Ἡρακλείων στηλῶν ἀπὸ Φάσιδος ἐν σμικρῷ τινι μορίῳ, ὥσπερ περὶ τέλμα μύρμηκας ἢ βατράχους περὶ τὴν θάλατταν οἰκοῦντας, καὶ ἄλλους ἄλλοθι πολλοὺς ἐν πολλοῖσι τοιούτοις τόποις οἰκεῖν.

Also ist das Mittelmeer laut Sokrates eine Art Froschtümpel! Wichtig festzuhalten: Die Griechen verknüpften mit ihrer Besiedlung der Ränder des Mittelmeeres keinerlei universalen Machtanspruch. Die Idee eines Reiches lag ihnen sehr fern. Im Gegenteil: Die Zerstrittenheit der Griechen untereinander war legendär. Die Idee des Großreiches wurde zunächst nur im Osten der Mittelmeerwelt verkörpert, in den großen Machtverbänden der Perser, der Meder, der Ägypter. Die Großreiche der Antike entstanden zunächst im Osten, im „Orient“, wie wir heute sagen. Sie waren nicht griechischen Ursprungs. Der griechische Blick auf die bewohnte Welt hatte damals gewissermaßen kein Zentrum. „Dieser Blick erfasste die Vielzahl der Länder in ihrem Nebeneinander“ (C. Meier).

Bild: Kodex mit der ältesten erhaltenen Handschrift, dem Beginn  des platonischen Phaidon, der Codex Clarkianus aus dem späten 9. Jh.
Zitate:
Platonis Phaidon, ed. Burnet, Oxonii 1903, ed. St. 109
Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas? Siedler Verlag, München 2009, S. 34

 

 

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Wird jetzt ausgerechnet der grüne Daniel Cohn-Bendit MdEUP zum Gralshüter der europäischen Bürgerrechte?

 Das Böse, Freiheit, Gedächtniskultur, Religionen, Vergangenheitsbewältigung, Vergangenheitsunterschlagung  Kommentare deaktiviert für Wird jetzt ausgerechnet der grüne Daniel Cohn-Bendit MdEUP zum Gralshüter der europäischen Bürgerrechte?
Jul 032013
 

2013-06-22 08.38.08

http://www.liberation.fr/societe/2013/07/03/cohn-bendit-a-vote-contre-la-levee-d-immunite-parlementaire-de-le-pen_915564

Spannende Kiste, spannende schwarze Komödie, spannende Inszenierung, die jetzt das Europa-Parlament liefert! Ich würde eher so sagen: Ein Stück aus dem Tollhaus. Ein paar patzige, grobe, deplatzierte Äußerungen haben Marine Le Pen die parlamentarische Immunität gekostet.  Sie tat etwas Unverzeihliches, sie verletzte ein Tabu der französischen Seele: sie verglich ein Phänomen der Jetztzeit mit einem Phänomen der Jahre 1940-1945. Die Libération zitiert Marine Le Pen mit folgenden Worten:

«Je réitère qu’un certain nombre de  territoires, de plus en plus nombreux, sont soumis à des lois  religieuses qui se substituent aux lois de la République. Oui il y a  occupation et il y a occupation illégale»

Marine Le Pen meint also in Frankreich das Aufkommen einer Art islamischer Parallelgesellschaft zu erkennen, die nach eigenen Gesetzen lebe. Eine Art sanfte Besatzung sei eingezogen, zwar ohne deutsche Panzer und ohne deutsche Soldaten, aber eben doch kraftvoll durchgesetzt, mit demonstrativen öffentlichen Freitagsgebeten auf den Straßen, mit Durchsetzung der islamischen Speisevorschriften, mit Durchsetzung der islamischen Polygamie, mit zunehmenden antisemitischen Gewaltvorfällen usw. usw.

Es gebe also etwas, was – abgesehen von fehlenden Panzern und fehlenden Soldaten – fast so schlimm sei wie die deutsche Besatzung der Jahre 1940-1945. Damit bricht Le Pen ein Tabu des französischen Bewusstseins – die Identifizierung des absoluten Bösen mit den Deutschen der Jahre 1940-1945, die Identifizierung der Franzosen mit dem absoluten Guten in den Jahren 1940-1945.  Sie leugnet gewissermaßen die Einzigartigkeit der Verbrechen, die die Deutschen an den Franzosen in den Jahren 1940-1945 begangen haben, indem sie behauptet, dass im heutigen Frankreich erneut eine Art sanftes Besatzungsregime einkehre.

Damit tat sie etwas, was viele Französinnen in den Jahren der deutschen Besatzung taten: Sie ließ sich geistig mit dem absoluten Bösen, dem deutschen Besatzer ein. Etwa 80.000 bis 200.000 Kinder der Schande, die verspotteten und geächteten Bâtards de Boche, verdankten diesem Sich-Einlassen mit dem deutschen Teufel ihr Leben. Sie sind ein lebendes Zeugnis für das hohe Maß an Entgegenkommen, das die Mehrheit der französischen Bevölkerung in den Jahren 1940-1945 gegenüber den deutschen Teufeln an den Tag legte.

Die französischen und die internationalen Autoren (z.B. Michel Tournier, Ernst Jünger, Céline, Jonathan Littell), aber auch Geschichtsforscher wie etwa Henry Rousso beschreiben die Besatzungszeit nach dem 22. Juni 1940 mehr oder minder einhellig als schiedlich-friedliches Nebeneinanderherleben. Von den Schrecknissen der Besetzung Polens, wo ein erheblicher Teil der Zivilbevölkerung dem Terror der Deutschen zum Opfer fiel,  blieb Frankreich weitgehend verschont. Im Gegenteil: Die französischen Behörden, die französische Polizei, die französische Bevölkerung kollaborierten überwiegend – mit löblichen Ausnahmen –  willig und gern mit den deutschen Besatzungstruppen. Die Judenverfolgung der Deutschen konnte sich auf die Kooperation der Franzosen in Frankreich in der Regel verlassen. Panzergerassel und Soldatengewalt wurden nur in Ausnahmefällen zur Durchsetzung des Besatzungsregimes eingesetzt. Zu keinem Zeitpunkt war mehr als 1% der französischen Bevölkerung am aktiven Widerstand gegen die deutschen Besatzer beteiligt. So war es – nach allem, was uns heute noch berichtet wird.

Nach 1945 bildete sich rasch – wider alle Erfahrung der Zeitgenossen – der prägende Konsens, dass Frankreich, oder mindestens eine Mehrheit der Franzosen Widerstand gegen die deutsche Besatzung geleistet habe. Eine glatte Lüge zwar, wie die französische Historiographie wieder und wieder herausgearbeitet hat. Gleichwohl eine unverzichtbare Lüge, ohne die das Frankreich des Generals de Gaulle nicht hätte aufleben können.

Daniel Cohn-Bendit, einer der wenigen wirklich europäisch sozialisierten Politiker,  dürfte dies nicht zuletzt im Lichte der eigenen Lebensgeschichte so ähnlich sehen. Und aus diesem Grunde blieb ihm fast keine andere Wahl als gegen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Marine le Pens zu stimmen. Er kennzeichnete die Äußerungen Marine le Pens als abwegig, fern der Wahrheit, „irreführend“, „dumm“  und dergleichen mehr. Aber sie erfüllten eben den Tatbestand der Volksverhetzung, der Aufstachelung zum Hass nicht und seien deshalb vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt.

Dem grünen Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit ist aus dem wahren Multi-Kulti-Bezirk Kreuzberg höchster Respekt zu zollen. Er hat sich in die Nesseln der Wahrheitsliebe gesetzt. Seine Analyse der Argumentationen trifft ins Schwarze.

Ich meine: Die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Marine Le Pen ist ein Bärendienst für die Demokratie, die Meinungsfreiheit, die Bürgerrechte. Eine politische Dummheit, um es diplomatisch auszudrücken. Frankreichs veröffentlichte Meinung dreht mittlerweile frei am Rad durch. Was das Europäische Parlament gemacht hat, wird dem Front National wieder einmal kräftige Stimmenzuwächse bescheren.

Daniel Cohn-Bendit, der Unbeugsame, der Lernende, der Bekennende,  hat sich dem Tollhaus im Europäischen Parlament widersetzt. Cohn-Bendit hat recht. Chapeau.

Bild: Ville de Sevran, U-Bahn-Station mit der place Nelson Mandela: eine von zwei muslimischen Metzgereien an diesem Platz, die Lebensmittel nach den islamischen Hallal-Vorschriften anbieten. Eigene Aufnahme vom 23.06.2013

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αὐτὸς θυμῷ βουλεύειν/mit dem Herzen selber entscheiden – das erst ist Freiheit!

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Mai 282013
 

2013-05-20 14.06.09

Eine der ergreifendsten Stellen aus Homers Odyssee ist mir immer die Stelle im zwölften Gesange gewesen, an der Kirke in rosenfingriger Frühe einen schmerzhaften Abschied von Odysseus nimmt. Scharfe, eindringliche, keinen Widerspruch duldende Warnungen gibt sie ihm mit auf den Weg vor den tückischen, bezaubernden Sirenen, die die Menschen einlullen und einlallen mit trügerischem Sang. Hier hilft nichts als sich taub stellen! Den Gefährten muss Odysseus deshalb die Ohren mit Wachs verstopfen, während er selbst sich in den Mast knoten lässt. Die Gefährten dürfen nicht hören – und behalten ihre Handlungsfähigkeit, denn sie müssen und sollen Odysseus an den Sirenen vorbeirudern.  Odysseus darf hören, freilich um den Preis der äußersten Unfreiheit!

Wie geht es nach bestandener Gefahr weiter? Jetzt kommt es! Welchen Weg zeichnet Kirke dem Liebling Odysseus vor? Keinen! Sie benennt ihm die Alternativen, doch entscheiden soll er nach reiflicher Überlegung selber. Kirke entlässt – in ihrer Muttersprache Griechisch – den Odysseus in den Raum seiner eigenen Entscheidungsfindung mit folgenden Worten:

αὐτὰρ ἐπὴν δὴ τάς γε παρὲξ ἐλάσωσιν ἑταῖροι,
ἔνθα τοι οὐκέτ᾽ ἔπειτα διηνεκέως ἀγορεύσω,
ὁπποτέρη δή τοι ὁδὸς ἔσσεται, ἀλλὰ καὶ αὐτὸς
θυμῷ βουλεύειν: ἐρέω δέ τοι ἀμφοτέρωθεν.

Johann Heinrich Voß übersetzt in unsere Muttersprache Deutsch:

Sind nun deine Gefährten bei diesen vorüber gerudert,
Dann bestimm‘ ich den Weg nicht weiter, ob du zur Rechten
Oder zur Linken dein Schiff hinsteuren müssest; erwäg‘ es
Selber in deinem Geist. Ich will dir beide bezeichnen.

Im Klartext: Ich kann dir da nicht raten, ich kann dir nur die beiden Wege aufzeigen. Du musst selber entscheiden. Überleg es dir gut. Es wird auf dich ankommen, Odysseus!

Genau das ist Freiheit! Kirke entlässt ihre Schützling Odysseus in den Raum der eigenen Entscheidungsfindung! Odysseus wird durch den Rat Kirkes vor Gefahren bewahrt, die seine menschliche Widerstandskraft übersteigen würden. Er „braucht das Rad nicht neu zu erfinden“. Es hatte sich in der Welt Homers genugsam herumgesprochen, dass die Sirenen allem Anschein zum Trotz letztlich nur Unheil bringen, dass sie die Familien – diese Keimzellen der Gesellschaft – zerstören, dass sie den Seeleuten die Heimkehr versperren und zerschmettern. Odysseus hörenden Ohrs und sehenden Auges ins Unglück zu schicken, wäre verantwortungslos von Kirke. Sie kennt ihre Pappenheimer, sie weiß um die Grenzen, an denen Menschen ihren Verstand verlieren und sich willenlos der Sucht ergeben. Die Warnung Kirkes vor den Sirenen ist alternativlos. Scheitert die Vorbeifahrt, so scheitert die Heimfahrt!

Zugleich aber entlässt die wohlwollende Wegweiserin Kirke Odysseus in den Raum seiner eigenen Entscheidungsfindung.

„Meide die Suchtfaktoren. Meide den Rausch, der deine Widerstandskraft mit Sicherheit übersteigen wird. Vor den Sirenen musst du dich hüten! Es wird danach aber der Punkt kommen, an dem ich dir nicht raten kann. Dann überlege es gut in deinem Sinn – und triff dann deine Entscheidung. Es gibt zwei Alternativen. Welche die bessere ist – das musst du selber im Herzen bedenken. Wähle selbst!“

Einsicht in das dem Menschen Mögliche, Freigabe des innerhalb des dem Menschen möglichen Wählbaren – genau das ist Freiheit! Diesen Raum der Freiheit gilt es Tag um Tag, Stunde um Stunde neu zu eröffnen, zu hegen und zu betreten. Tue das und du wirst leben.

Quellen:

Odyssee deutsch in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß nachlesbar unter:
via Projekt Gutenberg-DE – SPIEGEL ONLINE.

Odyssee Griechisch nachlesbar unter:
http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.01.0135%3Abook%3D12%3Acard%3D36
[entnommen aus: Homer. The Odyssey with an English Translation by A.T. Murray, PH.D. in two volumes. Cambridge, MA., Harvard University Press; London, William Heinemann, Ltd. 1919]

 Posted by at 09:07

„Ja, willst du denn den Euro nicht als das großartigste Symbol der europäischen Einigung anerkennen …?“

 Entkernung, Europäische Union, Freiheit, Geld, Heiligkeit, Philosophie, Wagenknecht  Kommentare deaktiviert für „Ja, willst du denn den Euro nicht als das großartigste Symbol der europäischen Einigung anerkennen …?“
Mai 082013
 

2013-04-25 07.35.07

So fragen mich immer wieder politische Wandergefährten. Darauf sage ich: „In der Tat, nein, der Euro ist nicht das großartigste Symbol der europäischen Einigung und noch weniger das Symbol der Europäischen Union. Das große, das eigentliche Symbol der Europäischen Union wie überhaupt jedes Staates ist – wie es G.W.F. Hegel dargelegt hat –  das leerste, abstrakteste Symbol überhaupt, nämlich die Flagge, näherhin bestimmt (wie es Hegel so gern in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts sagt) – also die Europa-Flagge mit den 12 gelben Sternen auf blauem Grund.“ Das oben zu sehende Bauschild aus dem ehemaligen Zisterzienserkloster Haydau zeigt dieses Sinnbild der Europäischen Union sehr sinnfällig und sehr wohltätig!

Die EWG, die EU, der Schengenraum, der Binnenmarkt, die EFRE-Hilfen für strukturschwache Gebiete und vieles mehr waren vor der Einführung des Euro unbestreitbar eine Erfolgsgeschichte, die es fortzuschreiben gilt! Es ist schon fast tragisch zu nennen, dass der Euro so Goldenes-Kalb-artig überfrachtet wird. Man möchte mit Beethovens 9. Symphonie ausrufen: Freunde, nicht diese Töne, nicht dieses Gezänke! Seht es doch mal lockerer! Über die Jahrtausende hin haben Staaten Währungen sehr oft eingeführt und sehr oft abgeschafft.  In manchen Staaten waren mehrere Währungen gleichzeitig im Umlauf (so etwa jahrzehntelang in den USA nach ihrer Gründung), andere Staaten schlossen sich zu losen Währungsverbünden zusammen, ohne dass eine politische Union auch nur ansatzweise beabsichtigt gewesen wäre – etwa in der „Lateinischen Münzunion“ -, kurz, man muss ausnahmsweise gegen Goethe, gegen Goethes Gretchen ausrufen:

Am Euro hängt,
Zum Euro drängt
Nicht alles!
Ach wir Armen!

Das große entscheidende Symbol aller staatlichen und staatsähnlichen Gebilde ist seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden stets ein abstraktes Symbol: das Bild des Kaisers, das Wappen des Herrschers, die Fahne des Staates, die Hymne der Nation usw.

Der Eid der deutschen Soldaten, den ich übrigens selbst damals als 19-jähriger Wehrpflichtiger ebenfalls in voller Überzeugung abgelegt habe, gilt nicht dem Wohlstand, den Konvergenzkriterien von Maastricht und der politischen Zentralgewalt, nicht dem Geld und nicht der Währung der Bundesregierung, sondern „dem Recht und der Freiheit“ des Volkes. Das Recht und die Freiheit jedes einzelnen Menschen, jeder staatlich verfassten Gesellschaft sind für mich die entscheidenden Werte politischen Handelns, während die „Währung“ in der Tat – wie der Name verkündet –  nur „während“ ihres Geltungszeitraumes gilt. Währungen sind – im Gegensatz zur Idee des Rechts und der Freiheit –  nichts Ewiges. Währungen kommen und gehen nach dem Willen des Souveräns. Viele römische Kaiser, die Souveräne der Antike, prägten ihre eigenen Währungen, die „Asse“, „Sesterzen“ und „Dinare“, teils ließen sie die Vorgängerwährungen gelten, teils schafften sie sie ab.

Die Währung ist nicht das entscheidende Band der Europäischen Union. Das entscheidende Band der Europäischen Union sind Freiheit und Recht der europäischen Völker. Einige der wenigen, die bereits jetzt so denken (während viele andere in den nächsten Monaten und Jahren folgen werden), scheinen Sahra Wagenknecht, Nigel Lawson (der Finanzminister Margret Thatchers), Bernd Lucke, Oskar Lafontaine, Hans-Werner Sinn, Wolfgang Bosbach und vermutlich auch bereits Bundesbankpräsident Jens Weidmann zu sein. Die genannten europäischen Persönlichkeiten verankern ihr Sinnen und Trachten nicht im Zahlungsmittel als dem Grund allen wirtschaftlichen Handelns, sondern im Bewusstsein dessen, dass die Freiheit, also die Handlungsfähigkeit und Wahlmöglichkeit der Völker und Regierungen wichtiger sind als die Einhaltung eines Währungs-Zwangsverbandes.

Der Souverän der heutigen, demokratischen Zeiten ist in Europa – das Volk. Den europäischen Völkern steht es frei, Währungen einzuführen und Währungen abzuschaffen.

 

 Posted by at 17:41